Klimaschutz und Wachstum: Party like it's 1978

Klimaschutz gelingt nur, wenn wir uns vom Wachstumsdenken verabschieden. „Grünes Schrumpfen“ wäre eine soziale Revolution.

Menschen in einer Fußgängerzone in den 70er Jahren

Ähnlich glücklich wie heute: Menschen in Westdeutschland 1978 Foto: imago

Deutschland tut momentan so, als könnte es drei Planeten verbrauchen. Bekanntlich gibt es aber nur eine Erde. Wenn wir überleben wollen, müssen Produktion und Konsum schrumpfen. Über dieses „grüne Schrumpfen“ wird bisher jedoch kaum nachgedacht, was kein Zufall ist. Denn nicht nur die Wirtschaft würde sich völlig verändern, auch das Verhältnis von Arm und Reich, der Sozialstaat oder die Möglichkeiten der privaten Vorsorge würden sich komplett wandeln. Die Gesellschaft wäre nicht mehr wiederzuerkennen.

Um von vorn zu beginnen: Klimaschutz kann nur gelingen, wenn die Reichen nicht geschont werden, denn sie verbrauchen am meisten Rohstoffe und emittieren enorme Mengen an Treibhausgasen. Die Zahlen sind erschütternd: Das reichste Hundertstel der Deutschen stößt pro Kopf und Jahr 117,8 Tonnen an Klimagasen aus. Die obersten 10 Prozent kommen im Durchschnitt auf 34,1 Tonnen. Die „Mitte“ emittiert 12,2 Tonnen – während es bei den unteren 50 Prozent nur ganze 5,9 Tonnen sind. Die Reichen produzieren pro Kopf also 20-mal so viel CO2 wie die Armen.

Diese krasse Ungerechtigkeit ist vielen wohlhabenden Deutschen nicht bewusst. Im Gegenteil. Gerade Gutverdiener neigen dazu, sich für besonders umweltbewusst zu halten. Sie kaufen Biogemüse und Energiesparlampen und merken gar nicht, dass sie meist sehr üppig wohnen und häufig fliegen. Wie das Umweltbundesamt feststellte, sei bei den Wohlhabenden „die Auffassung weit verbreitet, sparsam mit Ressourcen umzugehen“. Die Behörde vermutet, dass sich diese umweltbewussten Gutverdiener vor allem mit Mitgliedern der eigenen Schicht vergleichen – und dabei aus dem Blick verlieren, dass die ärmeren Milieus deutlich weniger konsumieren.

Für die Reichen Deutschlands wäre es natürlich sehr schmerzhaft, wenn sie nicht mehr jährlich 117,8 Tonnen CO2 emittieren dürften. Ihr flotter Lebensstil wäre dahin. Für die Gutsituierten sind dies keine angenehmen Aussichten, weswegen gelegentlich eine Art Mittelweg vorgeschlagen wird: Jeder Mensch soll ein privates CO2-Konto bekommen und darf dann 1 bis 2 Tonnen im Jahr umsonst verbrauchen – danach wird es teurer.

Was an Wert verliert

Doch dieser gut gemeinte Vorschlag würde den Klimaschutz torpedieren. Für Reiche wäre es gar kein Problem, sich einfach weitere Emissionsrechte zu kaufen, sodass weiterhin zu viele Treibhausgase ausgestoßen würden. Vor allem aber würde das Projekt Klimaschutz diskreditiert, wenn jeder verzichten müsste – nur die Wohlhabenden nicht.

Klimaschutz hat nur eine Chance, wenn alle gleichmäßig beitragen müssen und sich der Abstand zwischen den Schichten verringert. Man sollte diese Herausforderung nicht kleinreden. Es käme einer sozialen Revolution gleich – die es in Deutschland noch nie gegeben hat. Die Abschaffung der Monarchie 1918 oder die Wende 1989 waren politische Revolutionen, die das Herrschaftssystem verändert, aber das Besitzgefüge nicht angetastet haben.

„Grünes Schrumpfen“ würde zudem bedeuten, dass private Vorsorge nicht mehr möglich ist. Bisher glauben viele Deutsche, sie könnten sich von der Gesellschaft entkoppeln und auf einer Art eigenen Insel leben, indem sie Finanzvermögen ansparen. Doch dieses Vermögen verliert zwingend an Wert, sobald die Wirtschaft schrumpft.

Beispiel Aktien: Die meisten DAX-Werte finanzieren Unternehmen, die sehr viel CO2 emittieren. Dazu gehören unter anderem die Flugzeugbauer Airbus und MTU oder die Autokonzerne BMW, Porsche, Mercedes-Benz, VW sowie Continental. Diese Firmen wären nur noch ein Schatten ihrer selbst, wenn Menschen und Güter vor allem mit der Bahn transportiert würden, um Treibhausgase einzusparen. Wenn aber Unternehmen in die Bedeutungslosigkeit abrutschen, können auch ihre Aktien nicht mehr viel wert sein.

Doch nicht nur Firmenpapiere verlieren an Wert, wenn die Wirtschaft schrumpft. Gleiches gilt für jede Art von Geldvermögen – ob es nun Ersparnisse oder Lebensversicherungen sind. Es ist ganz simpel: Geld hat nur Wert, wenn sich dafür etwas kaufen lässt. Sobald die Menge der Güter sinkt, löst sich dieses Geldvermögen teilweise in Luft auf.

