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Ökonom über ungerechtes Rentensystem„Es geht um Umverteilung“

Weil Beamte länger leben, sollen sie auch länger arbeiten: Die Forderung des Ökonomen Matthias Günther polarisiert. Hier erklärt er seinen Vorstoß.

Fünf Jahre mehr im Archivkeller ist das Urteil Foto: Thomas Koehler/photothek/imago
Tobias Schulze
Interview von Tobias Schulze

taz: Herr Günther, hatten Sie in den letzten Tagen viele Beschwerde-Mails von Beamten im Postfach?

Matthias Günther: Ich habe reichlich Mails bekommen und man kann klar erkennen, welche von Beamten stammen und welche von Nicht-Beamten.

taz: Ihr Vorschlag polarisiert also. In einer Untersuchung, die seit dem Wochenende durch die Medien geht, fordern Sie: „Beamte sollen 5,5 Jahre länger arbeiten als Arbeiter“.

Günther: Das war durchaus provokativ gemeint. Mit einer starken Differenzierung kriegen Sie keine Öffentlichkeit.

Im Interview: Matthias Günther

Matthias Günther ist Diplom­ökonom und Geschäftsführer des Pestel Instituts, das in mehreren Fachbereichen Analysen und andere Dienstleistungen für Kommunen, Unternehmen und Verbände anbietet.

taz: Erläutern Sie mal: Was steckt hinter der Forderung?

Günther: Das ist relativ simpel. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die durchschnittliche Lebenserwartung je nach Stellung im Beruf errechnet und demnach leben Beamte eben fünfeinhalb Jahre länger als Arbeiter. Wir können nicht darüber diskutieren, dass die Menschen mehr arbeiten sollen, weil die allgemeine Lebenserwartung steigt, aber solche Faktoren nicht berücksichtigen.

taz: Folgt man Ihrer Argumentation, müssten Angestellte am Schreibtisch auch länger arbeiten als Arbeiter auf dem Bau. Sie leben nämlich ebenfalls länger.

Günther: Im Kern geht es mir tatsächlich nicht um Beamte, sondern ganz allgemein um die Lebenserwartung in verschiedenen Einkommensgruppen. Dass es dazwischen einen Zusammenhang gibt, ist seit Jahrzehnten bekannt. Geringverdiener leben im Schnitt kürzer, Gutverdiener länger. Gerade in der gesetzlichen Rente, in der über alle Rentenkommissionen hinweg am Äquivalenzprinzip festgehalten wurde, führt das zu einer Gerechtigkeitslücke.

taz: Das Äquivalenzprinzip besagt: Wer mehr in die Rentenversicherung einbezahlt hat, bekommt auch eine entsprechend höhere Rente. Was ist da nicht gerecht?

Günther: Auf den ersten Blick erscheint das Prinzip vielleicht gerecht. Aber wer eine niedrige Rente bezieht, kriegt sie im Schnitt auch noch deutlich kürzer als diejenigen mit einer hohen Rente. Innerhalb des normalen gesetzlichen Rentensystems wäre es daher schon immer angebracht gewesen, die unteren Renten anzuheben und die oberen ein Stück weit zu kappen. So hätte man am Ende gerechteres System.

taz: Damit sind wir aber weg von den Beamten und ihren Pensionen. Sie haben ja mit der Rentenversicherung nichts zu tun.

Günther: Am Ende landen wir beim Vorschlag des DIW, einen Boomer-Soli einzuführen. Er würde alle Arten von Alterseinkünften einbeziehen, also das gesamte Einkommen erfassen – nach dem sich am Ende ja die Lebenserwartung richtet.

taz: Der Vorschlag aus dem Juli besagt, über einem bestimmten Freibetrag eine Abgabe von zehn Prozent zu erheben. Mit den Einnahmen sollen niedrige Renten angehoben werden.

Günther: Es geht um Umverteilung. Ich stimme ja durchaus der Wirtschaftsweisen Frau Grimm zu, dass wir uns die bisherigen Systeme so nicht mehr leisten können. Aber dann zu sagen, dass einfach alle pauschal zehn Prozent weniger kriegen, funktioniert nicht. Wir haben nämlich eine Menge Leute, denen können Sie nichts mehr wegnehmen.

taz: Die Bundesregierung will nächstes Jahr die nächste Rentenkommission über Reformen beraten lassen. Für wie realistisch halten Sie es, dass das Äquivalenzprinzip beerdigt wird?

Günther: Ich hoffe zumindest, dass es so kommt. In allen anderen Sozialversicherungssystemen – bei der Krankenversicherung, bei der Pflegeversicherung – haben wir eine Umverteilung drin. Das akzeptiert jeder. Komischerweise hält man nur bei der Rente an dem Ding fest, obwohl es ausgerechnet da nicht mal gerecht ist.

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21 Kommentare

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  • Umverteilung innerhalb einer Generation ist sehr gerecht. Wie denn sonst? Sollen die heute 30 Jährigen das desaströse Modell von uns Alten bezahlen plus eigene Vorsorge betreiben? Plus Umwelt retten, plus Kinder bekommen, plus plus plus...!?

  • Das Problem sind die vielen unterschiedlichen Rentensysteme.



    Es gibt ja nicht nur die gesetzliche Rente und die Beamtenpensionen, die je nach Status variieren. Es gibt ja auch noch die berufsständischen Versorgungswerke und die vollkommen eigenverantwortliche Altersvorsorge.



    Hätte ich meine Beiträge selbst anlegen dürfen, ich wäre seit 10 Jahren im Ruhestand mit weitaus höheren Bezügen, die ich in sieben Jahren zu erwarten habe.

  • Von Umverteilung bei Rentnern halte ich Nichts. Warum sollen Rentner die während ihres Berufslebens in einer privaten Zusatzversicherung oder sonst für das Alter vorgesorgt und gespart haben und ihr Geld nicht verprasst haben hiervon als Rentner 10 % abgeben und somit gegenüber denen bestraft werden, die bei gutem Einkommen lieber alles ausgegeben haben.

  • Imho übersieht der Kollege, dass grundsätzlich niemand länger arbeiten muss. Produktivität! Lebenserwartung als, so muss ich den Beitrag verstehen, generelles Kriterium anzusetzen, ist für mich (als womöglich "linken Ökonomen", denn so wird man stets beschimpft, wenn man an der Verteilung wirklich etwas bewegen will) faschistoides Denken. Selbst Reiche und Schöne rafft der Krebs oder der Autounfall mit "27 Jahren" dahin. Sollte jedoch die grundsätzlich steigende Produktivität bereits berücksichtigt worden sein und dennoch dieser Schluss gezogen werden, ob nun 5 Jahre oder nur 1 Jahr längere Lebensarbeitszeit, dann frage ich mich, warum wir nicht mehr über Besteuerung von Überreichtum und Maßnahmen gegen Steuerflucht sprechen. Ein neoliberaler Vorschlag bringt natürlich mehr Aufmerksamkeit, aber warum sucht man die? Ich komme psychologisch prima damit zurecht, dass mich die Regierung mit meinen Vorschlägen nicht hört; mir reicht aus, dass noch andere Ökonomen bzw Wissenschaftler meine Auffassung identisch oder ähnlich vertreten.

  • Ein "Äquivalenzprinzip", dass seinen Namen verdient, würde ja nicht die *monatliche* Rente proportional zum *insgesamt* eingezahlten Betrag machen, sondern die *gesamte Rente*, also summiert über den Zeitraum des Rentenbezugs, denn auch der eingezahlte Betrag ist ja summiert über den Zeitraum der Einzahlung.

  • Mit dieser Argumentation muessten Frauen auch laenger arbeiten als Maenner.

