Linken-Kandidat relativiert Holocaust: How dare he?
Ein Kandidat der Linken hat am Holocaust-Gedenktag die Klimakrise mit der Shoah gleichgesetzt. Die Partei will, dass er seine Kandidatur zurückzieht.
Montagabend veröffentliche Radtke auf mehreren Kanälen einen Post: „Heute vor 75 Jahren wurde Auschwitz befreit. Der Holocaust war eines der größten Verbrechen im 2. Weltkrieg“, schrieb er. „Die Nazis gehören auch zu den größten Klimasünder*innen, da ihr Vernichtungskrieg und ihre Panzer riesige Mengen an CO2 produziert haben.“ Viele Politiker sagten zwar, so etwas dürfe sich nicht wiederholen. „Aber was tun sie gegen den Klima-Holocaust, der in diesem Moment Millionen Menschen und Tiere tötet?“, fragte Radtke.
Greta Thunberg habe recht, wenn sie sage, dass seit Beginn der Klimaproteste nicht genug getan worden sei, so Radtke weiter: „Wir müssen die Klimaerwärmung jetzt stoppen, damit sich ein Holocaust nicht wiederholt.“
Die Posts erschienen bei Twitter, auf Facebook und auf Radtkes Webseite. Zur Bebilderung verwendete er dabei zudem ein Foto von Klimaaktivistinnen beim Weltwirtschaftsforum in Davos, aus dem die ugandische Aktivistin Vanessa Nakate von der Nachrichtenagentur AP herausgeschnitten worden war.
Radtke ist nicht der erste Klimaaktivist, der den Holocaust relativiert. Der Mitbegründer von Extinction Rebellion (XR), Roger Hallam, hatte in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit den Holocaust als „fast normales Ereignis“ bezeichnet, das für ihn „nur ein weiterer Scheiß in der Menschheitsgeschichte“ sei. Die lokalen Ableger von XR distanzierten sich von Hallam.
Auch auf Radtkes Äußerungen folgten entsetzte Kommentare in den sozialen Medien. Mit Blick auf sein junges Alter wurde er dabei auch aufgefordert, die Tweets zu löschen, sich zu entschuldigen und aus seinem Fehler zu lernen. Bisher hat sich Radtke von seinen Äußerungen aber nicht distanziert.
Dienstagmorgen äußerte sich die Hamburger Linke erstmals auf Twitter mit einer „Klarstellung“: „Holocaust und Klimawandel gleichzusetzen ist absolut inakzeptabel. Wer das tut, vertritt nicht die Position der Linken“, heißt es da. Man wolle mit Radtke sprechen und über Konsequenzen beraten. Doch Ersteres ist nicht geschehen, wie Landesgeschäftsführer Martin Wittmaack der taz am Dienstagnachmittag sagte: „Wir haben uns größte Mühe gegeben, ihn zu sprechen. Dass das nicht gelungen ist, liegt nicht an uns.“ Heißt: Radtke wollte offenbar nicht.
Zusammenarbeit beendet
Er habe auch nicht gesagt, so Wittmaack, dass die Posts nicht von ihm stammen. Die Überlegung, dass es sich bei Radtkes Twitterprofil um ein Fakeprofil handeln könnte, kam in den Kommentaren unter dem Post auf, unter anderem, weil es sich um die ersten Tweets Radtkes überhaupt handelt. Die Linke geht aber offenbar davon aus, dass Radtke die Nachrichten selbst verfasst hat.
„Wir verurteilen die unsägliche Relativierung und Instrumentalisierung des Holocausts“, teilten die Landessprecher*innen, Olga Fritzsche und David Stoop, mit. Die Erinnerung an den Holocaust und der Kampf gegen jegliche Entschuldigung, Instrumentalisierung oder Relativierung seien Grundvoraussetzungen linker Politik. „Antifaschismus ist unverzichtbarer Grundkonsens der Partei Die Linke“, sagten sie. Wer diesen Konsens nicht mittrage, sei in der Partei falsch.
Nach zahlreichen Kontaktversuchen und nachdem intern ausführlich darüber beraten worden sei, beendet die Linke nach eigenen Angaben nun die Zusammenarbeit mit Radtke und fordert ihn auf, seine Kandidatur zur Bürgerschaft zurückzuziehen.
Er eckt offenbar nicht das erste Mal an
Auch Fridays for Future Hamburg distanzierte sich auf Twitter schnell von Radtkes Aussagen. Er vertrete weder die Werte noch die Positionen der Gruppe, sein Verhalten sei schockierend und nicht zu entschuldigen. „Wer den Holocaust relativiert, hat bei uns nichts verloren“, sagt Jesko Hennig von Fridays for Future Hamburg zur taz. Er persönlich kenne Radtke nicht, aber die Gruppe habe bereits Erfahrung mit ihm.
Denn offenbar ist es nicht das erste Mal, dass Tom Radtke sich so verhält und damit aneckt. Erst vor wenigen Tagen behauptete er auf Facebook, Greta Thunberg sei eine Freundin, ebenso wie Luisa Neubauer, mit der er den Aufbau der Klimabewegung in Hamburg organisiert habe. Neubauer wiederum schrieb auf Twitter, sie kenne Radtke nicht.
Bei der Hamburger Fridays-for-Future-Gruppe sei er kein Mitglied, auch wenn er auf seiner Webseite das Logo der Gruppe verwende, sagt Jesko Hennig. Er habe sich aber bei Veranstaltungen der Linken als FFF-Mitglied präsentiert und sich über die demokratischen Strukturen der Gruppe hinweggesetzt. „Wir haben ihn gebeten, das zu unterlassen und nicht mehr das Logo zu verwenden“, sagt Hennig. Radtke habe aber jegliche Kommunikation verweigert.
Auch auf schriftliche Anfrage der taz reagierte Radtke bis zum Redaktionsschluss nicht. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur wiederum antwortete er unter anderem: „Was habe ich denn Falsches gesagt? Ich bin 18 Jahre alt und aktuell wird Menschen meiner Generation die Zukunft weggenommen.“ Seine Posts waren noch bis Redaktionsschluss online.
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