Putins Krieg in der Ukraine: Russland ändert sein Narrativ

Der Kreml kündigt an, dass nun der Donbass militärisches Hauptziel sei. Dort wird der Anschluss an Russland ins Spiel gebracht.

Zivilsten vor einem pro-russischen Panzer in Mariupol

Zivilisten vor einem Panzer der pro-russischen Truppen in Mariupol am 18. März 2022 Foto: Alexander Ermochenko/reuters

BERLIN taz | Es klang wie das Eingeständnis einer Niederlage, als Russlands stellvertretender Generalstabschef Sergei Rudskoi am Freitag in Moskau eine positive Bilanz des ersten Kriegsmonats in der Ukraine zog. Die wichtigsten Ziele der ersten Phase der Operation seien im Allgemeinen erreicht worden, sagte Rudskoi. Die russischen Streitkräfte könnten sich nun auf das Hauptziel konzentrieren, „die Befreiung des Donbass“.

Demnach waren die russischen Großoffensiven zur Einnahme von Kiew und Charkiw und die Bombenangriffe auf Ziele in der gesamten Ukraine seit dem 24. Februar also nur Nebenkriegsschauplätze. Damals hatte Russlands Präsident Wladimir Putin seine „Sondermilitäroperation“ so erklärt: „Ihr Ziel ist der Schutz der Menschen, die seit acht Jahren Misshandlung und Genozid ausgesetzt sind. Dafür werden wir die Entmilitarisierung und die Entnazifizierung der Ukraine anstreben.“ Am Tag danach hatte er einen Putsch in Kiew gefordert.

„Rudskois Kommentar könnte darauf hindeuten, dass Russland seine Ziele zurückgefahren hat und sich jetzt mit der Kontrolle der gesamten Distrikte Donezk und Luhansk zufriedengeben würde, aber diese Lesart ist vermutlich falsch“, analysiert das „Institute for the Study of War“ in den USA. „Russische Kräfte anderswo in der Ukraine haben den Kampf nicht eingestellt.“ Die Schlussfolgerung, so die US-Analyse: „Russlands Generalstab versucht, das Kriegsnarrativ anzupassen, damit es so aussieht, als ob Russland seine Ziele erreiche und eine Einschränkung seiner Operationen beschließe. Tatsächlich erreicht es seine Ziele nicht und wird dazu gezwungen, großangelegte Offensivoperationen einzustellen, wegen seiner eigenen Fehler und Verluste sowie andauernd wirkungsvollen ukrainischen Widerstandes.“

Schon seit einigen Wochen betonen russische Beobachter des Krieges die Perspektive einer Einkesselung der ukrainischen Streitkräfte an der Front im Osten gegen die selbsternannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk. Von der Region um Mariupol nach Norden und von der Region um Charkiw nach Süden könnten russische Einheiten den gesamten Osten der Ukraine in die Zange nehmen, lauten diese Analysen.

Eine Reihe erfolgreicher ukrainischer Gegenoffensiven
Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes

„In der Tat ist das ein Versuch, Nord- und Südkorea in der Ukraine zu schaffen“

Passend dazu deutete die „Volksrepublik Luhansk“ am Sonntag die Möglichkeit eines Referendums zum Anschluss an Russland an – die „Volksrepublik“ beansprucht den gesamten Distrikt Luhansk, einschließlich des von der Ukraine kontrollierten Teils. „Ich denke, dass in naher Zukunft ein Referendum auf dem Territorium der Republik abgehalten werden wird“, sagte Volksrepublik-Anführer Leonid Passetschnik.

„In der Tat ist das ein Versuch, Nord- und Südkorea in der Ukraine zu schaffen“, sagte der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, dazu am Sonntag. Russland wolle die Ukraine aufteilen und sich den Osten einverleiben, so die Befürchtung. „Alle gefälschten Referenden in den vorübergehend besetzten Gebieten sind null und nichtig und werden keine Rechtsgültigkeit haben“, sagte der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko.

Doch sehen Militärbeobachter bislang keine größeren Verlagerungen russischer Kampfverbände von den anderen Fronten in Richtung Ostukrai­ne. Eher werden russische Verstärkungen aus dem Osten Richtung Kiew gebracht, damit die bedrängten russischen Stellungen dort nicht zusammenbrechen. Eine Reihe erfolgreicher ukrainischer Gegenoffensiven bringt seit Anfang vergangener Woche die russischen Truppen nordwestlich und nordöstlich von Kiew sowie an allen Frontabschnitten bis Charkiw in Schwierigkeiten. Am Wochenende wurden aus diesen Regionen zahlreiche Videoaufnahmen ukrainischer Truppen in frisch zurückeroberten Dörfern veröffentlicht.

Die Ukraine verzeichnet auch zahlreiche russische Gefangene, wie andere Videos belegen – darunter eines, das möglicherweise Kriegsverbrechen belegt: Ge­fesselte russische Soldaten werden zu Boden geworfen und dann beschossen, wobei der Kontext der Aufnahme nicht klar wird.

Was auch immer Russland genau plant – weiterhin ist die gesamte Ukraine vom Krieg betroffen. Am Samstag erlebte die westukrainische Metropole Lwiw die bisher schwersten russischen Raketenangriffe. Dichte schwarze Rauchwolken hingen nach Beschüssen über der Stadt. Nach russischen Angaben wurden Treibstoffdepots des ukrainischen Militärs getroffen.

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