  • Ungerechtes Rentensystem? Wie wäre es mit ungerechtem Wirtschafts- und Rechtssystem? Hat sich der Experte schon einmal gefragt, warum die menschliche Arbeitskraft in Wirtschaftstheorie und im Recht so ganz anders behandelt wird, als Land, Rohstoffe, Maschinen, Patente usw.? Warum die menschliche Arbeitskraft in ihrer Verdinglichung, also als lebendiger Mensch, gegenüber anderen Kapitalien in nahezu allen Aspekten benachteiligt wird? Wer kann schon Nahrung, Kleidung, Wohnung, Kindererziehung usw. steuermindernd von seinen Erträgen abschreiben? Wer kann sein (Arbeits-)Leben als Sicherheit für einen Kredit einsetzen oder dafür einfach mal so eine Investition im Ausland tätigen? Die gängige Wirtschaftstheorie und das geltende Recht benachteiligen alle die, die nicht viel mehr als ihre Arbeitskraft wirtschaftlich nutzen können. Der „freie Arbeiter“ (Karl Marx) wurde aus alten hierarchischen Sozialbeziehungen entlassen und bleibt ökonomisch doch ein Sklave.

  • Wie hatte Volker Pispers einst mal gesagt (sinngemäß): 'Wenn Politiker keinen Plan haben, machen sie Folgendes: Man gründet eine Kommission.'



    Diese hier darf nun nächstes Jahr "beraten" und ... naja...vielleicht fässt man das Thema dann in der nächsten Legislaturperiode an. Vielleicht. Migrationsdebatten verkaufen sich immernoch besser.

  • ... und nur 20% der Beamten arbeiten bis zum erreichen der Altersgrenze, sicherlich nicht immer wegen burnout (man muß es sich halt leisten können)

    • @Thüringer:

      Nicht bis zum Ende zu arbeiten heißt nicht - ob Beamter oder nicht -, dass die Betroffenen ein geiles Leben haben, oder vor dem Ende der Lebensarbeitszeit auch ausscheiden wollten!! Denken Sie an Krankheit, Tod oder Entlassung! Forschen Sie doch selbst einmal nach: Beamte, zB bei Polizei und Feuerwehr, oder politische Beamte, können gegen!!! ihren!!! Willen!!! vor Erreichen der einschlägigen gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt werden! Beispielsweise verbeamtete Polizisten, die aus der früheren DDR übernommen worden waren, konnten, nachdem aufgrund gesundheitlicher Probleme die bisherige Dienstausübung vor Erreichen der Altersgrenze nicht mehr möglich war, nicht auf anderen Dienstposten beschäftigt werden und urden daher Kandidaten für den ungewollten Ruhestand.

  • Die Beamt:innen würden gerne in die Rentenkasse einzahlen, aber dann müsste als Ausgleich auch die Zusatzversorgung vom öffentlich Dienst geleistet werden. Das Problem sehe ich eher darin dass Beamt:innen bis zu 71,75 Prozent von ihrer letzten Gehaltsstufe bekommen und Professor:innen sogar 100 Prozent. Mein Vorschlag wäre: statt den Beamt:innen was wegzunehmen alle zu Beamt:innen zu machen und dafür Gehälter zu deckeln das heißt auch die Vorständ:innen, auch von Großfirmen bekommen dann maximal so viel wie die höchst bezahlten Beamt:innen. Und nicht zu vergessen: es gibt Beamt:innen im einfachen Dienst, im gehobenen Dienst und im höheren Dienst. Eine Informatikgeschäftsführer:in bei einer sehr angesehenen Weltfirma mit 10O direkt Unterstellten hätte dann halt auch "nur" eines der Beamt:innenspitzengehälter.

  • "die unteren Renten anzuheben und die oberen ein Stück weit zu kappen" ... würde ich voll akzeptieren. Und die Beamten müssen mit in die Rentenversicherung einzahlen.

    • @Minion68:

      Dann müssen Beamte auch streiken und kündigen dürfen ohne länglich wenig Rentenpunkte zu bekommen. Die Gehälter werden steigen. Haben ja alle anderen Gewerkschaften die letzten Jahrzehnte auch erstritten. Die Schulen werden sich leeren. Es ist sicher kein Genuss, mit über 60 noch Pubertierende auszuhalten. Ich kenne viele, die morgen weg wären.



