Studie zu Kapitalismus und Umweltpolitik: Wachstum, ein Dilemma
Wieder scheitert eine Studie, die zeigen will, dass „grünes Wachstum“ möglich ist. Es bleibt unklar, wie man ohne Crash auf Wachstum verzichtet.
D ie Coronapandemie machte das Undenkbare denkbar: Plötzlich flogen keine Flugzeuge mehr, der Ausstoß an Treibhausgasen sank rapide und Öl wurde zeitweilig zur Ramschware. Die Globalisierung schien beendet, und es wirkte, als wäre ein Weg gefunden, der zu mehr Nachhaltigkeit führte.
Doch dieser Schein trügt. Die Coronakrise zeigt nicht, wie man den Kapitalismus verlassen kann – sondern beweist im Gegenteil, dass unser Wirtschaftssystem zum Wachstum verdammt ist. Die Lockdowns dauerten bisher nur einige Wochen, dennoch sind die Coronaschäden schon jetzt immens. Längst wären viele Unternehmen pleite und fast alle Beschäftigten arbeitslos, wenn der Staat nicht permanent neue Hilfsprogramme auflegen würde, um die Wirtschaft zu stabilisieren.
Momentan besteht der Trick darin, neues Geld zu „drucken“, indem der Staat Kredite aufnimmt. Im wahrsten Sinne des Wortes wird die Coronakrise mit Geld zugeschüttet. Allein in Deutschland dürften Schulden von weit mehr als 500 Milliarden Euro auflaufen. Es ist unmöglich, diese gigantischen Summen zu tilgen und zurückzuzahlen. Stattdessen setzt man auf Wachstum. Sobald die Wirtschaftsleistung steigt, verlieren die Schulden an Relevanz – bis sie irgendwann vergessen sind.
Bleibt ein Problem: Die KlimaschützerInnen haben ja recht damit, dass man in einer endlichen Welt nicht unendlich wachsen kann. Die Europäer hinterlassen einen ökologischen Fußabdruck, als könnten sie drei Planeten verbrauchen, aber bekanntlich gibt es nur die eine Erde.
Was also tun? Jedenfalls wäre es keine Lösung, jetzt einfach auf Wachstum zu verzichten – auf dass die Coronakrise ihren Lauf nähme. Millionen Deutsche wären dann arbeitslos, und aus historischer Erfahrung weiß man, dass Verzweifelte dazu neigen, rechtsradikal zu wählen.
Wer aus dem Wachstum aussteigen will, braucht einen Plan. Doch dieses Konzept fehlt bisher. Stattdessen hoffen die Regierungen, dass sie Wirtschaft und Umwelt langfristig versöhnen könnten. Die Stichworte heißen Green New Deal oder Entkopplung von Wachstum und Energie. Auch in den jetzigen Pandemiezeiten wird intensiv diskutiert, wie „grünes Wachstum“ gelingen könnte.
Angeblich wäre es sogar billig, die Welt zu retten. Die meisten Studien gehen davon aus, dass der Klimaschutz nur etwa 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten würde. Fragt sich bloß, warum sich in der Umweltpolitik so wenig tut, wenn sie doch fast umsonst wäre. Irgendwo muss sich ein erhebliches Problem verbergen.
Um diesem Problem auf die Spur zu kommen, lohnt es sich, die neueste Studie zu betrachten, die grünes Wachstum propagiert. Sie heißt „Klimaneutrales Deutschland“; Auftraggeber ist die Stiftung Klimaneutralität, die von Rainer Baake geleitet wird.
Baake ist einer der wichtigsten Umweltpolitiker Deutschlands. Um nur zwei seiner Stationen zu nennen: Von 1998 bis 2005 war er Staatssekretär des grünen Umweltministers Trittin und wesentlich am Erneuerbare-Energien-Gesetz beteiligt. Von 2014 bis 2018 war Baake dann Staatssekretär bei SPD-Wirtschaftsminister Gabriel – eine einzigartige Karriere für einen Grünen.
Mit seiner Studie will Baake die Grünen aus einem Dilemma befreien: Die Partei bekennt sich klar zum Klimaschutz, aber das grüne Programm reicht nicht aus, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Also will Baake zeigen, wie eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2050 machbar wäre – ohne dass man das Wachstum reduzieren müsste. Denn Baake weiß natürlich auch, dass „Verzicht“ bei Wählern enorm unpopulär ist.
Die Studie malt daher ein rosarotes Bild. In der Einleitung heißt es: Klimaschutz sei „vergleichbar mit dem Wirtschaftswunder in den 1950er/60er Jahren“. Diese Aussage ist so unsinnig, dass es schmerzt. Im „Wirtschaftswunder“ lagen die jährlichen Wachstumsraten bei 5 Prozent pro Kopf. Damals vervierfachte sich die westdeutsche Wirtschaftsleistung in nur 25 Jahren. Das ist heute weder möglich noch wünschenswert. Man stelle sich einmal vor, Deutschland würde anteilig acht bis zwölf Planeten verbrauchen – statt wie derzeit drei.
Nun sollte man Einleitungen nicht überbewerten. Aber ähnlich salopp ist die gesamte Studie, wenn es um das Thema Wachstum geht. Mal wird unterstellt, dass die deutsche Wirtschaft bis 2050 jährlich um 1,3 Prozent zulegt (Seite 12), später soll es nur 1 Prozent sein (Seite 42). Diese Differenz klingt unerheblich, würde aber 2050 einen Unterschied von etwa zehn Prozentpunkten bedeuten.
Schlimmer: In Wahrheit kann die Studie nichts über künftige Wachstumsraten sagen. Auf Seite 15 findet sich der verräterische Satz: „Die ökonomischen Effekte der Klimaschutzmaßnahmen wurden nicht explizit untersucht.“ Stattdessen wird auf eine Untersuchung vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) verwiesen, die 2018 erschienen ist und Wachstum angeblich näher untersucht. Nach Lektüre dieser weiteren Studie fühlt man sich an die berühmten russischen Puppen erinnert: Wer eine Matroschka öffnet, ist so schlau wie vorher, weil sich dort die gleiche Puppe findet, nur kleiner.
Der Irrwitz zeigt sich gut beim Thema Auto: Die Pkw-Zahl in Deutschland muss von rund 47 auf 30 Millionen zurückgehen, wenn der Klimaschutz gelingen soll. Trotzdem nimmt die BDI-Studie an, dass die deutsche Autoindustrie um jährlich 1,2 Prozent wächst. Wie soll das denn gehen?
Wachstum ist ein Dilemma. Am Wachstum hängen Arbeitsplätze, Investitionen, Gewinne, Renten, Schulden und Vermögen. Also alles. Gleichzeitig kann man in einer endlichen Welt aber nicht unendlich wachsen. Doch bisher hat niemand gezeigt, wie man aus dem Wachstum aussteigen kann, ohne dass es zum Crash käme. So bleibt zu hoffen, dass Baake bald eine neue Studie in Auftrag gibt, die diese offenen Fragen ernsthaft angeht.
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