Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen: Chefarzt muss seinem Arbeitgeber gehorchen
Das Klinikum Lippstadt darf Schwangerschaftsabbrüche verbieten, urteilte das Arbeitsgericht Hamm. Nun liegt eine ausführliche Begründung dafür vor.

Joachim Volz arbeitet seit 2012 als leitender Arzt für Frauenheilkunde am Klinikum Lippstadt. Dort führte er zwar keine Schwangerschaftsabbrüche nach der Fristenregelung durch, aber medizinisch erforderliche und damit rechtmäßige Abtreibungen gehörten zu seinen Aufgaben.
Nachdem die evangelische Klinik mit einem katholischen Träger fusionierte, erhielt Volz Anfang des Jahres eine Dienstanweisung, wonach Schwangerschaftsabbrüche in der Klinik grundsätzlich nicht mehr durchgeführt werden dürfen – mit der Ausnahme, „dass Leib und Leben der Mutter bzw. des ungeborenen Kindes akut bedroht sind, wenn es keine medizinisch mögliche Alternative gibt, mit der das Leben des ungeborenen Kindes gerettet werden könnte.“
Diese Ausnahme ist enger als die medizinische Indikation im Strafgesetzbuch, weil sie keine Abbrüche erfasst, bei denen die „seelische Gesundheit“ der Frau gefährdet ist. Volz verwies auf Fälle, bei denen das ungeborene Kind absehbar schwerstbehindert zur Welt kommen würde.
Mediziner wehrt sich
Volz klagte gegen die Dienstanweisung, die er für „rechtswidrig und unwirksam hielt“. Aber ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht Hamm erklärte die Dienstanweisung für „rechtmäßig“.
Die Rechtmäßigkeit der Dienstanweisung ergebe sich, so die Richter:innen in der jetzt veröffentlichten Begründung, aus dem allgemeinen Weisungsrecht des Arbeitgebers gegenüber seinen Beschäftigten, das in Paragraf 106 der Gewerbeordnung geregelt ist. Mit diesem „Direktionsrecht“ kann der Arbeitgeber auch den „Inhalt“ der Arbeitstätigkeit näher bestimmen. Im konkreten Fall konnte das Krankenhaus bestimmen, so das Arbeitsgericht, dass bestimmte ärztliche Leistungen nicht mehr erbracht werden.
Das Arbeitsgericht erwähnte zwar, dass die Weisung dem „Selbstverständnis“ der katholischen Kirche entspricht, das verfassungsrechtlich geschützt ist. Doch letztlich kam es darauf gar nicht an. In aller Deutlichkeit schreibt das Arbeitsgericht in seinem Urteil: Auch ein Arbeitgeber, der sich nicht auf den besonderen Status der katholischen Kirche berufen kann, sei „selbstverständlich berechtigt, zu entscheiden, dass im Betrieb Schwangerschaftsabbrüche nur eingeschränkt durchgeführt werden.“
Der Mediziner Volz hatte dem Direktionsrecht der Klinik entgegengehalten, es habe eine „betriebliche Übung“ gegeben, wonach alle medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. Damit habe sich die Klinik rechtlich gebunden. Doch das Arbeitsgericht verneinte mit zwei Argumenten eine entsprechende betriebliche Übung.
Gericht bügelt Einwände ab
Zum einen müsse eine betriebliche Übung für den ganzen Betrieb oder eine abgrenzbare Gruppe gelten. In Lippstadt ging es aber nur um Chefarzt Volz. Außerdem müsse sich eine betriebliche Übung, so das Gericht, auf Leistungen oder Vergünstigungen beziehen, etwa auf die Zahlung von Weihnachtsgeld. Hier aber sei es um die Bestimmung der geforderten Arbeitsleistung gegangen.
Volz hatte sich zudem darauf berufen, er habe bei Amtsantritt mit dem damaligen Geschäftsführer des Klinikums besprochen, dass er nur dann in Lippstadt als Chefarzt der Gynäkologie arbeiten werde, wenn er medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche vornehmen könne. Sein Arbeitsvertrag sei entsprechend formuliert worden. Das Arbeitsgericht ließ sich auch hiervon nicht überzeugen. Zum einen habe der Artz die Absprache erst in der mündlichen Verhandlung erwähnt, was „verspätet“ gewesen sei.
Zum anderen sei das Direktionsrecht des Arbeitgebers in Volz' Arbeitsvertrag nicht eingeschränkt worden. Die Formulierung, dass die „Verantwortung bei Diagnostik und Therapie“ beim Arzt verbleibe, beziehe sich nur auf die Fälle, die zu seinen Aufgaben gehören, so das Gericht.
In einer zweiten Dienstanweisung hatte das Klinikum Anfang des Jahres auch eine Nebentätigkeitserlaubnis für Volz eingeschränkt. So dürfe er in seiner privaten Klinik im 50 Kilometer entfernten Bielefeld auch keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen. Das Arbeitsgericht hielt auch diese Weisung vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt. Hier könne sich Volz schon deshalb nicht auf eine bestehende „betriebliche Übung“ berufen, weil Volz in seiner Bielefelder Privatklinik bisher nie Schwangerschaftsabbrüche durchführte.
Warnung vor Versorgungslücke
Keine Rolle spielte beim Arbeitsgericht das Argument von Volz, dass die Frauen der Gegend um Lippstadt kein ausreichendes Angebot für medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche mehr finden. Zwar heißt es im Schwangerschaftskonfliktgesetz: „Die Länder stellen ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen und den ungehinderten Zugang zu diesen sicher.“
Das Arbeitsgericht ging aber offensichtlich davon aus, dass sich der Arzt in einem Streit mit seinem Arbeitgeber nicht auf diese Pflicht der Bundesländer berufen konnte.
Volz kann gegen das Urteil noch Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm einlegen.
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