Kulturkampf um Political Correctness: Woker woke sein
Der Kampf für eine emanzipatorische Sprache ist nicht erfolgreich. Die Debatte ist zu akademisch und geht an den Menschen vorbei, um die es geht.
E in Großteil der deutschen Bevölkerung mag Wokeness nicht. Viele hassen sie sogar. Diese Abneigung hegen nicht nur reiche weiße Männer. Komisch, eigentlich. Obwohl woke Kulturkämpfer für die Rechte von Frauen und Migranten kämpfen, lehnt die große Mehrheit der Frauen geschlechtergerechte Formulierungen ab. Das zeigen alle Umfragen der letzten fünf Jahre.
In den USA lehnen migrantische Gruppen zu über 80 Prozent Political Correctness ab, obwohl die meisten von ihnen Rassismus als Problem ansehen. Das dürfte in Deutschland kaum anders sein. Dafür gibt es zwei Gründe: eine aggressive Form des woken Aktivismus sowie antiwoke Propaganda.
Insbesondere rechtspopulistische Akteure forcieren seit über drei Jahrzehnten das Narrativ einer wahnsinnigen Ideologie, die vermeintlich den Westen zerstöre. „Wokeness“ bezeichnet ursprünglich die Wachheit gegenüber bestimmten Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus.
Es handelt sich aber inzwischen um einen Kampfbegriff, der fast ausschließlich negativ benutzt wird. Er ist mit Identitätspolitik und Cancel Culture nachweislich eine Wiederauflage des Diskurses von der Political Correctness.
Rechtspopulistische Internationale
Gestärkt wird diese Propaganda von Akteuren aus so gut wie allen Lagern. Zentraler Antreiber ist aber eine Art rechtspopulistischer Internationale. Dazu gehören mächtige Medienunternehmen wie der amerikanische Sender Fox-News, die britische Sun oder die deutsche Bild. Mit dabei sind sowohl die AfD, Teile der CDU und der CSU sowie Donald Trump und Wladimir Putin.
Das Geschrei der antiwoken Propaganda vergiftet die Debatte. Es lässt nur übrig, dafür oder dagegen zu sein. Dabei würde eine differenzierende Diskussion dem Ganzen guttun. Quasi eine Debatte unter Erwachsenen.
Dazu gehört erst einmal, etwas genauer zu bestimmen, was „Wokeness“ ist. Sachlicher ist der Begriff „emanzipatorische Kulturpolitik“: Eine bestimmte Form des politischen Aktivismus, der – inspiriert von postkolonialen und feministischen Theorien – einen Fokus auf kulturelle und sprachliche Fragen legt.
Dieser Aktivismus ist prinzipiell sinnvoll und seit den 1960er Jahren in den westlichen Ländern extrem erfolgreich. Schon damals wurde der Einfluss emanzipatorischer Kulturpolitik in schrillen Tönen beklagt. Dennoch erreichte diese Energie einen kulturellen Wandel. Die westlichen Gesellschaften sind besser und freier geworden.
Weit weg vom Kulturkampf
Der Kampf ist aber noch nicht zu Ende. Es sieht allerdings nicht so aus, als wäre dieser Kampf weiterhin erfolgreich. Und das liegt nicht nur an der antiwoken Propaganda. Heute wendet sich der Aktivismus zumindest in Deutschland deutlich seltener gegen offen diskriminierende Gesetze oder Strukturen. Gekämpft wird hauptsächlich um kulturelle Tiefenstrukturen. Hier ist ein konsequenter und aggressiv daherkommender Aktivismus auf mehreren Ebenen problematisch.
Wenn wir jede Diskriminierung oder Machtausübung angreifen wollen, ist das ein endloser Vorgang. Gerade Leute, deren Ressourcen daran gebunden sind, ihren Kindern ein gutes Leben zu ermöglichen und ansonsten kein Arschloch zu sein, haben mit Erschütterungen ihres Welt- und Selbstbildes verständlicherweise ein Problem.
Dazu kommt, dass bestimmte Haltungen und Werte auch „gute“ Gründe in den konkreten Lebensbedingungen der Menschen haben. Für viele ist das Wegbeißen von Schwäche eine notwendige Fähigkeit, um in der kapitalistischen Gesellschaft klarzukommen. Leuten das als „toxische Männlichkeit“ um die Ohren zu hauen, ist nicht hilfreich.
Es stimmt ja: Toxische Männlichkeit ist real. Sie sollte benannt und bekämpft werden. Aber die entscheidende Ebene dieses Kampfes sind die materiellen Bedingungen, die dieses Gift nötig machen. Das zu ignorieren ist klassistisch.
Warum sich der Paketbote nicht PoC nennt
Kennen Sie einen Verkäufer oder eine DHL-Lieferantin mit Migrationsgeschichte, die oder der sich „PoC“ nennt? Als „People of Color“ bezeichnen sich in der Regel Leute, die etwas Geisteswissenschaftliches studiert haben oder studieren. Oder sie entstammen einem Milieu, das stark akademisch geprägt ist. Ernsthafte Kulturkritik ist kaum machbar, ohne den aktuellen, akademischen Diskussionen zu folgen.
Die mindestens zum Teil richtige Erkenntnis, dass wir allesamt rassistisch oder sexistisch sozialisiert sind, bedarf großer emotionaler und intellektueller Ressourcen. Sie ist für Leute aus akademischen Milieus deutlich leichter als für DHL-Lieferantinnen.
Dabei haben Letztere ein gutes Recht darauf, sich nicht einfach so die Selbstverständlichkeiten ihres Alltagsdenkens und Fühlens wegnehmen zu lassen. Zumal fraglich ist, wie viel Gutes eine aggressive Kulturkritik für die Veränderung von kulturellen Tiefenstrukturen bringt.
Es stimmt: Versteckte Ungleichheitsideologien in Sprache und Kultur zu hinterfragen, ist sinnvoll und kann befreiend wirken. Wenn aber Mehrheiten abgestoßen werden und sogar ein Großteil der Betroffenen eine aggressive Herangehensweise nicht hilfreich findet, sollte das zu denken geben.
Sanftere Wokeness
Bei offensichtlicheren Fällen von Sexismus, Rassismus oder Antisemitismus kann eine aggressive Vorgehensweise sehr sinnvoll sein. Ein großer Teil der #MeToo-Fälle zeigt sich ja gerade darin, dass bestimmte Leute die Grenzen anderer nicht respektieren. Diese lassen sich nicht durch freundliche Denkeinladungen überzeugen.
Und doch: Laut der Triggerpunkte-Studie von Mau, Westheuser und Lux sind etwa 80 Prozent der deutschen Bevölkerung dafür, Trans-Menschen als normal anzuerkennen und die Homo-Ehe zuzulassen. Diese Leute sind nicht der Feind. Die Tiefenveränderung von eingeschliffenen Vorstellungen braucht Zeit und Augenhöhe.
Eine sanftere „Wokeness“ arbeitet weniger mit Vorwürfen und mehr mit Argumenten und hält es aus, wenn diese nicht gleich angenommen werden. Sie gibt Leuten den Raum, sich zu entwickeln und ihre eigene Haltung zu den jeweiligen Fragen zu finden.
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