Ukraine-Solidarität in Südamerika: Realitätscheck für Olaf Scholz
Lateinamerika will sich im Ukrainekrieg auf keine Seite schlagen. Enttäuschung darüber ist fehl am Platz – Engagement aus Europa hat man dort lange vermisst.
D ie Reise des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz nach Argentinien, Chile und Brasilien, also in die drei politisch und wirtschaftlich bedeutsamsten Länder Südamerikas, ist zu einem Realitätscheck geworden. Alle drei Länder sind progressiv regiert, die Präsidenten kommen aus Parteien, die Scholz’ Sozialdemokratie nahestehen – aber beim Versuch, sie in die Solidarität mit der angegriffenen Ukraine einzubinden, beißt Scholz auf Granit.
Zwar haben alle drei Länder in der UN-Vollversammlung Anfang März 2022 den russischen Einmarsch in die Ukraine verurteilt, auch wenn Gabriel Boric in Chile und Luis Inácio Lula da Silva in Brasilien da noch gar nicht im Amt waren. Aber keines von ihnen ließ sich in die internationalen Sanktionen gegen Russland einbinden, und nicht nur die drei, sondern vermutlich kein einziges lateinamerikanisches Land würde heute Waffenlieferungen an die Ukraine zustimmen.
Das liegt nicht daran, dass die drei Regierungen ideologisch irgendwelche Bedenken gegen das Recht auf Verteidigung hätten, der Meinung wären, es sei in Ordnung, Nachbarländer zu überfallen, oder Putins antiliberalem völkisch-machistischem Ideenersatz etwas abgewinnen könnten.
Was bei diesem Besuch aufscheint, insbesondere bei der bemerkenswerten Pressekonferenz von Scholz und Brasiliens Lula da Silva, ist etwas anderes: Erstens: Bei allem Interesse an wirtschafts- und energiepolitischer Kooperation mit Europa wollen sich die lateinamerikanischen Staaten in der neu aufkommenden Blockkonfrontation auf keine Seite schlagen.
Denn was Deutschland seit einem Jahr diskutiert, zu große Abhängigkeit von Russland und China, kennt Lateinamerika im Verhältnis zu den USA schon viel länger. Das Auftreten Europas, aber eben auch Chinas und in sehr eingeschränktem Maße auch Russlands nach dem Ende des Kalten Krieges hat Handlungsspielräume und Alternativen eröffnet, die man nicht wieder schließen will.
Zweitens aber auch: Mit Sputnik, RT und dem in Venezuela beheimateten Telesur gibt es gleich drei größere Medienplattformen, die in ganz Lateinamerika tagesaktuell russische Positionen verbreiten. Aufsetzend auf ein westliches Glaubwürdigkeitsproblem angesichts der früheren Unterstützung aller noch so brutalen lateinamerikanischen Militärdiktaturen fällt es nicht schwer, alternative Diskurse populär zu machen, wie sie jetzt Brasiliens Präsident in der Pressekonferenz zum Besten gab.
Eine regelbasierte Außen-, Militär- und Menschenrechtspolitik, wie sie Europa jetzt zu Recht in der Ukraine verteidigt, hat Lateinamerika weder von den USA noch von Europa erfahren, im Gegenteil. Eine Äquidistanz zu beiden kriegführenden Parteien, wie sie Lula andeutet, ist da noch das Beste, was der Westen erwarten kann.
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