Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Kämpfen für den Frieden

Pazifisten, die Zhadan als Militaristen und Völkerhasser bezeichnen, haben ihn nicht verstanden. Eine Replik auf den Kommentar von Franz Alt.

Der Künstler Serhij Zhadan tippt auf einer alten Schreibmaschine

Vom Deutschen Buchhandel zu recht mit dem Friedenspreis geehrt: Serhij Zhadan Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Wer das Morden, das Metzeln und den Vernichtungswillen seitens der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt und für den dabei empfundenen Ekel, für Abscheu und Hass drastische Worte findet, dem sollte man erst einmal Verständnis entgegenbringen. Serhij Zhadan wählt in seinem Kriegstagebuch „Himmel über Charkiw“ krasse Worte, er schreibt über russische Soldaten als „Abschaum“, „Unrat“ und „Barbaren“.

Wer das zitiert, sollte auch die Kontexte nennen: Es geht um den Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk, um Raketen, die unweit von Zhadans Wohnung einschlagen, um reihenweise ermordete Zivilisten. Um Butscha. Oder eben: um Barbarei. Einige, wie Franz Alt in der taz, halten Zhadan nun für keinen würdigen Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.

Nicht nur wegen seiner Wortwahl, sondern auch, weil er sich bedingungslos hinter die ukrainische Armee stellt und damit sicher nicht nur Leute unterstützt, die politisch unverfänglich sind. Doch aus der deutschen „Komfortzone“ (Zhadan) heraus, in der die aktuell dringlichsten Probleme 19 Grad Raumtemperatur und Heizkostenrechnungen sind, lassen sich derlei Urteile auch bequem fällen.

Als Erstes sollte man das Missverständnis aufklären, Zhadan werde „für“ seinen „Hass im Krieg“ geehrt, wie Alt impliziert. Der ukrainische Autor wird für sein Wirken und Werk ausgezeichnet, für Romane wie „Internat“ (2017), der ebendiese Verrohung, Verfinsterung und Verkommenheit im Krieg dicht nachzeichnet. Für die Gedichte in „Antenne“ (2020), in denen er die westliche Ignoranz seinem Land gegenüber anprangert. Dafür, dass er vor Kindern in der Charkiwer Metro Konzerte spielt.

Auszeichnung auch für Humanität

Und, ja, auch dafür, dass er unermüdlich Geld für Hilfsgüter und die Armee sammelt. Für Humanität. Das Wichtigste zu „Himmel über Charkiw“ sagte Zhadan während der Pressekonferenz bei der Frankfurter Buchmesse: „Ich glaube nicht, dass Wut und Hass in dem Buch die zentrale Rolle spielen“, erklärte er. Damit hat er recht. Die Worte des Hasses werden von deutschen Pazifisten aus diesem Werk mit der Pinzette herausgepickt und unter dem Mikroskop gewendet.

Und: „Vielleicht kann man das [die hasserfüllte Reaktion] verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch von einer Rakete getötet wird. Das ist nicht der Moment für politisch korrekte Worte.“ Auch die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk konstatierte in Frankfurt, wie gefühlskalt sie geworden sei. Zhadan sagt, er glaube nicht, dass sich die Ukrainer für ihre emotionalen Worte rechtfertigen müssten.

In seinem Buch – einfach mal den Epilog lesen – setzt er sich differenziert mit dem Sprachverlust auseinander. „Himmel über Charkiw“ sieht er nicht als literarisches Werk. Es sind Facebook-Posts, die ungefiltert seine Kriegswahrnehmung wiedergeben, als solche betrachtet er sie: Ansichten einer Kriegspartei. Sein Verlag machte ein Buch daraus.

Nicht allein Putins Krieg

Er sei keinesfalls russophob, und doch hält er den Krieg nicht bloß für „Putins Krieg“, sondern für einen, der von vielen propagandaverstrahlten Russinnen und Russen mitgetragen wird. Das sehen regimekritische russische Men­schen­recht­le­r:in­nen und Au­to­r:in­nen nicht anders.

Man lese einmal den russischen Autor Arkadi Babtschenko („Im Rausch“), auch der schreibt sich in Rage über seine Landsleute als „Schweinehunde“ und darüber, „dass sich ein ganzes Volk innerhalb weniger Jahre in eine Masse von Charakteridioten verwandeln lässt“. Er vergleicht den Putin’schen Propagandaerfolg mit dem Goebbels’schen. Wollen die deutschen Pazifisten etwa, dass man die Faschisten auch noch mit netten Adjektiven streichelt?

Wer aus Zhadan einen Militaristen und Völkerhasser macht, verkehrt die Verhältnisse. In seiner Friedenspreisrede sagte Zhadan: „Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.“ Klarer geht’s nicht. In seiner Heimatstadt Charkiw liest er regelmäßig vor Soldaten und gibt mit seiner Band Konzerte. Er ist auch vor Bataillonen aufgetreten, die dem ultranationalistischen und rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden.

Die Situation gibt es nicht anders her. Ein Rechter ist er deshalb noch lange nicht, wer ihn dazu macht, dient der russischen Propaganda. Schon 2014, in der Debatte über Rechtsextremisten beim Euromaidan, unterschrieb er eine Erklärung mit dem Wortlaut: „Wir sind friedliche Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft aus verschiedenen Regionen der Ukraine. Wir sympathisieren nicht mit den rechtsradikalen Organisationen.“

Auf die Frage, ob er sich als Nationalist oder Patriot bezeichne, sagte er dem Calvert Journal: „Ich bin kein Nationalist. Ein Patriot – das ja.“ Doch der Begriff Patriot sei in der Ukraine anders konnotiert als in Westeuropa oder den USA. Die Differenz zwischen der westeuropäischen und der ukrainischen Perspektive kann man dabei gar nicht oft genug betonen. Man wird den Eindruck nicht los, dass in Deutschland immer auch die Perspektive des Aggressors eingenommen wird.

Der Historiker und Osteuropaexperte Karl Schlögel sagte in Frankfurt alles Wesentliche dazu: Selten seien die Fragen von Schuld und Unschuld, von Täter und Opfer, von Aggressor und Angegriffenem so eindeutig wie in diesem Krieg. Nun wird ein großer, hochproduktiver Autor auf einige wenige Social-Media-Posts oder auf einen Auftritt vor den falschen Leuten reduziert. Man kann sich vom Sofa aus natürlich einen Friedenspreisträger mit blütenweißer Weste und Friedenstaube auf der Schulter wünschen.

Das ist Serhij Zhadan nicht. In seiner Friedenspreisrede sprach er von schmutzigen, schwarzen Händen, vom Leichentransport, von dem Gestank der Toten. Der Krieg ist grausam, es gibt ihn nicht ohne Widersprüche. Es ist bezeichnend und es ist eine gute Entscheidung, Serhij Zhadan mit dem Friedenspreis auszuzeichnen.

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ist freier Journalist und Autor. Er schreibt vor allem über Musik, Literatur, Sport, Gesellschaftsthemen. Arbeitet seit 2011 für die taz, derzeit auch als Redakteur im Wochenend­ressort.

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