Rechte Politik: Verliebt ins Ressentiment
Die ostdeutschen Anhänger der AfD und die österreichischen der FPÖ sind keine verirrten Protestwähler. Sie wollen die Gefühlsrohheit.
D er Herr ist dünnhäutig und leicht verletzlich. Er ist voller Misstrauen. Von anderen nimmt er gerne das Schlechteste an, von sich selbst dagegen stets das Beste. Er ist prinzipiell unschuldig und ebenso prinzipiell ein Opfer. Er hat eine gewisse Freude daran, andere zu quälen und zu mobben, und ist leicht in Rage zu bringen. Menschen mag er nicht wirklich.
Herbert Kickl ist Österreich. Und mit Blick auf die letzten Landtagswahlen in Ostdeutschland gesagt: Er ist offenbar auch ein Rollenmodell für Deutschland.
Womöglich verkörpert der Chef der Freiheitlichen Partei die Gegenwart des Österreichischen besser, als dem durchschnittlichen Österreicher lieb sein mag. Letzterer belügt sich ja gerne. Dann kommt eben so etwas wie Herbert Kickl heraus.
Krass und brutal
Zugegeben, das ist jetzt etwas krass und brutal gesagt. Aber krass und brutal ist wohl nicht unangemessen angesichts dessen, was am Wahlsonntag in Wien passiert ist. Die FPÖ, die sich in den vergangenen Jahren noch einmal extra radikalisiert hat, ist unter ihrem rechtsextremen Parteichef Herbert Kickl bei den Nationalratswahlen stärkste Partei geworden.
Das ist, als würde Björn Höcke Bundestagswahlen gewinnen.
Herbert Kickl ist gern gesehener Gast bei allen möglichen Hassprediger-Versammlungen. Er sieht ein wenig aus wie ein Volksschullehrer, der Briefmarken sammelt, ein bisschen auch wie eine skurrile Kreuzung aus Harry Potter und Dobby, dem Hauself. In seinen Augen ist aber etwas, was einem den Wunsch hegen lässt, mit dem Herrn dienstlich und zu Kriegszeiten lieber nichts zu tun zu haben.
Als er vor drei Jahrzehnten seine Laufbahn als Kofferträger Jörg Haiders begann, hat man ihm eine erste Aufgabe in der Bildungsanstalt der Rechtspartei übertragen. Dort fragte ihn ein Kampfgefährte nach einiger Zeit, verwirrt vom Charakter des sonderlichen Kollegen: „Wenn du hier niemanden magst, was machst du dann hier?“
Gewiss, seine Partei hat 28,8 Prozent erreicht, was natürlich heißt, 71,2 Prozent haben ihn nicht gewählt. Aber was, wenn diese relative Mehrheit von 28,8 Prozent genau das wollte, genau einen solchen – und genau die Radikalität, genau den Irrwitz, die Niedertracht, genau die Böswilligkeit und den Extremismus, für den er und seine Truppe stehen? Und was, wenn die 30 Prozent und mehr AfD-Wähler im Osten Deutschlands genau das Gleiche wollen?
Verirrte Schäfchen
Verbreitet ist die bequeme Annahme, dass die Wählerinnen und Wähler extremer Rechtsparteien nur verirrte Schäfchen seien, gebeutelt von der krisenhaften Welt, den Komplexitäten der Moderne, der ökonomischen Bedrängnis. Der Oberton dieser Annahme ist, dass an sich gutwillige Leute ziemlich schlimme Finger wählen, aber nicht wirklich vorsätzlich, als wären sie irgendwie nicht geschäftsfähige Hascherln. Als wären sie besachwaltert.
Wahrscheinlich sollte man sich mit der Tatsache anfreunden, dass die Wählerschaft dieser Parteien sich nicht einfach aus Einfältigkeit verwählt, sondern dass sie genau das wollen. Dass sich in unseren Gesellschaften die Sozialfigur des begeisterten rechtsextremen Wählers breitmacht.
Wie konnte das geschehen?
Kein Ruck sondern Erdrutsch
Diese Sozialcharakter wachsen keineswegs aus dem Nichts. Der Rechtsruck ist „kein Ruck mehr, sondern eine mittlerweile jahrzehntelange Verschiebung sämtlicher Grundprinzipien“, formulierte der Dramatiker Thomas Köck in seiner jüngst erschienenen „Chronik der laufenden Entgleisungen“. Es gibt keinen Rechtsruck, „es gibt einen Rechtserdrutsch, gesellschaftlich, der längst in vollem Gange ist“.
Dessen Boden wird genährt, lange schon, fürsorglich und hingebungsvoll. Durch jedes Wort der gezielten Bösartigkeit, was man salopp und leichtfertig die „rechten Provokationen“ nennt. Jede dieser Bösartigkeiten führte Tropfen für Tropfen mehr an Gefühlsrohheit hinzu. Man gewöhnte sich an sie.
Noch die Empörung darüber besorgte ihr Geschäft, die Rohheit bleibt im Gespräch, kommt immer mehr ins Gespräch, die einen kritisierten sie, die anderen verteidigten sie, dann wirkt sie erst als eine mögliche Meinung, die man haben kann, dann nach und nach als eine unter den Gängigen. Empört man sich, spielt man ihnen schon in die Hände und tut, was sie erhoffen, generiert Aufmerksamkeit. Bekämpft man sie „inhaltlich“, läuft man ihren „Inhalten“ hinterher. Was immer man tut, die Gefühlsrohheit leckt sich die Finger. Wenn sich alles um sie dreht, schraubt sie sich immer mehr in unsere Welt hinein.
