Flucht aus der Ukraine: Deutschland wappnet sich und hilft

1.800 Geflüchtete aus der Ukraine erreichten bisher die Bundesrepublik. Sie sollen für bis zu drei Jahre Schutz erhalten. Viele Hilfsaktionen laufen.

Helfer tragen in Erfurt Kisten mit Spenden für die Ukraine in ein Haus

Wie hier in Erfurt werden derzeit bundesweit Spenden für die Ukraine auf den Weg geschickt Foto: Martin Schutt, dpa

BERLIN taz | Sie kommen mit dem Zug, mit PKWs oder Bussen: Immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine erreichen inzwischen auch Deutschland. Ein Sprecher von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach am Montag von 1.800 Geflüchteten, die seit Kriegsbeginn hierzulande eingereist seien. Darunter sollen auch einige Menschen aus anderen Staaten sein, etwa ausländische Studierende.

Die Zahl bleibt ein Bruchteil aller Geflüchteter – laut UN sind inzwischen 500.000 Menschen aus der Ukraine auf der Flucht, die meisten davon in Nachbarländer, mehr als die Hälfte nach Polen. Mit wie vielen ukrainischen Geflüchteten in Deutschland noch zu rechnen ist, sei weiter nicht abschätzbar, erklärte Faeser zuletzt.

Den deutschen Behörden ist zudem unklar, wie viele Geflüchtete bereits bei Bekannten oder Verwandten in Deutschland untergekommen sind. Ukrai­ne­r:in­nen dürfen in den Schengenraum für 90 Tage visafrei einreisen, wenn sie einen biometrischen Pass haben – Deutschland verlängerte diese Frist nun auf 180 Tage. Auch eine Arbeitsaufnahme ist ihnen hierzulande erlaubt.

EU will Ukrai­ne­r:in­nen Schutzstatus gewähren

Die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen der EU hatten sich am Sonntagabend geeinigt, geflüchteten Ukrai­ne­r:in­nen für bis zu drei Jahre einen vorübergehenden Schutzstatus zu gewähren. Sie müssen damit kein langwieriges Asylverfahren durchlaufen. Der Europäische Rat der In­nen­mi­nis­te­r:in­nen soll dies am Donnerstag absegnen. Damit würde eine EU-Richtlinie von 2001 erstmals wieder angewendet, die damals als Reaktion auf den Balkankrieg eingeführt wurde.

Faeser lobte den „Schulterschluss“: Dass sich alle EU-Mitgliedsstaaten zur Aufnahme bereit erklärten, sei „eine starke Antwort Europas auf das furchtbare Leid, das Putin mit seinem verbrecherischen Angriffskrieg verursacht“. Auch Faeser rechnet damit, dass die meisten Ukrai­ne­r:in­nen vorerst in Nachbarländern bleiben, allen voran Polen. Dem Land bot sie bereits Hilfen an: Medizin oder Personal und Logistik des Technischen Hilfswerks.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) betonte am Montag, die EU und Deutschland würden alle ukrainischen Geflüchteten aufnehmen, auch jene ohne ukrainischen Pass. Man sei mit anderen Staaten an der Ukraine präsent, um zu helfen. Baer­bock versprach auch weitere humanitäre Hilfe. 16 Millionen Euro seien bereits auf dem Weg, dazu kämen nun noch 5 Millionen Euro über den Humanitären UN-Hilfsfonds und 10 Millionen Euro für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz.

Kommunen bereiten Unterkünfte vor

Der Bund und die Länder riefen Kommunen auf, in Erstaufnahmeeinrichtungen, Jugendherbergen oder städtischen Wohnungsgesellschaften vorsorglich Plätze freizuhalten. Krankenhäuser wurden aufgerufen, Geflüchteten Coronatests oder Impfungen anzubieten. Bisher bleiben die Zahlen aber überschaubar – offenbar weil viele Ukrai­ne­r:in­nen tatsächlich privat unterkommen. So meldete Berlin am Wochenende 235 aus der Ukraine Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen. In Sachsen waren es am Montag 41, in Brandenburg 16. Betont wurde aber, größere Kapazitäten zu haben. So war in Sachsen die Hälfte der 4.600 Unterkunftsplätze frei, in Brandenburg ebenfalls die Hälfte von 3.200.

Eine Sprecherin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sagte der taz, man gehe „aufgrund der überwältigenden Aufnahmebereitschaft der Bundesländer zurzeit nicht davon aus, dass es zu Engpässen bei der Unterbringung kommen wird“. Dies auch, weil der größte Teil der Geflüchteten wohl in den direkten Nachbarländern der Ukraine bleiben werde, die sich ebenfalls „überwältigend“ hilfsbereit zeigten.

Eine Hilfswelle läuft an

Daneben läuft in Deutschland auch eine zivilgesellschaftliche Hilfswelle an. In vielen deutschen Städten gibt es private Sammlungen von Hilfsgütern, Konvois von Vereinen, Feuerwehren oder Privatpersonen fahren an die ukrainische Grenze. Das Deutsche Rote Kreuz kündigte den Aufbau einer Versorgungslinie mit Hilfsgütern an, ein erster Transport sollte am Dienstag ins polnische Lublin aufbrechen. Ein Zusammenschluss mehrerer Initiativen, darunter die GLS Bank und Ecosia-Suchmaschine, startete eine Homepage, auf der Freiwillige Übernachtsplätze für ukrainische Geflüchtete anbieten können.

Die Bahn wiederum erklärte, dass Geflüchtete mit ukrainischem Pass ab sofort kostenlos alle Fernzüge aus Polen bis Berlin nutzen können. Eine taz-Nachfrage, was mit Flüchtenden anderer Nationalität ist, blieb vorerst unbeantwortet.

160 Kinder aus ukrainischem Kinderheim gerettet

Eine größere Rettungsaktion gab es in Freiburg. Die Evangelische Stadtmission teilte mit, dass bereits am Sonntag 157 Kinder und 32 Erwachsene aus einem evakuierten Kinderheim nahe Kiew nach 70-stündiger Busfahrt in der Stadt angekommen seien. Man sei „glücklich und erleichtert“. Die Stadtmission unterhält mit dem Kinderheim bereits seit Längerem eine Partnerschaft.

Auch Pro Asyl sprach von einer „überwältigenden“ Hilfsbereitschaft. Berichte aber, dass nicht-ukrainische Staatsangehörige an der Ausreise aus der Ukraine gehindert werden, stimmten „extrem besorgt“. Die EU-Grenzen müssten auch für andere Staatsangehörige offen sein, die als Geflüchtete oder Studierende in der Ukraine lebten. „Die Bomben machen keinen Unterschied, was Staatsangehörigkeit oder Hautfarbe betrifft, und genauso wenig darf an den Grenzen ein solcher Unterschied gemacht werden“, erklärte Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von Pro Asyl.

Die Initiative forderte auch, Ukrai­ne­r:in­nen ohne biometischen Pass eine visumsfreie Einreise ins Schengengebiet zu gewähren – da nur 19 der 44 Millionen Staatsangehörigen einen solchen Pass hätten. Auch brauche es einen formellen Abschiebestopp für alle Ukrainer:innen. Diesen hatten einige Bundesländer bereits angekündigt.

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