Zwei Jahre Brexit: Das britische Eigentor

Obwohl das Pfund an Wert verliert, hinkt der Export. Bürokratische Hürden lähmen den Handel zusätzlich. Auch sonst ist der Brexit eine Katastrophe.

Britische und EU Fahne auf einer blauen Männersocke

Britisches Sockenbekenntnis: Dieser Anti-Brexit Demonstrant wusste es besser Foto: Francis Lenoir/reuters

Für viele Briten ist es ein herbes Erwachen: Der Brexit hat sie nicht reicher gemacht, sondern ärmer. Die Wirtschaftszahlen werden als geradezu demütigend empfunden, denn kein Land der G20 schneidet noch schlechter ab als Großbritannien – vom schwer sanktionierten Russland einmal abgesehen.

Zugleich ist das britische Pfund abgestürzt und hat gegenüber Dollar und Euro jeweils etwa 20 Prozent seines Werts verloren. Importe werden teurer, was wiederum die Inflation anheizt. Fast alle Länder haben mit einer Geldentwertung zu kämpfen, aber die Briten trifft es erneut besonders hart: Zuletzt lag die Inflationsrate bei 10,7 Prozent.

Die wirtschaftliche Schwäche wirkt sich auch auf die Steuern aus: Der britische Schatzkanzler nimmt pro Jahr 40 Milliarden Pfund weniger ein als ohne Brexit. Nun wird eisern gespart, obwohl das Land investieren müsste – ob in Infrastruktur oder in das Gesundheitssystem. Auch eher unerhebliche Details wurmen: So war es ein Politikum, dass die Londoner Polizei ihre neuen Panzerwagen nicht etwa bei einem britischen Hersteller kauft, sondern bei Audi.

Denn leider sei keine englische Firma „in der Lage, die Anforderungen der Ausschreibung zu erfüllen“. Dabei hatten viele Brexit-Fans davon geträumt, dass ihre heimische Industrie zu ganz neuer Größe erblühen würde. Der Brexit-Deal trat am 1. Januar 2021 in Kraft. Die vergangenen zwei Jahre waren auch deswegen bitter, weil die Briten erleben mussten, wie gering das internationale Interesse an ihrer Wirtschaft ist.

Zollprobleme beim Handel mit der EU

Geplant war, nach dem Brexit ganz viele Freihandelsabkommen abzuschließen, die den Briten einzigartige Vorteile gewähren sollten. Doch faktisch gab es substanziell neue Abkommen nur mit Australien und Neuseeland, die aber keinerlei Bedeutung haben. Diese Verträge dürften die britische Wirtschaftsleistung langfristig um belanglose 0,1 und 0,03 Prozent steigern.

Der Brexit hat nur Nachteile beschert. Besonders deutlich wird dies bei den Exporten. Eigentlich müssten die britischen Ausfuhren steigen, weil das Pfund so stark gefallen ist und die britischen Waren damit auf den Weltmärkten deutlich billiger werden. Doch die Exporte kommen nicht in Gang – auch weil der Handel mit der EU durch den Brexit so schwierig geworden ist. Die EU war und ist der größte Handelspartner der Briten, was wenig erstaunlich ist.

Schließlich sind die Briten nur 34 Kilometer vom französischen Festland entfernt. Doch seit dem Brexit müssen die britischen Firmen einen Wust von Zollunterlagen ausfüllen, wenn sie ihre Güter nach Europa ausführen wollen. Vor allem Mittelständler sind überfordert. Sie geben entweder ganz auf oder gründen Tochterfirmen in der EU, um sich die Zollprobleme zu ersparen.

„Der Brexit ist für die Briten eine Kata­strophe“, urteilt Finanzexpertin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Sie hat den Brexit immer kritisch gesehen und ist dennoch „überrascht, dass es sogar noch schlimmer gekommen ist“.

Mehrheit bereut den Brexit

Auch in Großbritannien wächst die Einsicht, dass der Brexit ein Fehler war. In jüngsten Erhebungen sagen nun 51 Prozent der Befragten, dass es falsch war, die EU zu verlassen, während nur 34 Prozent diese Entscheidung noch richtig finden. Politische Folgen hat dieser Sinneswandel aber bisher nicht. Die oppositionelle Labour Party meidet das Thema Brexit lieber, um keine WählerInnen zu vergraulen – und die regierenden ­Tories haben sich auf einen rhetorischen Schlingerkurs begeben.

So soll Premierminister Rishi Sunak kürzlich darüber nachgedacht haben, das „Schweizer Modell“ zu übernehmen. Bekanntlich ist die Schweiz nicht in der EU, darf aber am Binnenmarkt teilnehmen, ohne nennenswert in die EU-Kassen einzuzahlen. Für die Briten wäre ein ähnlicher Deal perfekt: Sie könnten weiterhin jene 6,8 Milliarden Euro sparen, die sie früher netto an die EU abgeführt haben – und hätten gleichzeitig ihre Exportprobleme gelöst.

Allerdings musste Sunak seinen Vorstoß schnell wieder aufgeben, denn die Tory-Basis zog nicht mit. Einen Nachteil hat das Schweizer-Modell nämlich, jedenfalls aus der Sicht von Brexit-Fans: Sie müssten wieder viele EU-Vorschriften übernehmen, denn der Binnenmarkt kann nur funktionieren, wenn sich alle Teilnehmer an die gleichen Regeln halten. Die Schweiz ist daher ständig damit beschäftigt, ihre Gesetze an die europäischen Entscheidungen anzupassen. Das wollen viele Briten nicht.

Umgekehrt hat auch die EU wissen lassen, dass sie das Schweizer Modell nicht erneut auflegen will. Für Schäfer ist dies nur konsequent: Die EU könne den Zugang zum Binnenmarkt „nicht verramschen“, weil dann weitere Länder austreten würden, um Mitgliedsbeiträge zu sparen. „Das wäre der Spaltpilz.“

Fatale Folgen für Finanzsektor

Wenn die Briten über den Brexit diskutieren, wird vor allem über Zollformulare oder leere Supermarktregale geklagt. Dabei spielt sich das eigentliche Drama anderswo ab – in der City of London. Die britischen Banken unterliegen nicht mehr der europäischen Aufsicht und verlieren damit den Zugang zum Festland. Schäfer schätzt, dass der britische Finanzsektor „langfristig um 30 Prozent schrumpfen wird“.

Diesen Verlust können sich die Briten nicht leisten. Denn die Umsätze der City of London wurden benötigt, um die Einfuhren zu finanzieren. Die Briten haben schon immer weit mehr importiert als exportiert, und diese Defizite schwellen nun weiter an. Bisher war es kein Problem, dass sich die Briten im Ausland verschuldet haben, um ihren Konsum zu decken. Denn das Pfund galt als stabile Währung.

Damit könnte es bald vorbei sein, weil nach dem Brexit auffällt, dass Großbritannien eine ziemlich kleine Insel ist, die fast keine Industrie hat. Es ist selten, dass ein Land freiwillig verarmt. Aber die Briten haben sich dafür entschieden.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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