Wie wir das nennen

Für diesen Prozess gibt es auch einen Namen: Inflation. Wenn weit mehr Geld auf den Markt drängt, als dort Waren zu finden sind, wird jedes einzelne Produkt teurer. Schon bisher waren hohe Inflationen gefürchtet, weil sie extrem ungerecht sind. Finanzvermögen und Geldeinkommen werden entwertet, während Immobilienbesitzer keine Einbußen hinnehmen müssen. Diese Unwucht wird noch schlimmer, wenn eine Wirtschaft dauerhaft schrumpfen muss. Dann stellt sich ganz schnell die Frage, wer sich die knappen Güter noch leisten kann. Gut leben könnte nur noch, wer über Sachwerte oder sehr hohe Geldvermögen verfügt.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Ärmeren hingegen würden leer ausgehen, und besonders schlimm würde es viele Rentner treffen, weil ihre private Altersvorsorge durch die Inflation aufgefressen würde. Aus diesem Teufelskreis gibt es nur noch einen Ausweg: Rationierung. Jeder bekommt das Gleiche, zugeteilt vom Staat.

Wenn Deutsche das Wort „Rationierung“ hören, drängen sich den meisten sofort die tristen Bilder aus der Nachkriegszeit auf, als Millionen hungern mussten. Doch diese Analogien führen in die Irre. Obwohl die deutsche Wirtschaft schrumpfen muss, um klimaneutral zu sein, wären wir immer noch sehr wohlhabend. Niemand müsste um sein Überleben kämpfen, und die Rationen könnten durchaus üppig ausfallen.

Was das mit dem Jahr 1978 zu tun hat

Bisher gibt es keine Modelle, wie ein „grünes Schrumpfen“ aussehen könnte. Aber es ist unwahrscheinlich, dass wir auf mehr als die Hälfte unserer Wirtschaftsleistung verzichten müssten. Wahrscheinlich reichen schon geringere Einbußen, um klimaneutral zu werden. Aber selbst wenn sich die Wirtschaftsleistung halbierte, wären wir immer noch so reich wie Westdeutschland im Jahr 1978. Wer damals dabei war, weiß, dass wir genauso glücklich waren wie heute. Es war übrigens das Jahr, in dem Argentinien zum ersten Mal Fußballweltmeister wurde. Also alles sehr vertraut.

Sind weniger Waren im Umlauf, kommt es zu extremer Inflation. In der Folge müssten wichtige Basisgüter rationiert werden

Auf den ersten Blick mag es wie ein Widerspruch erscheinen, dass wir beim „grünen Schrumpfen“ durchaus wohlhabend bleiben und dennoch Rationierungen nötig werden. Aber das Problem ist nicht das Niveau der Güter – sondern der Prozess des Schrumpfens. Es ist fast egal, ob es nur ein kleiner oder ein sehr großer Einbruch ist.

Sobald die Waren dauerhaft weniger werden, kommt es zu Inflation, Ungleichheit und Verteilungsproblemen. Wenn es weitgehend gerecht zugehen soll, müssen die wichtigen Basisgüter rationiert und zugeteilt werden – also Wohnraum, Bahnfahrten und so aufwendige Lebensmittel wie Fleisch.

Welche Konsequenzen es hätte

Der Sozialstaat, wie wir ihn heute kennen, würde sich weitgehend erübrigen. Es gäbe keine großen Unterschiede mehr zwischen Renten oder einer Arbeitslosenversicherung. Die Rationen wären für alle gleich. Trotzdem sollte man nicht glauben, dass die Ära eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ naht, in der jeder frei Haus Rationen beanspruchen kann. Dazu sind Erwerbsfähige künftig zu knapp. Es wird sehr viel Arbeit machen, Deutschland klimaneutral umzugestalten.

Die Wälder müssen wieder aufgeforstet werden, und auch der Ökolandbau benötigt sehr viel mehr Arbeitskräfte als die heutige industrialisierte Landwirtschaft, von der wir uns verabschieden müssen, wenn wir Boden, Grundwasser und Artenvielfalt schützen wollen.

Zugleich ist auch die Öko-Energie ein riesiges Infrastrukturprojekt, das sehr viele Arbeitskräfte binden wird. Es müssen Häuser gedämmt und Wärmepumpen eingebaut werden, es sind Solarpaneele und Windräder zu installieren. Der grüne Wasserstoff braucht Elektrolyseure, Gaskraftwerke und Pipelines. Große Teile der Industrie müssen umgerüstet werden. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Gesellschaft bereit ist, dringend benötigten Arbeitskräften ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ zu zahlen. Für Erwerbsfähige wird es die Rationen nur geben, wenn sie arbeiten.

„Grünes Schrumpfen“ würde die Gesellschaft so stark verändern, dass bisher alle Parteien davor zurückschrecken und lieber „grünes Wachstum“ propagieren. Das ist verständlich, bleibt aber eine Illusion. Wie gesagt: Wir Deutschen verbrauchen derzeit drei Planeten. Ohne Schrumpfen wird es nicht gehen.

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