      Dazu kommt dann noch der Arbeitgeberanteil des Staates zur Rente. Also linke Tasche, rechte Tasche. Währenddessen gibt es immer noch keine Vermögenssteuer, keine Finanztransaktionssteuer und jede Menge nicht geahndete Steuerhinterziehungen, da es zu wenig Beamte für die Verfolgung gibt.

    • @Minion68:

      Das hieße aber auch, dass der Staat als Arbeitgeber in die Rentenkasse einzahlt.

      Das wird nicht so schnell passieren.

    • @Minion68:

      Das Problem ist nur, das die "oberen" Renten selbst nicht hoch. Mehr als 90% aller Rentner haben eine Brutto Rente von unter 2.000€. Und der Rest dann auch nicht viel mehr.

      • @sneaker:

        Es geht darum, alle Einkünfte einzubeziehen und nicht nur die gesetzliche Rente.

      • @sneaker:

        Es ist ein beliebter Taschenspielertrick bei Rentnern nur die ausgezahlte gesetzliche Rente zu berücksichtigen. Nehmen wir da mal Betriebsrenten, Pensionen, Kapitalerträge und Immobilien mit rein kann aus der reichsten Rentnergeneration aller Zeiten jede Menge umverteilt werden. Im Schnitt verfügt ein Rentnerhaushalt dann über mehr Haushaltseinkommen als der Rest der Bevölkerung. Rentner leben auf fast doppelt so vielen Quadratmetern. Über 50% aller Millionäre sind Rentner. Die Krokodilstränen mit denen die Boomer ihre Privilegien verteidigen sind nicht mehr auszuhalten.



        Das Einfachste wäre eine einheitliche Grundrente auf Grundsicherungsniveau für alle Staatsbürger.

  • Wenn man die meistens länger lebenden Geschäftsführer von Forschungseinrichtungen länger auf die Rente warten lassen würde, könnte viel Geld gespart werden.. Sicher eine ideale Mustergruppe, um den Vorschlag auszuprobieren.

  • Der Staat konkurriert mit anderen Arbeitgebenden um Personal und hat sich dabei selber ein starres Gehalts- bzw. Besoldungskorsett auferlegt. Je nach Qualifikation und Arbeitsmarktengpass liegt das, was er bietet, mal über, aber häufig auch unterhalb der marktgängigen Gehälter. In den Bereichen Medizin Ingenieurwissenschaften, IT, Naturwissenschaften beispielsweise können die öffentlichen Gehälter nicht ansatzweise mithalten. Ebenso verdienen gute Jurist*innen auf dem freien Markt ein Vielfaches. Aber auch Polizei und Feuerwehr haben bei der Rekrutierung zusehends Probleme. Stellen bleiben daher unbesetzt und stattdessen werden zu horrenden Kosten externe Dienstleistungen eingekauft - gerade im Ingenieurbereich -, die einst mit Bordmitteln erbracht wurden. Oder es werden Qualitätsansprüche abgesenkt, wie teilweise bei Polizei und den Lehrer*innen. Rentenansprüche und Lebensarbeitszeit werden selbstverständlich von den Arbeitssuchenden in die Abwägung ihrer Alternativen einbezogen. Wer also vorschlägt, an diesen Stellschrauben zu Lasten der Attraktivität öffentlicher Beschäftigung zu drehen, muss dann auch erklären, wie der Staat künftig gutes Personal gewinnen soll.

  • Frauen leben etwa 6 Jahre laenger als Männer. Das ist im Verhaeltnis zum Erwartungswert der Bezugsdauer sogar mehr als das Einkommengap. Und nun? Nach Lebenserwstung verschiedener Gruppen das Renteneintrittsalter festzulegen bringt einen rasant schnell in Argumentationsprobleme. Und was ist mit Gruppenwechslern? Soll das dann anteilig berücksichtigt werden?

  • Nö, mach ich nicht. Ist ein Versicherung. Aber hey, man kann ja immer mehr rausquetschen aus den Menschen die eh schon hohe Einkommenssteuern zahlen und über der Beitragsbemessungsgrenze liegen.

    Irgendwie dünkt es mir, dass das nicht laufen wird…