Scholz ruft Putin an: Guter Griff zum Telefonhörer
Bundeskanzler Scholz signalisiert Moskau, dass Deutschland für Verhandlungen bereit steht. Und die Ukraine weiter unterstützt. Beides ist richtig.
K anzler Scholz hat mit Putin telefoniert. Zum ersten Mal seit Mai. Also reden statt Kampfpanzer liefern? Da mag es wieder Häme regnen. Aber der Kanzler liegt richtig. Die derzeit auch von eher militärfernen Leitartiklern heftige herbeigesehnte Idee, dass Deutschland, anders als die USA oder andere Nato-Staaten, westliche Kampfpanzer liefert, ist ein Irrweg. Dass von deutschen Kampfpanzern Wohl und Wehe der Ukraine abhängt, ist eine fixe Idee und Selbstüberschätzung.
Es ist beruhigend, dass Scholz an der Doktrin deutscher Außenpolitik festhält, keine Alleingänge zu unternehmen. Seit die Ukraine überraschende militärische Geländegewinne gemacht hat, ist der Chor jener, die genau wissen, wie der Krieg in der Ukraine zu beenden ist, sehr laut geworden. Mit Waffen für Kiew. Jetzt sofort. Der russische Aggressor auf dem Rückzug, die unterlegene Armee der Ukraine auf dem Vormarsch – dieses Szenario mobilisiert verständlicherweise Gefühle und den dringlichen Wunsch, Putins Diktatur fallen zu sehen.
Die Forderung, mit Kampfpanzern den Kollaps in Moskau zu beschleunigen, hat etwas Fiebriges. Naht die Entscheidungsschlacht? Implodiert das Imperium? Die Fantasien haben etwas Überhitztes. Nötig ist aber ein kühler Blick auf das, was wir wissen und das, was wir nicht wissen. Der Rückzug der russischen Armee hat für Risse in Putins Gebäude aus Lügenpropaganda gesorgt.
Es gibt offene Kritik an ihm, und eine Suche nach Schuldigen für die nicht zu leugnende Niederlage – das ist neu. Dies schon für die Morgendämmerung seines Untergangs zu halten, ist äußerst voreilig. Das Regime arbeitet mit Gewalt, Repression, Mord – und die demokratische Opposition ist ohne Einfluss, Macht, Struktur. Offen ist auch, wie die militärische Reaktion aussehen wird: Wächst die Einsicht, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist – oder radikalisiert Putin den Krieg?
Keiner weiß, was Putin als Nächstes tut
Es ist schwer abschätzbar, wie irrational dieses System reagiert. Aber so zu tun, als wäre Eskalation keine Möglichkeit, ist naiv. Wenig ist in Kriegen gefährlicher als eigene Wünsche mit der Wirklichkeit zu verwechseln. Deshalb ist das Telefonat von Scholz mit Putin richtig. Es wird das verzerrte, gegen Realität hermetisch abgedichtete Weltbild Putins nicht öffnen. Aber es setzt das Signal: Verhandlungen sind möglich.
Scholz hat von Putin das Bekannte gefordert: Waffenstillstand, Rückzug der russischen Truppen, Verhandlungen. Er hat klar gemacht, dass der Westen auf eine russische Eskalation des Krieges reagieren wird. Die Botschaft lautet: Der Krieg ist für Putin nicht zu gewinnen. Der Westen wird, anders als es AfD und Teile der Linkspartei wollen, die Ukraine langfristig mit Geld, Waffen und Sanktionen gegen Russland unterstützen.
Diese Botschaft wieder und wieder zu senden, ist kein Appeasement. Im Gegenteil. Es ist richtig, das Angebot zu verhandeln zu erneuern. Denn dieser Krieg wird nicht mit einer Panzerschlacht, sondern mit Verhandlungen beendet werden.
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