Tunnel in Gaza: Wasser könnte Waffe werden
Die Kämpfe im Süden des Gazastreifens erreichen einen Höhepunkt. Die Tunnel der Hamas könnten zudem geflutet werden – mit schlimmen Folgen.
Die Blicke richten sich vor allem auf den Süden des Küstenstreifens, wo sich ein Großteil der rund zwei Millionen Gaza-Palästinenser*innen auf engem Raum gesammelt hat. Die WHO teilte am Dienstag mit, statt medizinisches Material auszuliefern, habe sie Hals über Kopf zwei Lagerhäuser in der Stadt Chan Junis räumen müssen, in deren Zentrum die israelische Armee am Dienstag vorrückte. Laut UN-Nothilfsorganisation Ocha wurde die Verteilung von Hilfsgütern im gesamten Gouvernement Chan Junis „weitgehend eingestellt“. Zehntausende hätten sich weiter geflüchtet in Richtung ägyptischer Grenze.
„Die meisten Menschen, die ich getroffen habe, wurden schon mehrmals vertrieben“, erklärte Mirjana Spoljaric, Präsidentin des internationalen Rotkreuz-Komitees (ICRC), die sich zuletzt selbst im Gazastreifen aufhielt. „Ich habe Menschen getroffen, die ein Bein verloren haben, weil sie zwischen den Behandlungen evakuiert werden mussten.“ Spoljaric warnte in einem Statement: „Ich rufe alle Parteien auf, zu deeskalieren und andere als militärische Lösungen für das unermessliche Leid zu finden. Es muss eine politische Lösung geben.“
Nach mehr als zwei Monaten Krieg sind die Kämpfe im Süden derzeit noch härter als im Norden. Ein israelischer Armeesprecher bezeichnete den Dienstag als den „intensivsten Tag seit Beginn der Bodenoffensive“.
Während der Beschuss aus dem Gazastreifen anhält – am Dienstag schlug eine Rakete im israelischen Aschkelon ein –, hält Israel an seiner Kriegsstrategie fest: sowohl an dem Ziel, die Hamas zu eliminieren, als auch an der Kriegsführung, erst massiv aus der Luft zu bombardieren und dann Bodentruppen zu schicken. Im Süden des Gazastreifens sollen sich nicht nur Teile der Hamas-Führung, sondern auch rund 20.000 Hamas-Kämpfer aufhalten.
Flutung und ihre Folgen
Eine besondere Herausforderung ist das Tunnelsystem der Hamas in Gaza. Israel gibt an, mehr als 800 Tunnelschächte vor allem im nördlichen Gazastreifen entdeckt und davon rund 500 bereits zerstört zu haben. „Die Schächte befanden sich in zivilen Gebieten, viele davon in der Nähe oder innerhalb von Bildungseinrichtungen, Kindergärten, Moscheen und Spielplätzen“, so ein Armeesprecher.
Die Kriegsführung in Tunneln ist auch für eine moderne Armee wie die israelische schwierig – in diesem Fall insbesondere auch deshalb, weil in den Tunneln die mehr als 130 israelischen Geiseln vermutet werden, die sich weiter in der Gewalt der Hamas und anderer Gruppen befinden. Eine Flutung der Tunnel etwa – ein bewährtes Mittel der Kriegsführung – würde diese in Gefahr bringen. Die Hamas dürfte Geiseln gezielt einsetzen, um Israel von einer Flutung abzuhalten.
Dennoch scheint diese Option nicht ausgeschlossen: Einem Bericht des Wall Street Journal zufolge, der auf US-Quellen beruht, hat Israel ein System gebaut, mit dem Wasser aus dem Mittelmeer in die Tunnel gepumpt werden könnte. So würden diese zum Einsturz gebracht und die Kämpfer aus ihren Verstecken getrieben werden. Die Montage von fünf Meerwasserpumpen sei Mitte November abgeschlossen worden, heißt es in dem Bericht. Die komplette Flutung würde jedoch mehrere Wochen dauern.
Allerdings vermuten Beobachter*innen, dass Israel längst nicht alle Tunnel kennt. Das Wall Street Journal weist auf weitere Ungewissheiten hin: Es sei „nicht sicher, wie erfolgreich das Fluten wäre, da niemand die Details der Tunnel und des Bodens kennt“, zitiert es eine Quelle, die mit den Plänen vertraut sein soll. Neben Gebäuden könnte auch das Grundwasser Schaden nehmen. Meerwasser, aber auch gefährliche Stoffe könnten eindringen.
2015 hatte das ägyptische Militär mehrere Schmugglertunnel geflutet. Die damalige Aktion hatte allerdings ein weit geringeres Ausmaß, als es eine Flutung des gesamten Tunnelnetzwerks hätte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl