Oldenburger Polizei erschießt Schwarzen: Lorenz wurde nur 21
Mehrere Polizeikugeln töten den jungen Mann. Er soll vorher Polizisten mit Reizgas bedroht haben. Auslöser war eine Konfrontation vor einer Disco.

„Es war sehr schön, zu sehen, dass alle da waren, dass alle etwas dazugelegt haben und man gesehen hat, dass die Stadt an ihn denkt“, sagt Asena, eine Bekannte von Lorenz. Er sei immer lebensfroh gewesen: „Man wusste, wenn er da ist, wird er gute Laune machen.“
Neben der Trauer und der Erinnerung steht vor allem die Frage, ob die Situation unter anderen Umständen ebenfalls eskaliert wäre. Denn der Erschossene ist Schwarz. Freunde und Bekannte fordern jetzt, dass der Fall lückenlos aufgeklärt wird, und verweisen auf ähnliche Fälle, in denen nicht weiße Personen von der Polizei erschossen wurden.
Der genaue Ablauf der Ereignisse ist noch unklar. Laut Polizei wurde Lorenz in der Nacht der Eintritt in eine Diskothek verwehrt. Mehrere Augenzeug:innen berichten, wegen seiner Jogginghose sei ein Konflikt vor dem Pablo’s in der Mottenstraße entbrannt. Laut Polizei habe er schließlich einen Reizstoff in Richtung der Security-Mitarbeiter der Discothek gesprüht, was mehrere Menschen leicht verletzt haben soll. Anschließend sei er geflohen und von einer Gruppe verfolgt worden. Der Getötete soll seinen Verfolgern laut Polizei mit einem Messer gedroht haben, woraufhin sie die Verfolgung abgebrochen hätten.
Unter anderem die Bild schreibt von einem „Messer-Angreifer“ in Oldenburg. Belege, dass der Getötete ein Messer bei sich führte, geschweige denn Personen damit angegriffen hat, gibt es nach jetzigem Stand aber nicht. Die Ermittler schweigen derzeit zu der Frage, ob tatsächlich ein Messer gefunden wurde.
Anschließend sei Lorenz laut Polizei in einer benachbarten Straße auf die erste Streife der Polizei getroffen und weiter davongerannt. Wenig später sei er in der Achternstraße auf eine zweite Streife getroffen. „Dort ging er bedrohlich auf die Polizisten zu und sprühte dabei Reizstoff in ihre Richtung“, so stellt es die Polizei dar. Daraufhin habe ein 27-Jähriger Beamter geschossen. Der Getötete sei mehrfach getroffen worden und im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen.
Asena sagt, sie habe während der Flucht vor einem Café gesessen, das zwischen der ersten und der zweiten Begegnung mit der Polizeistreife liegt: „Da kam Lorenz angerannt und hinter ihm waren Polizisten.“ Sie habe gesehen, wie er in die Achternstraße eingebogen sei. „Sekunden später sind diese Schüsse gefallen.“ Warnrufe oder dergleichen habe sie von der Polizei nicht gehört. Überprüfen lässt sich ihre Aussage nicht.
Gegen den Polizisten ist ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Totschlags eingeleitet worden. Das aus Neutralitätsgründen, wie die Polizei sagt, von der benachbarten Polizeiinspektion Delmenhorst geführte Verfahren soll prüfen, ob der Schusswaffengebrauch verhältnismäßig war. Vor vier Jahren war im Gewahrsam der Polizei Delmenhorst der 19-jährige Qosay Khalaf gestorben. Die Umstände sind bis heute nicht aufgeklärt.
Immer wieder sterben Schwarze Männer im Zusammenhang mit Polizeimaßnahmen.
Der 27-jährige Gambier Lamin Touray wurde am Karsamstag 2024 in Nienburg bei einem Polizeieinsatz erschossen, nachdem er mit einem Messer seine Freundin bedroht haben soll. Bodycam-Aufnahmen und rechtsextreme Posts eines beteiligten Beamten führten zu Kontroversen, am Ende stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.
Der 40-jährige sudanesische Geflüchtete Kamal Ibrahim wurde im August 2021 wurde in Stade während einer psychischen Krise von Polizisten mit elf Kugeln erschossen. Trotz Forderungen nach Aufklärung stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, da die Beamten laut offizieller Darstellung in Notwehr handelten.
Der 38-jährige Mamadou B., ein Schwarzer Mann aus Guinea, starb am Neujahrsmorgen 2023 im Braunschweiger Polizeigewahrsam, nachdem er fälschlicherweise als Täter einer Kneipenschlägerei festgenommen wurde. Ein Überwachungsvideo zeigte später, dass er selbst Opfer eines Pfefferspray-Angriffs war, doch die Obduktion ergab, dass sein Tod durch einen Herz-Kreislauf-Stillstand aufgrund von Alkohol- und Kokainkonsum verursacht wurde.
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In Oldenburg hat sich ein Bündnis gebildet, das nun auf vollständige Aufarbeitung des Falls pocht. Es verweist auf andere Fälle von Polizeigewalt gegen nicht weiße wie Qosay Khalaf in Delmenhorst oder Lamin Touray in Nienburg. Das Bündnis unterstützt außerdem die alleinerziehende Mutter des Getöteten. Es hat für die Beerdigungskosten ein Spendenkonto eingerichtet. Im Laufe der Woche soll eine Demonstration organisiert werden, um auf den Fall aufmerksam zu machen.
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