Studie über Montagsdemonstrationen: Russlandverständnis und Grünenhass

Teilnehmende der rechten Montagsdemos haben ein grundlegend anderes Verständnis von Demokratie. Eine neue Studie zu ihren Beweggründen.

Zwei Personen mit Russlandfahnen

Russlandversteher auf einer „Montagsdemo“ im thüringischen Nordhausen Foto: Marco Kneise/imago

LEIPZIG taz | Die Teilnehmenden der rechten Montagsdemonstrationen, die vor allem im Osten des Landes stattfinden, haben ein grundlegend anderes Verständnis von Demokratie und ein anderes Bild von Deutschland als die Mehrheitsgesellschaft. Sie vereint eine tief sitzende Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Das geht aus einer Studie des unabhängigen Thinktanks Progressives Zentrum und der Bertelsmann Stiftung hervor, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.

Demnach ist das Deutschlandbild der Teilnehmenden oft nationalistisch geprägt: Verantwortung trage Deutschland zuallererst für das Wohlergehen der Deutschen, nicht für das der Ukrai­ne­r:in­nen oder Menschen anderer Nationen. Den Befragten zufolge solle Demokratie möglichst direkt sein, „der Volkswille“ müsse über Volksabstimmungen erhoben und durch „Volksvertreter“ umgesetzt werden.

Für die Studie waren zwei Forscherteams an jeweils drei Montagen im November 2022 und Januar 2023 auf Demonstrationen in Gera und Chemnitz unterwegs und haben 195 Interviews mit 257 Personen geführt. Im Fokus standen dabei nicht die Organisator:innen, sondern jene Demonstrierenden, die sich weder dem äußeren Anschein nach noch durch Redebeiträge oder Transparente der rechtsradikalen Szene zuordnen ließen.

Unzufriedenheit über den Umgang mit dem Ukraine-Krieg

Die Forscherteams fragten die Teilnehmenden, warum sie demonstrieren gehen, welche Erwartungen sie an die Politik haben und welchen politischen Ak­teu­r:in­nen sie zutrauen, Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zu finden.

Der am häufigsten genannte Grund für die Teilnahme an den Demos sei die Kritik am Umgang der Bundesregierung mit dem Ukraine-Krieg gewesen, gefolgt von Unzufriedenheit über die Corona-Politik. In fast der Hälfte der Interviews gaben die Befragten an, sich während der Hochzeit der Pandemie den Protesten angeschlossen zu haben.

Auch die Energiekrise sei ein Faktor, der die Befragten zur Teilnahme an den Demos motiviere, aber bei Weitem nicht der bestimmende. Sorgen aufgrund der erhöhten Preise spielten für die Demonstrierenden eine untergeordnete Rolle, heißt es in der Studie. In knapp zwölf Prozent der Interviews nannten die Befragten Ost-West-Gegensätze oder ostdeutsche Erfahrungen als Grund für die Teilnahme an den Demos.

Verständnis gegenüber Russland

Im Hinblick auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine seien viele Demonstrierenden der Ansicht, dass dies nicht „unser Krieg“ sei und Russland „nicht der Feind“. Hingegen sähen sie die USA als „Strippenzieher“. Viele der Befragten fänden, die Nato-Osterweiterung sei unrechtmäßig erfolgt.

Der Studie zufolge würden „nahezu sämtliche“ In­ter­view­part­ne­r:in­nen die Meinung vertreten, dass es keine Zukunft ohne Russland gebe und daher so schnell wie möglich freundschaftliche Beziehungen hergestellt werden müssten. „Ostdeutschland wird dabei als abhängiger von Russland beschrieben als der Westen“, schreiben die Au­to­r:in­nen der Studie.

Besonders stark sorgten sich die Befragten um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Viele glaubten, die Sanktionen gegen Russland träfen in erster Linie die deutsche Wirtschaft. Neben den Sanktionen lehnten die Befragten auch Waffen- und Panzerlieferungen ab, weil sie eine Kriegsbeteiligung Deutschlands fürchteten.

Scharfe Kritik an den Grünen

Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die Demonstrierenden Parteien und Po­li­ti­ke­r:in­nen misstrauen. Vor allem die Grünen kritisierten die Befragten scharf. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sowie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck würden den Demonstrierenden zufolge ihre eigenen Werte verraten.

Für viele Befragte seien die Grünen für die „schlechten wirtschaftlichen Aussichten“ verantwortlich. Klimapolitische Maßnahmen wie der schnelle Umstieg auf erneuerbare Energie würden den Industriestandort Deutschland gefährden. Im Gegensatz zu den Grünen hätten die Befragten die anderen Regierungsparteien FDP und SPD so gut wie gar nicht erwähnt, heißt es in der Studie.

Auf die Frage, welchen Po­li­ti­ke­r:in­nen sie Lösungen auf die aktuellen Herausforderungen zutrauen, nannten die Befragten in mehr als 30 Prozent der Interviews die umstrittene Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht und in fast 20 Prozent der Interviews Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion.

Forderung nach mehr politischer Bildung

Der AfD selbst wiederum werde – trotz der Akzeptanz zahlreicher Positionen – nur bedingt eine Lösungskompetenz zugeschrieben, heißt es in der Studie. In fast 40 Prozent der Interviews gaben die Befragten an, keiner Partei und keinen Po­li­ti­ke­r:in­nen Lösungen zuzutrauen.

Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag, Hanka Kliese, findet „die starke Fokussierung der Kritik auf Einzelpersonen“ besorgniserregend. Bemerkenswert hingegen sei, „dass der AfD als Partei selbst weniger zugetraut wird, als es Wahlergebnisse vermuten lassen. Die AfD hat im Parlament enttäuscht – vor allem die eigene Klientel.“

Laut Paulina Fröhlich vom unabhängigen Berliner Thinktank „Progressives Zentrum“ müsse die Politik dringend auf das „andere Demokratieverständnis“ der Demonstrierenden reagieren. „Es braucht mehr politische Bildung. Die liberale Demokratie muss aktiv erklärt werden“, sagte die Co-Autorin der Studie am Mittwoch.

Möglicher Einfluss auf die Landtagswahlen 2024

Florian Ranft, ebenfalls Co-Autor, fordert die Regierung dazu auf, „die Machbarkeit von wohlstandssicherndem Klimaschutz“ besser zu argumentieren und kommunizieren. Schließlich lehnten die Befragten Klimaschutz nicht generell ab – sie sorgten sich nur um den Wohlstand in Deutschland.

Obwohl die Montagsdemos bei Weitem kein Massenphänomen darstellten, sagte Kai Unzicker von der Bertelsmann Stiftung, seien sie dennoch ein erhebliches Risiko für die Demokratie – „vor allem dann, wenn sie politisch und gesellschaftlich unterschätzt werden“.

Das sieht auch Co-Autor Erik Vollmann so. Er warnt davor, dass es den Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen der Demos gelingen könnte, bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Sommer und Herbst 2024 „Diskurse antidemokratisch zu prägen“.

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