Offener Brief von Entwicklungs-NGOs: Kritik an Habecks Patentwende
Hilfsorganisationen sind empört: Anders als im Wahlkampf gefordert, will der Wirtschaftsminister die Patente der Corona-Impfstoffe nicht freigeben.
Nach Gesprächen mit den Herstellern sei er nun überzeugt, dass eine Patentfreigabe „nicht helfen würde“, hatte Habeck Ende Januar in einer Pressekonferenz erklärt. Als Grund nannte er den komplizierten und langwierigen Aufbau von Produktionskapazitäten. Das sei „deutlich praxistauglicher“ als die Patentfreigabe, die von über 100 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation gefordert wird, darunter auch die USA.
Stattdessen setzt Habeck jetzt darauf, „mit den produzierenden Unternehmen eine Verabredung zu treffen, dass für diese Länder die Impfstoffe zum Selbstkostenpreis abgegeben werden“, und „ein Finanzinstrument zu entwickeln, um diesen Selbstkostenpreis zu sponsern“.
Bei dem Bündnis von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), zu dem unter anderem Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt, Medico International, One und Oxfam gehören, stößt das auf Widerspruch. Anders als von Habeck dargestellt sei die Produktion von mRNA-Impfstoffen nicht kompliziert; vielmehr handele es sich „um einen synthetischen Prozess, der die Standardisierung und damit den Transfer auf weitere Produktionsstätten in kurzer Zeit enorm vereinfacht“, schrieben sie am Donnerstag in einem offenen Brief an den Minister (hier als pdf).
Kostengünstige Impfstoffe zu sponsern sei zudem keine Lösung für das Problem, dass die Produktionskapazitäten zu gering sind, schreiben die Organsationen: „Impfstoffe durch eigens eingerichtete Finanzierungsinstrumente zu finanzieren, kann keine ausreichende Impfstoffversorgung sicherstellen.“
Nur mit der Industrie gesprochen
Verwundert zeigen sich die NGOs, von denen viele traditionell enge Drähte zu den Grünen haben, dass Habeck vor seiner Positionsänderung nur mit den Herstellern gesprochen hat. „Als zivilgesellschaftliche Organisationen, die teilweise seit Jahrzehnten zu Zugang zu Gesundheitstechnologien und damit auch zu produktionshemmenden geistigen Eigentumsrechten arbeiten, erwarten wir gerade von Ihrer Partei, dass nicht nur die Industrie, sondern auch wir als Vertreter*innen der Zivilgesellschaft in Konsultationen einbezogen werden“, heißt es in dem Brief.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los