Das ist der eigentliche Grund für das, was wie „Hilflosigkeit“ der anderen Parteien aussieht.
Lust an der Bösartigkeit
Der Ausländer? Wird zum Synonym für kriminell. Der Migrant: zum Synonym für Messerstecher. Schreit der Anführer „millionenfach abschieben“, klatscht das Publikum begeistert in die Hände. Begeistert von der eigenen Fiesheit. Lust an der Bösartigkeit. Die Anderen behandeln die Themen als „berechtigte Sorgen“, und schon wirkt die Bösartigkeit irgendwie als alltäglich.
„Rechtsradikal ist die neue Mitte. So weit alles normal“, schrieb der Filmemacher David Schalko zuletzt in der FAZ. Der Beitrag von „alternativen“ Hetzmedien und dem Aufschaukelungszusammenhang von Social Media sollte man nicht geringschätzen, ebenso wenig den von Boulevard und konventionellen Medien, die dann als Plattform der Normalisierung wirken.
In den Studien von Adorno und Co über den „autoritären Charakter“ wurden Sozialfiguren wie „der Rebell“ oder „der Spinner“ bereits als eine Randfigur faschistischer Bewegungen entdeckt, diese war aber damals gegenüber den anderen Typen des Konformistisch-Autoritären noch peripher. Heute dominiert der Typus des „konformistischen Rebellen“, der sich in der Gemeinschaft der Starken aufgehoben fühlt, den Zuspruch seiner Bubble liebt, sich geknechtet und gegängelt fühlt, alle Regeln ablehnt, sogar vernünftige.
Der mit der Meute selbsterklärter „Selbstdenker“ blökt und sich als systemkritisch wähnt. Seine Parole ist nicht: Im Stechschritt voran. Sondern: „Nicht mit mir!“
Aggression, Kraftmeierei, Destruktivität, Zynismus
Der rechtsextreme Agitator hat nicht nur Wähler, er schafft auch ein Anhängersubjekt, aufbrausend, selbstgerecht, daueraggressiv und mit Hang zur Gewaltsprache. „Autoritäre Aggression, Kraftmeierei, Destruktivität, Zynismus, (verschwörungstheoretische) Projektivität und Aberglaube“, das sind die Charakterattribute dieses Typus, die die Soziologen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey in ihrer Studie „Gekränkte Freiheit“ anführen.
Leo Löwenthal hat in seiner phänomenalen Untersuchung „Falsche Propheten“ vor beinahe neunzig Jahren die Symbiose des Anführers und Scharfmachers und seines Auditoriums schon hellsichtig beschrieben. Die schlechten Manieren, die Gewaltsprache, die obszöne Redeweise, sie gelten als Ausweis der Unangepasstheit und der Aufrichtigkeit (Kickl sagt gern, man werde den Gegnern „einen Schlag aufs Hosentürl“ versetzen).
Der Agitator muss sein Publikum im Bewusstsein stärken, hilfloses Objekt „einer permanenten Verschwörung“ zu sein. Löwenthal: „Die Anhäufung von erfundenen Schrecken auf wirkliche“ gehört ebenso zu seinem Standardrepertoire wie „die Taktik des ‚Alles-in-einen-Topf-Werfens‘“. Er aktiviert „die primitivsten … Reaktionen seiner Anhängerschaft“, er „watet in dieser Malaise, er genießt sie“, und das Publikum, das in seine Fänge gerät, verfällt zunehmend in eine „paranoide Beziehung zur Außenwelt“.
Retrospektiv geradezu spektakulär ist Löwenthals Vermutung, dass diese Form der Agitation „eine standardisierte und simplifizierte Version der ursprünglichen Nazi- und faschistischen Propagandaslogans darstellt“ und das Thema des „einfachen“ Amerikaners, „einfachen“ Franzosen vs. böswillige Eliten in jedes „Land verpflanzt werden“ könne.
Ethno-Nationalismus
Tatsächlich hat sich eine Art „globaler Stil“ des Ethno-Nationalismus herausgebildet.
In jüngerer Zeit hat die französische Philosophin und Psychoanalytikern Cynthia Fleury von Milieus voller Bitternis geschrieben. Sie spricht von einer „querulatorischen Paranoia“, einer „Vergiftung“, einer „Selbstvergiftung“ der Subjekte, die an realen, echten sozialen Problemen andockt, aber ins Maßlose eskaliert. Das „in das Ressentiment verliebte Subjekt“ erleidet einen „Verlust der Urteilsfähigkeit“. Fleury: „Eine Person, die diese Störung hat, gibt ihre Fehler nie zu, ist aggressiv und provoziert andere, hat unbeherrschte Wutausbrüche, ist pathologisch unaufrichtig, überempfindlich.“
Die extremistische Agitation schafft sich ihr Subjekt, montiert die Leute um, produziert ein Resonanzmilieu, das dann alle Überschreitungen als Befreiungen erlebt. Indem sie sich allerlei Grausamkeiten für Andere (Kritiker, Andersdenkende, Flüchtlinge, Faule, Systemlinge usw.) ausmalen, erleben sie einen gemeinsamen Lustmoment. Am Ende werden es wieder einmal ganz normale Leute gewesen sein.
Der harte Kern dieser Wählerschaft wünscht sich genau das, was er bekommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles