Zähes Ringen um neues Asyl-System: EU-Staaten einigen sich auf Reform

Nach stundenlangen Verhandlungen einigen sich die EU-Innenminister auf einen bitteren Kompromiss. Der Zugang für Geflüchtete soll verschärft werden.

Ein Mann trägt sein Essen in den Händen, er läuft an Wohncontainern vorbei

Im Camp für Geflüchtete auf der griechischen Insel Samos: Der Zugang zur EU soll für Geflüchtete erschwert werden Foto: Nicolas Economou/NurPhoto/imago

BERLIN taz | Zwölf Stunden haben sie gerungen, Italien und Griechenland drohten bis zuletzt mit Abbruch. Doch nun steht er – der Kompromiss zur Asylreform. Die 27 Innenminister der EU haben sich in Luxemburg geeinigt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von einem „historischen Ergebnis“.

Nun sei gelungen, woran die EU seit der Flüchtlingskrise 2015 scheiterte: einen gerechten Ausgleich zwischen den Ankunftsländern rund um das Mittelmeer und den Aufnahmeländern im Norden zu finden. Der Deal soll die Krise an den Außengrenzen entschärfen und die Verteilung der Flüchtlinge fairer machen.

Er könnte aber krachend scheitern. Denn im Zuge der Verhandlungen mussten die EU-Staaten so viele Kröten schlucken, dass das Reformpaket wieder auseinanderfallen könnte. Auch die anstehenden Verhandlungen mit dem EU-Parlament werden schwierig; im beginnenden Europawahlkampf zeichnen sich Turbulenzen ab.

Dabei sind sich die EU-Politiker – mit Ausnahme der Grünen und Linken – über das Grundprinzip einig: Die Asylverfahren sollen wegen der zunehmenden irregulären Migration verschärft werden. Die „Festung Europa“ wird ausgebaut – die Innenminister begründen das damit, die Reisefreiheit im Schengenraum sichern zu wollen.

Härterer Umgang mit Menschen

Neu ist vor allem der härtere Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. Für sie soll es Schnellverfahren geben, in denen ein Asylantrag inhaltlich geprüft wird. Das betrifft Menschen aus Ländern, bei denen die durchschnittliche Anerkennungsrate der Asylanträge in der EU unter 20 Prozent liegt oder die aus sogenannten sicheren Herkunftsländern stammen. Die 20-Prozent-Quote greift etwa bei Ägypten, Bang­la­desch oder Nigeria. Als sichere Herkunftsländer dürften etwa Marokko, Tunesien oder Algerien eingestuft werden.

Menschen aus diesen Ländern sollen nach Ihrer Einreise in die Europäische Union dann für die gesamte Dauer Ihres Asylverfahrens in den streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen an der Außengrenze bleiben. Sie gelten dann als offiziell nicht in die EU eingereist.

Allerdings – und das erwähnt die offizielle Ratsmitteilung nicht – soll dem Ganzen eine sogenannte Zulässigkeitsprüfung vorgeschaltet sein: Als unzulässig gelten dabei Anträge, wenn der Antragsteller über einen „sicheren Drittstaat“ eingereist ist. Dann gibt es keine Asylprüfung, und eine direkte Abschiebung in den ­Drittstaat ist möglich. Die Schutzsuchenden sollen dann dort Asyl beantragen.

Viele der potenziellen „sicheren Drittstaaten“ bieten jedoch keinen Schutz. Die Türkei etwa schiebt Af­gha­n:in­nen in den Iran und nach Afghanistan ab. Und die EU dürfte versuchen, viele Nachbarstaaten als sichere Drittstaaten einzustufen – neben der Türkei etwa Bosnien, Marokko, Tunesien oder Serbien. Von dem Grenzverfahren können dann auch Menschen aus Ländern mit hohen Anerkennungsquoten – etwa Syrien, Afghanistan, Somalia, Iran oder Eritrea – betroffen sein.

Neue Regeln sollen Dublin-Verordnung ersetzen

Die geplante Internierung in den Lagern an den EU-Grenzen kann dauern. Inklusive Abschiebung „soll“ sie „nicht mehr als 6 Monate betragen“, heißt es im Ratsbeschluss. Am vergangenen Wochenende hatte die grüne ­Außenministerin Annalena Baer­bock noch gesagt, sie wolle „sicherstellen, dass niemand länger als einige Wochen im Grenzverfahren stecken bleibt“.

Die Staaten an den Außengrenzen sind künftig verpflichtet, Internierungslager für die neuen Grenzverfahren zu schaffen. Wie viele Plätze diese pro Land umfassen müssen, wird nach einem bestimmten Schlüssel gemäß der Ankünfte festgelegt. Insgesamt sollen EU-weit zunächst 30.000 Plätze entstehen. Allein in Griechenland wurden bereits Lager mit etwa 5.000 Plätzen geschaffen.

Die neue „Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement“ soll die bisherige Dublin-Verordnung ersetzen. Die legt fest, dass in der Regel der EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, in den ein Schutzsuchender einreist. Allerdings sind die Bedingungen innerhalb der EU sehr unterschiedlich. Viele Flüchtlinge reisen deshalb in andere EU-Staaten weiter. Die Möglichkeiten dieser Länder, Menschen ins Land der ersten Einreise zurückzuschicken, sollen nun erleichtert werden. Damit wird die bisher bestehende Möglichkeit, hierzulande mit einem Kirchenasyl Zugang zu einem Asylverfahren in Deutschland zu erlangen, stark erschwert oder entfällt womöglich ganz.

Hardliner ließen nicht locker

Überraschend ist, dass die sogenannten ­Grenzverfahren auch für Familien mit Kindern gelten sollen. Nancy Faeser wollte dies eigentlich verhindern. Doch sie hat ihre eigene rote Linie überschritten, um den Widerstand besonders restriktiver Länder wie Malta, Slowakei oder Bulgarien zu überwinden. Auch Italien und Österreich forderten eine harte Linie bei den Grenzverfahren.

Faeser lenkte ein. Sie unterzeichnete aber eine Zusatzerklärung, die Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn auf den Weg brachte. „Deutschland, Irland, Luxemburg und Portugal weisen darauf hin, dass uns Ausnahmen vom Grenzverfahren für Minderjährige und ihre Familienangehörigen sehr wichtig bleiben“, heißt es darin.

Doch die Hardliner ließen nicht locker. Sie wollen abgelehnte Asylbewerber künftig auch in Nicht-EU-Länder abschieben. Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Auch diese Forderung war umstritten. Reicht ein einfacher Transit, oder muss der Asylbewerber Verwandte in dem Drittland haben?

Am Ende einigte man sich darauf, dass die Entscheidung bei jenem EU-Land liegen soll, das für das Asylverfahren zuständig ist. Italien feiert dies als Erfolg. Nun kann die rechtsradikale Regierung abgelehnte Asylbewerber auch nach Tunesien zurückschicken. Um den Weg frei zu machen, ist ein eigenes Rückführungsabkommen geplant.

Als Ausgleich für die harten Regeln an den Außengrenzen soll es in der EU solidarischer zugehen. Die Aufnahme von Asylbewerbern soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Zunächst sollen 30.000 Ankommende pro Jahr aus den Außengrenzstaaten nach einem Schlüssel umverteilt werden.

Härtere Regeln statt Solidarität

Allerdings müssen die Staaten die ihnen zugewiesenen Menschen nicht wirklich aufnehmen. Länder, die keine Mi­gran­ten aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen. Im Gespräch ist eine „Kopfprämie“ von 20.000 Euro. Das kann auch in Form von Beiträgen für Grenzschutzausgaben oder durch die Entsendung eigener Grenzschützer geschehen. „Die Mitgliedstaaten können nach eigenem Ermessen entscheiden, welche Art von Solidaritätsbeitrag sie leisten“, heißt es im Ratsbeschluss.

Tschechien hat bereits angekündigt, sich nicht am Solidaritätsmechanismus zu beteiligen. Polen und Ungarn sind ohnehin nicht mit im Boot – sie lehnten den Deal ab. Auch Malta und die Slowakei haben Vorbehalte. Deshalb bleibt unklar, ob es tatsächlich zu einer faireren Verteilung kommen wird.

Am Ende könnten vor allem die härteren Regeln umgesetzt werden, während die Soli­darität wieder einmal auf der Strecke bleibt. Zunächst muss das neue Asylregime aber durch das ­Europaparlament. Dort ­geben die Anhänger einer fairen „­europäischen Lösung“ den Ton an; aber auch die Hardliner ­haben ein Wörtchen mitzureden.

Schirdewan spricht von einer „Bankrotterklärung“

So sprach sich Manfred Weber (CSU), Chef der größten Parlamentsfraktion, für eine harte Linie aus. „Wenn es uns gelingt, eine europäische Rechtslage zu schaffen, die wirklich funktioniert, dann werden die Zahlen (der Flüchtlinge) deutlich zurückgehen“, sagte er im Bayerischen Rundfunk. Für jeden, der versuche, illegal nach Europa zu kommen, sei künftig „an der Außengrenze Schluss“.

Der Co-Vorsitzende der Europäischen Linksfraktion und Parteivorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, sprach dagegen von einer „Bankrotterklärung“. Er sei „fassungslos“, dass die Grünen in Berlin für den Deal wärben. Sie würden sich „vor der versammelten Rechten Europas in den Staub“ werfen.

Allerdings gingen auch die Grünen im EU-Parlament auf Distanz. „Die Position des Rats widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit“, erklärte Terry Reintke, Co-Chefin der Grünen-Fraktion. „Es kann keine Einigung um jeden Preis geben“, warnte sie.

Das Verfahren soll im Februar 2024 abgeschlossen sein, drei Monate vor den Wahlen zum Europäischen Parlament.

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