Urteil gegen AfD-Politiker: Im Zweifel gegen den Angeklagten
Das Landgericht Halle hat den AfD-Politiker Björn Höcke verurteilt. Ein Freispruch wäre angebrachter gewesen.
H ätten Sie gewusst, dass „Alles für Deutschland“ eine verbotene Parole aus dem Nationalsozialismus ist? Vermutlich wussten das 99,9 Prozent der Deutschen bis vor Kurzem nicht. Nun wurde aber der AfD-Politiker Björn Höcke wegen Verwendung dieser Losung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen, insgesamt 13.000 Euro, verurteilt.
Entscheidend in diesem Prozess war die Frage, ob Höcke bei seiner Wahlkampfrede 2021 in Merseburg wusste, dass „Alles für Deutschland“ eine Losung der NS-Sturmabteilung (SA) war. Höcke bestritt das.
Gegen Höcke sprach, dass er Geschichtslehrer ist und vielleicht mehr NS-Losungen kennt als wir Durchschnittsdeutschen. Außerdem benutzt Höcke regelmäßig Begriffe mit NS-Hintergrund, scheint sich in diesem Fundus also bewusst zu bedienen. Schließlich gab es vor Höckes Rede in der AfD schon mehrere Vorfälle, bei denen diese Losung für Ärger sorgte. Gut möglich, dass Höcke hiervon gehört hatte, er hat aber auch dies bestritten.
Das Gericht sagte in seiner knappen Urteilsbegründung letztlich nur, dass es Höcke nicht glaubt. Das ist etwas dünn in einer Frage, auf die es in diesem Prozess doch gerade ankam. Denn für eine rechtsstaatliche Verurteilung genügt es ja nicht, dass ein bewusstes Einsetzen von NS-Slogans zu Höcke passt oder dass man ihm dies zutrauen würde.
Für das Vertrauen in die Justiz nicht dienlich
Dass Höcke die Parole „Alles für Deutschland“ bei einem späteren Wahlkampfauftritt in Gera erneut einsetzte – nun ganz bewusst und in Kenntnis ihres Hintergrunds – war in diesem Prozess nicht Gegenstand der Anklage, wird aber wohl zu einer erneuten (und dann besser fundierten) Verurteilung führen. Warum hat man nicht einfach auf das eindeutige zweite Verfahren gewartet?
Für Fälle wie den jetzigen gibt es eigentlich die rechtsstaatliche Maxime „im Zweifel für den Angeklagten“. Bei Äußerungsdelikten gilt zusätzlich die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, dass Äußerungen nach Möglichkeit so auszulegen sind, dass sie nicht strafbar sind. Ein Freispruch hätte deshalb eher nahegelegen als eine Verurteilung.
Erst recht wäre Zurückhaltung angebracht gewesen, wenn man den Kontext des Strafverfahrens betrachtet. Im September wird in Thüringen gewählt, Björn Höcke ist Spitzenkandidat der Partei, die nach aktuellen Umfragen die meisten Stimmen erhalten wird – über deren Verbot aber gleichzeitig auch diskutiert wird. Dass eine Verurteilung ohne klare Beweislage in diesem Umfeld das Vertrauen in die Justiz nicht gerade erhöht, liegt auf der Hand. Leider.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“