Wie Tesla mit Krankmeldungen umgeht: Dein Chef prüft, ob du krank bist
Wer für Tesla arbeiten soll, aber stattdessen krank zu Hause ist, bekommt schon mal unangemeldet Besuch von den Chefs. Wundert das noch irgendwen?
I m Anschluss an eine Betriebsversammlung der Gigafactory von Tesla im brandenburgischen Grünheide wurde publik, dass offiziell krank gemeldeten Mitarbeiter:innen Kontrollbesuche abgestattet wurden. Der Hintergrund: Im August stieg der Krankenstand bis auf phänomenale 17 Prozent und ist damit dreimal so hoch wie in der Branche üblich.
Mögliche Ursachen gibt es viele. Die Unfall- und Verletzungsgefahr bei Tesla ist bekanntermaßen hoch, die Bezahlung schlecht, und CEO Elon Musk hasst und bekämpft Arbeitnehmervertretungen wie die Pest. Wer unter schlechten Bedingungen arbeitet, sich schlecht ernährt, lange und mühsame An- und Abfahrtswege hat, ist schon mal tatsächlich öfter krank als zum Beispiel der Autor dieser Zeilen, der, um 11 Uhr morgens noch im bequemen Nachtgewand an seinem Schreibtisch aus Palisander sitzend, zur Arbeit kolumbianischen Hochlandkaffee und Müsli aus dem Bioladen mit im Garten selbst gepflückten Himbeeren nascht (dies für die zahllosen Interessierten nur am Rande zum Making-of).
Ein weiterer Faktor könnte in einer miesen Identifikation mit dem Arbeitgeber liegen. Man stelle sich vor, der eigene Boss negiert jede Form der Regulierung, kommt mit der Rakete ins Büro, teilt viele Charaktermerkmale mit griechischen Göttern, Waschbären sowie Donald Trump, hofiert Faschisten, gilt als libertärer Rechtsaußen und ist ein pathologisch gekränkter Feind jedes zivilen Sozialbegriffs.
Er konterkariert die Vorstellung, die man von klimafreundlich(er)en Projekten und deren Protagonisten hat, ist dabei jedoch ein unangenehm leuchtendes Beispiel dafür, wie lohnenswert die Ökoindustrie auch für Megakapitalisten sein kann – für die meisten von ihnen sowieso das einzige Argument, mit dem man sie kriegt. Würde es sich für sie rentieren, Altöl im Naturschutzgebiet zu verklappen, würden sie ebendas tun.
Offenbarungseid des schlechten Gewissens
Da ziehe ich doch jeden Tag mit der Tesla-Hymne auf den Lippen frohgemut ins Werk. Nein, wer hier kontrolliert, weiß schon selbst, dass im eigenen System was faul ist; es ist im Grunde ein Offenbarungseid des schlechten Gewissens. Angesichts der exemplarischen Mischung aus Argwohn, öffentlich geschürtem Generalverdacht und Hilflosigkeit können sich die Empfänger:innen von Bürgergeld ja ebenfalls schon mal auf was gefasst machen. Kontrolle ist gut, mehr Kontrolle ist besser. Das Prinzip ist ähnlich wie in einer Diktatur: Ohne Druck, Angst und einen umfangreichen Kontrollapparat droht das System aufgrund seiner immanenten Schwächen sonst schnell instabil zu werden.
Wir malen uns gerne aus, in welcher Zahl, Attitüde und Gewandung die Schergen des Automobilbauers bei den Krankgeschriebenen vorbeischauen. Das härene Büßergewand stünde ihnen eigentlich besser zu Gesicht als den zu Kontrollierenden. Dennoch stellen wir uns die Simulantenhäscher eher als marodierendes Rollkommando vor, das mit Baseballschlägern an die Türen hämmert, während es in einem fort Sturm klingelt. Oben wird der Schornstein verschlossen, damit die Verdachtsperson sich der Kontrolle nicht durch Flucht entzieht. Rohe Gesell:innen in ausgefransten Lederkutten oder Flecktarnuniformen, am Gürtel Handschellen, Taschenlampe und Fieberthermometer, stoßen brüllend Kündigungsdrohungen aus.
Öffnen die Faulenzer:innen nicht, wird die Tür aufgebrochen und die eingebildeten Kranken werden mit den im matten Fieberglanz irrlichternden Augen zum Linoleum hin zu Boden gebracht, zack, Pyjamahose runter, und dann kommt erst einmal das Thermometer in den Popo, während der Sergeant der Werksfeldjäger die zumindest äußerliche Echtheit der Krankschreibung des hustenden Schwänzers überprüft.
Aber nein, denn Werksleiter André Thierig und Personalchef Erik Demmler sollen höchstselbst vor den Wohnstätten der Siechen und Maladen aufgetaucht sein. Das ist, als stünde der Sheriff von Nottingham persönlich in der Hütte seines Leibeigenen, um sie nach gewilderten Fasanen zu durchsuchen. So ist es immerhin auch zu erklären, dass Demmler in besagter Betriebsversammlung persönlich von „latent aggressiven“ Reaktionen der Heimgesuchten zu berichten weiß: Man habe ihm die Tür vor der Nase zugeknallt oder sogar mit der Polizei gedroht.
Auch mal an die Wirtschaft denken
Dabei seien, so die Führungskraft in weinerlicher Enttäuschung über seine undankbaren Knechte, schließlich nur dreißig der besonders auffällig lang „Erkrankten“ (Interpunktion von Tesla) sowie viele Erstbescheide unter den Überprüften.
Ach was. Ich bin also Mitarbeiter bei Tesla und melde mich zum ersten Mal krank, weil ich Krebs habe oder Cholera oder Corona (über das mein Chef, Herr Musk, irreführende Fakten auf seiner eigenen Plattform X weiterverbreitet). Und am nächsten Tag dringt ein Typ mit goldenen Manschettenknöpfen in meine Privatsphäre ein, um herauszufinden, ob ich ein arbeitsscheuer Lügner bin oder ein lügender Arbeitsscheuer. Da freue ich mich doch sicher über den hohen Besuch und habe für alles Verständnis, oder? Man muss doch auch mal an die deutsche Wirtschaft denken. Ironie aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball