Neue Asylregelung: Die EU rückt nach rechts
Durch die neue EU-Asylregelung wird sich das Leben von vielen Ankommenden künftig an Orten abspielen, die Hochsicherheitsgefängnissen gleichen.
N eun Jahre hat die EU über das neue gemeinsame Asylsystem verhandelt. Am Donnerstag gab es eine vorläufige Einigung. Die Grünen haben dabei der weitreichendsten Asylrechtsverschärfung seit der Grundgesetzänderung von 1993 zugestimmt.
Die Populisten in der EU konnten sich durchsetzen. Die neue Rechtslage wird zwar nicht ganz ihren Forderungen entsprechen – aber kommt dem sehr nahe. Das war nur möglich, weil fast alle anderen Parteien ihnen in ihrem zentralen Punkt im Prinzip recht gegeben haben: Die Geflüchteten sind das Problem. Es sind zu viele, es ist zu voll, wir sind überlastet.
Ein an Menschenrechten orientierter Konsens war so nicht mehr herstellbar. Doch auch die Parteien, für die Wachstum und Arbeitsplätze höchste Priorität haben, vermochten die Migrationspolitik nicht daran auszurichten. Denn natürlich wäre es vorstellbar, diese so zu gestalten, dass moderne, aber überalterte kapitalistische Volkswirtschaften mit Arbeitskräften versorgt werden. Auch mit jenen Menschen, die ohnehin kommen.
Doch die Populisten dominierten den Diskursraum so sehr, dass sich fast niemand dafür starkmachte. Das Entrechtungsprogramm für die ankommenden Geflüchteten, das nun ansteht, wurde dabei bis zum Schluss mit falschen Behauptungen zu legitimieren versucht.
Angebliche Rettung des Schengen-Raums
Immer wieder sprachen Nancy Faeser (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) von der nur auf diesem Weg möglichen Rettung eines Europas ohne Kontrollen an den Binnengrenzen. Ohne die Internierung der Ankommenden würden die Nationalstaaten die Grenzkontrollen wieder einführen.
Doch schon am Samstag drängte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), Sprecher der Unions-Bundesländer, der „illegale Migrationsdruck“ halte an, Faeser dürfe sich „situativen Grenzkontrollen nicht verschließen“. Tatsächlich kontrollieren viele Schengenstaaten die Grenzübergänge seit 2015 fast durchgehend „ausnahmsweise“ – derzeit sind es Deutschland, Frankreich, Litauen, Dänemark, Schweden, Österreich, Norwegen. Und sie werden es weiter tun. So ist es mit fast allem, womit der Asylkompromiss gerechtfertigt wurde.
Keine Zäune mehr? Griechenland, Finnland und Ungarn bauen derzeit neue zu den schon bestehenden 2.000 Kilometern hinzu. Und Robert Habeck sagt, er könne da „mitgehen“.
Das „Ruanda-Modell“ ist nun ausgeschlossen, wie Baerbock behauptet? Keineswegs. Selbst der Ampel-Migrationsbeauftragte Joachim Stamp (FDP) sagt offen, er strebe Asylverfahren in Nordafrika an.
Und für „viele Geflüchtete wird sich der Status quo verbessern“, wie Baerbock schrieb?
Ein Leben in grauen Stahlcontainern
Das Leben für die meisten Ankommenden wird sich künftig an Orten abspielen, die aussehen wie ein Hochsicherheitsgefängnis: graue Stahlcontainer in grauen, aufgeheizten Steinwüsten, rund um die Uhr kontrolliert von privaten Sicherheitsdiensten. Ihr Leben wird davon bestimmt sein, nicht zu wissen, was mit ihnen geschieht, weil ein völlig unausgereiftes EU-Gesetz auf nationale Regelungen trifft und von einer überlasteten Bürokratie umgesetzt werden soll.
Die Geflüchteten werden nun verteilt, statt festzuhängen, wie Baerbock sagt?
Kaum. Staaten, die freiwillig aufnehmen wollten, konnten das auch bisher tun. Doch es wollte niemand. So wird es im Wesentlichen bleiben – denn die Umverteilung bleibt freiwillig.
Baerbock sagt, an Deutschland habe die europäische Einigung nicht scheitern dürfen. Dabei ist es erst drei Monate her, dass FDP-Verkehrsminister Volker Wissing keine Skrupel hatte, in der EU ein Veto gegen eine Entscheidung einzulegen, die ihm nicht passte. Er blockierte fast im Alleingang das Verbot der Neuzulassung von Verbrennerautos ab 2035. Nun aber mochte niemand die Kraft dazu aufbringen. Auch die Grünen nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku