Spekulation und Wohnungsnot: Alles nur gekauft
Wohnraum wird zunehmend als Kapitalanlage genutzt, zeigt eine Studie. Konzerne wie Vonovia verschärfen die Wohnungskrise, Obdachlosigkeit nimmt zu.
Große Wohnungskonzerne wie Vonovia, LEG Immobilien oder Grand City Properties wirtschaften nicht im Interesse des Gemeinwohls, sondern im Interesse ihrer Aktionäre. Diesen wiederum liegt nicht die Versorgung der Allgemeinheit mit ausreichend bezahlbarem Wohnraum am Herzen, sondern die Maximierung ihrer Renditen. Das stellt Finanzwende Recherche, eine Tochter der Bürgerbewegung Finanzwende, in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie fest.
Dieses Ergebnis überrascht nicht. Aber mit Blick auf vergebliche Baugipfel, deren Akteure immer noch auf konstruktive Lösungen seitens der Privatwirtschaft hoffen, kann man das nach Jahren öffentlicher Debatte mittlerweile Banale nicht oft genug erwähnen – insbesondere dann, wenn die Veröffentlichung dieser Studie mit der Meldung zusammenfällt, dass die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland 2022 deutlich gestiegen ist.
Nach Hochrechnungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) lag sie im vorigen Jahr bei 607.000 gegenüber 383.000 im Jahr 2021. „Fehlender bezahlbarer Wohnraum bleibt der Hauptgrund für die Wohnungsnot in Deutschland“, sagt dazu BAGW-Geschäftsführerin Werena Rosenke. Die Studie von Finanzwende analysiert dabei auch die Mechanismen und Unternehmenspraktiken hinter dem Phänomen der sogenannten Finanzialisierung des Wohnens. Finanzialisierung bedeutet, dass Immobilien zunehmend als Finanzanlagen genutzt werden, was den Zweck von Wohnungen verändert: Sie dienen nicht mehr primär dazu, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern das Renditestreben von Anlegern.
Lagen in Folge der Finanzkrise die Immobilienkäufe in Europa 2009 bei relativ niedrigen 7,9 Milliarden, so stiegen sie bis 2019 wieder enorm an, auf 66,9 Milliarden Euro. In Deutschland lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung zur Miete. Zwar gehören hier bisher nur rund 13 Prozent der Mietwohnungen privatwirtschaftlichen Unternehmen; da sich Konzerne aber von angespannten Wohnungsmärkten am meisten Gewinn versprechen, hat sich die Zahl finanzialisierter Wohnungen in vielen deutschen Städten zwischen 2011 und 2018 mindestens verdoppelt. In Berlin stieg dieser Anteil von 7 Prozent im Jahr 2011 auf 16,5 Prozent 2021. Über 320.000 von knapp 2 Millionen Wohnungen in der Hauptstadt befinden sich aktuell im Besitz eines Finanzmarktakteurs. Ebenso bemerkenswert: Von jedem Euro Mieteinnahme der untersuchten Unternehmen flossen im Jahr 2021 41 Cent in Form von Dividenden an Aktionäre.
Wohnungen kaufen, anstatt neue zu bauen
Das ist möglich, weil die Konzerne Ausgaben für die Instandhaltung des Wohnungsbestandes minimieren. Dafür modernisieren sie eifrig, um so Mieten erhöhen zu können. Entscheidend ist: Diese Konzerne sind – auch ganz unabhängig von aktuellen Zinsen, Baukosten und Inflationsraten – keine Hilfe in puncto Beseitigung der Wohnungsnot: Denn sie kaufen vor allem existierende Wohnungen, anstatt neue zu bauen. Während landeseigene Wohnungsunternehmen in den letzten Jahren fast immer so viele Wohnungen gebaut wie gekauft haben, hat Vonovia in den Jahren 2017 bis 2021 für jede gebaute Wohnung 99 Wohneinheiten aufgekauft. Die anderen börsennotierten Wohnungsunternehmen haben laut Studie sogar noch weniger oder gar nicht gebaut. Die Autoren schlagen deshalb Maßnahmen vor, um Immobilien als Anlageobjekte weniger attraktiv zu machen. Auch auf die Debatte über Vergesellschaftung beziehen sie sich.
Vor zwei Jahren haben sich fast 60 Prozent der Berliner:innen beim Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen für die Vergesellschaftung von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen ausgesprochen. Nachdem eine Kommission im Juni festgestellt hat, dass dem rechtlich nichts im Weg steht, möchte die Initiative nun ein entsprechendes Gesetz entwerfen und zur Abstimmung stellen. Für die Erarbeitung des Entwurfs hat sie per Crowdfunding bereits 100.000 Euro gesammelt.
Welche Ausreden sich die Gegner:innen der Vergesellschaftung wohl ausdenken, sollte auch dieser Volksentscheid erfolgreich sein? Sicher ist: Wenn der Markt es nicht für die Menschen regelt, dann müssen die Menschen dem Markt Regeln setzen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Krisentreffen nach Sicherheitskonferenz
Macron sortiert seine Truppen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau