Neuer Schuldenpakt in der EU: Kontraproduktiver Sparkurs
Staaten, die sich vor Schulden scheuen, haben am Ende nicht mehr Geld in der Kasse. Das Gegenteil ist der Fall: Investitionen werden Steuereinnahmen.
W elches Land hat besser gewirtschaftet? Italiens Staatsschulden betragen momentan 142 Prozent der Wirtschaftsleistung, Deutschland kommt nur auf 66 Prozent. Da scheint die Antwort einfach: Natürlich Deutschland! Die Bundesbürger fühlen sich als die Sparweltmeister in der Eurozone. Doch so einfach ist es natürlich nicht. Die eigentlichen Sparexperten sind nämlich die Italiener.
In den 30 Jahren vor der Coronapandemie, also von 1990 bis 2019, haben sie im Durchschnitt einen Primärüberschuss von 1,76 Prozent erwirtschaftet. Die Deutschen kamen in der gleichen Zeit nur auf 0,36 Prozent. Primärüberschuss meint den Betrag, der im Staatshaushalt übrig bleibt, wenn man die Zinszahlungen abzieht. Das Problem ist nur: Eisernes Sparen hat den Italienern nichts genutzt. Die Staatsschulden blieben trotzdem hoch.
Die Italiener sahen sich mit dem Sparparadox konfrontiert, wie dieses Phänomen einst von dem berühmten Ökonomen John Maynard Keynes getauft wurde. Der Teufelskreis ist simpel: Wenn ein Staat spart, dann fehlt die Nachfrage und bricht die Wirtschaft ein. Die Regierung hat vielleicht ein paar Milliarden gekürzt, aber durch die Rezession kommt es zu Steuerausfällen. Zudem ist ja nun die Wirtschaftsleistung geringer, sodass die Schuldenquote am Ende mindestens genauso hoch ist, wie sie schon vorher war.
Ein Staat kann seine Schulden nicht zurückzahlen, sondern nur aus ihnen herauswachsen. Die Kredite verlieren automatisch an Bedeutung, wenn das Volkseinkommen zunimmt. Doch diese simple Logik wird von der Eurozone weiter ignoriert. Am Mittwoch einigten sich die Finanzminister auf eine Reform des drakonischen Schulden- und Stabilitätspakts, der nun zwar kleine Lockerungen vorsieht – aber unverändert darauf pocht, dass die Euroländer ihre Schulden zurückzahlen müssen.
Schon im nächsten Jahr wird die EU-Kommission Defizitverfahren gegen Italien und Frankreich einleiten. Frankreichs Schulden liegen bei 114 Prozent der Wirtschaftsleistung, was nie ein Problem war. Übrigens hat Deutschland direkt von diesen Schulden profitiert. Bekanntlich fährt die Bundesrepublik enorme Exportüberschüsse ein – was aber nur möglich ist, wenn andere Länder mehr importieren und dafür Kredite aufnehmen. Das deutsche Plus im Handel mit Frankreich betrug allein 2022 rund 47 Milliarden Euro.
Der europäische Sparkurs ist sinnlos, hat aber dramatische Konsequenzen. Unter anderem wird das Geld fehlen, um in den Klimaschutz zu investieren. Aber die Logik der Deutschen ist eben eigentümlich: Die Welt kann ruhig untergehen. Hauptsache, wir haben dann kaum Schulden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn