Eine Frau sitzt neben ihrem Hund direkt am Wasser und schaut auf ihr Smartphone

Eine junge Frau mit Smartphone am Strand. Freies Internet gibt es in Kuba nicht Foto: Alexandre Meneghini

Kubas frustrierte Jugend:Mangel im Paradies

Hinter der karibischen Postkartenkulisse verbirgt sich eine kaputte Wirtschaft und eine restriktive Regierung. Junge Menschen wandern aus.

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Aus havanna, 9.3.2023, 14:19  Uhr

Die Tankanzeige steht auf null. Dennoch rast das Auto mit hohem Tempo über die Asphaltstraße. Mit welcher Geschwindigkeit, kann man nur schätzen, denn auch die Tachonadel zeigt null. Lediglich Blinker und Stereoanlage funktionieren. Der Fahrer des lilafabenen Jeeps, der sein Geld hauptsächlich damit verdient, Tou­ris­t:in­nen von einer Stadt in die andere zu fahren, antwortet auf die Frage, woher er denn wisse, wann es Zeit zum Tanken sei, ein wenig erstaunt: Er verlasse sich eben auf sein Gehör – und sein Zeitgefühl.

Sonnenstrahlen fallen auf die Landstraße, die Havanna und Trinidad verbindet. Es ist früh am Morgen eines Dezembertages, trotzdem beträgt die Außentemperatur schon jetzt über 20 Grad. Meilenweit schweift der Blick über Zuckerrohrplantagen, ab und zu steht ein einzelner Verkäufer am Straßenrand und bietet Obst und Gemüse an.

Dass ein Auto in Kuba auch einfach mal liegen bleibt, wenn der Tank leer ist, das sehen sie hier häufiger – und der Grund sind nicht nur kaputte Tankanzeigen. Auf dem Inselstaat in der Karibik ist Benzin knapp. Grund ist ein US-Embargo, das im Jahr 1960 verhängt wurde und seither gilt – auch wenn es vor einigen Jahren Lockerungen bei den Handelsbeschränkungen gab, ist es dennoch das weltweit am längsten bestehende Wirtschaftsembargo. Auf der Insel mangelt es nicht nur an Benzin, sondern an allen möglichen Waren des täglichen Bedarfs.

Ihre Worte sollen in der Zeitung stehen

Silvana ist Anfang dreißig und arbeitet im Kulturbetrieb. Ihren richtigen Namen will sie wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung nicht in der Zeitung lesen. Aber reden will sie: Es ist ihr wichtig zu sagen, dass das Bild, das anderswo von Kuba vermarktet wird – das sonnige Touristenparadies –, nicht stimmt.

Silvana sitzt draußen auf der Dachterrasse eines Veranstaltungsortes in Havanna, am Rande des „Festival Internacional de Música Electrónica“ – eines Festivals für elektronische Musik. Zur Eröffnung tritt eine Gruppe von Tän­ze­r:in­nen auf die Bühne, sie performen Hiphop und Breakdance, avantgardistisch gekleidet in Kleider, die aus Stroh gefertigt sind.

Wird mal ein Produkt angeboten, ist gleich das ganze Regal damit befüllt – zum Beispiel mit Babywindeln

Silvana, die auf der Dachterrasse im ersten Stock sitzt, trägt eine helle Bluse mit Blumenmuster. In der einen Hand hält sie einen Drink, ihre knallrot geschminkten Lippen umschließen den Strohhalm. Die meisten ihrer Freunde, sagt sie, würden in die USA wollen. In Kuba halte sie wenig.

Tatsächlich ist der Weg in die USA für Ku­ba­ne­r*in­nen etwas leichter als für Bürger anderer lateinamerikanischer Staaten. Seit der Cuban Adjustment Act am 2. November 1966 in Kraft getreten ist, genehmigen ihnen die Vereinigten Staaten einen dauerhaften Aufenthalt, wenn sie sich seit mindestens einem Jahr auf dem Boden der USA befinden.

Asyl in Mexiko und USA

1994 erklärten sich die USA zudem bereit, jährlich mindestens 20.000 Ku­ba­ne­r:in­nen legal aufzunehmen. Mittlerweile gehen viele Ku­ba­ne­r:in­nen aber auch nach Mexiko, was dort zu einem Anstieg an Asylanträgen führte – allein 2022 beantragten dort über 2.000 Menschen aus Kuba Asyl, in 69 Prozent der Fälle werden sie genehmigt, wie die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Wola darlegt.

Anders in Deutschland: Im Jahr 2022 beantragten 187 Ku­ba­ne­r:in­nen Asyl, in 94 Fällen wurden Entscheidungen getroffen. Insgesamt wurden fünf Asylanträge genehmigt, zwei weitere wurden als Geflüchtete anerkannt. 55 hingegen wurden abgelehnt, sagt die Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

Junge Menschen stehen im Kreis, dahinter der Sonnenuntergang

Viele können sich ein Leben auf Kuba nicht mehr vorstellen und flüchten in die USA oder nach Mexiko Foto: Ramon Espinosa/ap

Auch Silvana sagt, sie wolle früher oder später das Land verlassen, um sich irgendwo anders ein neues Leben aufzubauen. Doch jetzt haben sich die jungen Menschen erst mal im Westen der Hauptstadt versammelt, um das Wochenende zu feiern. Teil des Musikfestivals ist auch eine Kunstausstellung. Sie zeigt für kubanische Verhältnisse durchaus untypische Kunst.

Eine Bilderreihe, die vom Stil an die Schablonen-Graffiti des britischen Streetart-Künstlers Banksy erinnert, zeigt nackte Männer; einer klammert sich an das Bein eines bekleideten Polizisten. Darüber stehen die Worte: „Oye Policia Pinga“, kubanischer Slang für „Fuck the Police“. Auf dem Oberarm des Nackten ist ein Tattoo mit dem Gesicht des legendären kubanischen Revolutionsführers Che Guevara abgebildet.

Freiheit in der Kunst genauso beschränkt

Diese Freizügigkeit ist deshalb ungewöhnlich, wie auch Silvana sagt, weil die kubanische Regierung unter der Führung des Staatspräsidenten Miguel Díaz-Canel durchaus restriktiv gegen kritische Meinungsäußerungen vorgeht – auch in der Kunst. Ende 2018 wurde das sogenannte Dekret 349 erlassen: Künst­le­r:in­nen müssen sich in Kuba ihre Kunst vom Staat genehmigen lassen. „Die Regierung drang auch in die Häuser der Künstler ein und nahm Werke mit“, sagt Gabriele Stein von Amnesty International. „Viele Künstler haben dagegen protestiert. Es ist ja keine Meinungsfreiheit, wenn alles genehmigt werden muss.“

Der letzte große Protest gegen diese restriktive Regierungspolitik liegt schon etwas zurück: Am 11. Juli 2021 riefen Oppositionelle zu einer Demonstration auf. Stein erklärt, dass der Aufstand damals auch mit Corona und der wirtschaftlichen Lage zu tun hatte: „Der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen für die Wirtschaft, brach weg.“

Infolge der Proteste wurden 1.400 Menschen inhaftiert, darunter auch Jugendliche unter 18 Jahren. Die Menschen kämen auch nicht mehr nach einigen Tagen oder maximal einigen Monaten wieder auf freien Fuß, sagt die Menschenrechtsaktivistin. Die Regierung verhänge mittlerweile auch jahrelange Haftstrafen.

„Das Einzige, das in diesem Land gut ist, ist das kostenlose Bildungssystem. Das nutzen alle aus, um dann später ins Ausland zu flüchten“, erklärt Silvana. „Dieses Land stirbt“, ist sie überzeugt. „Junge Menschen gehen, und es kommt kein Nachwuchs nach. Warum auch? Es gibt keinen Grund, Kinder zu bekommen. Kuba bietet ihnen keine Perspektive.“

Die Geburtenrate beträgt 0,89 Prozent

Tatsächlich ist Kuba mit mehr als elf Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Staat in der Karibik. Doch die Geburtenrate geht stetig zurück: Lag sie 1961 bei 3,33 Prozent, betrug sie 2022 nur noch 0,89 Prozent. Gleichzeitig bleibt die Auswanderungsquote in die USA sowie in andere Staaten hoch. Allein im Jahr 2021 sind laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen 21.821 Menschen aus Kuba geflüchtet. Das hat viele Gründe: das US-Embargo, das praktisch keinen Handel zulässt, die fehlenden demokratischen Rechte und die mangelhafte Pressefreiheit. Auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen belegte der Inselstaat 2022 Platz 173 von insgesamt 180 Staaten – hinter Russland, Saudi-Arabien, Syrien und dem Irak.

In der kubanischen Verfassung ist der Alleinherrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei festgeschrieben; seine Legitimität beziehen Partei und Staat aus der Revolution im Jahr 1959 unter Fidel Castro. Ein Jahr später folgte das US-Handelsembargo – in der Erwartung, dass sich das kommunistische Regime unterwerfe. Lange Jahre wurde der Staat von der Sowjetunion unterstützt, doch mit Ende des Kalten Krieges brach Kubas Schutzmacht weg. Einzig auf sein kostenfreies Erziehungs-, Gesundheits- und Bildungssystem ist das Land stolz.

„Das Geld kommt aus dem Staatshaushalt“, erklärt Bert Hoffmann, Politikwissenschaftler und Kuba-Experte. Von den Zuckerrohrbetrieben bis hin zu den staatlichen Hotels sei der Staat der größte wirtschaftliche Akteur. Doch nur ein kleiner Teil davon werde durch Steuereinnahmen gegenfinanziert. „Es kommt zu Medikamentenmangel, es gibt kaum Investitionen in die Sanierung von Gebäuden, und auch die Löhne sind nicht mehr so viel wert wie früher.“

Die kostenlosen Schulen leiden unter Lehrkräftemangel. Viele Fachkräfte seien emigiriert und versuchten, in der besser zahlenden Privatwirtschaft einen Job zu bekommen, erklärt der Politikwissenschaftler. „Bildung und Gesundheit haben längst nicht mehr die Qualität, die sie vor 20 Jahren noch hatten.“

Was Hoffmann positiv sieht mit Blick auf die zurückliegenden Pandemiejahre: „Kuba hat erfolgreich einen eigenen Corona-Impfstoff entwickelt, als eines der wenigen Länder überhaupt. Kuba hat auch eine beispielhafte Impfkampagne geschafft, und so eine Leistung muss auch anerkannt werden.“

Palmen, Sonne, Strand gegen Wasser- und Strommangel

Silvana sagt, auf der einen Seite gebe es das Bild Kubas, das wie aus einer Postkarte entsprungen scheint: fabelhafte Strände, Palmen, Sonne, Rum, Zigarren und bunte Oldtimer wie aus einem Hollywoodfilm. Es ist ein Bild Kubas, das exklusiv für Tou­ris­t:in­nen bestimmt ist.

Künst­le­r:in­nen müssen sich in Kuba ihre Kunst für gewöhnlich vom Staat genehmigen lassen. Die Regierung geht gegen kritische Meinungen scharf vor

Auf der anderen Seite existiert das Kuba der Einheimischen: ohne Strom und Wasser, ohne Medikamente, mit stark eingeschränktem Zugang zum Internet, ohne freie Meinungsäußerung oder freie Presse – und mit einer Hauptstadt, in der es in den Läden mitunter nicht mal Toilettenpapier zu kaufen gibt.

Hinzu kommt ein massives Inflationsproblem seit der Coronakrise, die in Kuba wegen des ausbleibenden Tourismus eben auch eine Wirtschaftskrise war: Lag der Wechselkurs des kubanischen Peso vor der Pandemie bei 1 Euro zu 25 Pesos, liegt er heute bei 1 zu 130. Auf dem Schwarzmarkt ist der Euro sogar 160 bis 170 Pesos wert.

„Die Linken, die hier Urlaub machen und sagen, Kuba sei so ein tolles, kommunistisches Land, sollen erst mal nach kubanischem Standard leben. Dann werden sie schon sehen, ob sie es hier wirklich so toll finden“, sagt Roberto. Seine Stimme ist laut, Arme und Oberkörper schwingen beim Gestikulieren immer wieder wild durch die Luft.

Im Lidl einkaufen zu können ist ein Luxus

Ähnlich wie Silvana ist auch Roberto Anfang 30. Und auch er möchte nicht mit richtigem Namen in der Zeitung stehen. Er arbeitet in einem Hotel und hat viel mit ausländischen Gästen zu tun. An der Wand der Hotellobby hängen mehrere gerahmte Porträts von Menschen, die eine Grimasse ziehen. Auch Roberto zieht häufig eine Grimasse, insbesondere, wenn er über sein Land schimpft.

„Ich wollte, dass meine Frau zwei Packungen Salz kauft!“, ruft er. „Das kann doch nicht so schwer sein, wir sind umgeben von Salzwasser. Es ist kein Hexenwerk, einfach ein bisschen Wasser zu nehmen und es in die Sonne zu legen. Von beidem haben wir genug!“ Doch Salz war praktisch nirgends zu finden – ähnlich wie alles andere, das es in Kuba nicht zu kaufen gibt.

„Ihr könnt euch nicht vorstellen, was es für ein Luxus ist, in einen Supermarkt gehen zu können und diese ganze Warenvielfalt zu haben“, sagt Roberto. Er hat als Kind einige Jahre in Europa verbracht. „Es ist unglaublich. Die Regale sind voll, und du kriegst alles, was du brauchst.“

Roberto spricht fließend Englisch, zusätzlich noch Französisch und Deutsch. Dabei sind Fremdsprachenkenntnisse nicht die Regel – die meisten Ku­ba­ne­r:in­nen sprechen nur kubanisches Spanisch. Roberto ist Fan des Fußball-Bundesliga-Clubs FC Bayern, in seiner Wohnung hängen mehrere Schals und eine Mütze mit den entsprechenden Logos.

Am Fenster neben der Eingangstür hängt außerdem eine große Deutschlandflagge. „Das hab ich nicht aufgehängt“, versichert er, das sei seine Putzkraft gewesen. Aber auch sonst liegen Gegenstände wie Schlüsselanhänger oder selbstgebastelte Schatzkisten in Schwarz-Rot-Gold im Raum verteilt. Seine Liebe zum FC Bayern hat sich irgendwann offensichtlich auf das ganze Heimatland des Fußballclubs ausgeweitet.

Robertos größter Traum ist es, in der Münchner Allianz-Arena ein Spiel der Bayern zu sehen, am liebsten mit einer Flasche deutschem Bier in der Hand, sagt er. Das Geld für einen Flug nach Deutschland habe er aber nicht beisammen, weshalb er bislang die Spiele nur im Fernsehen verfolgen konnte – und selbst das klappt nicht immer.

Leere Regale, leere Teller

Der Zugang zu Medien ist in Kuba regelmäßig durch Stromausfälle eingeschränkt. Auch fließendes Wasser ist keine Selbstverständlichkeit. Zusätzlich treffen auf Kuba wegen des Handelsembargos kaum Waren ein. Vereinzelt gibt es Geschäfte, die aussehen wie Supermärkte, doch bis auf Rum sind die Regale alle leer. Wird mal ein Produkt angeboten, ist gleich das ganze Regal damit befüllt – zum Beispiel mit Babywindeln oder Menstruationsartikeln. Dieser Warenmangel fühlt sich an wie die Situation in Deutschland kurz nach Beginn des Coronalockdowns 2020 – mit dem Unterschied, dass auf Kuba nicht nur Klopapier und Nudeln fehlen.

Menschen stehen um einen Mann herum, der Gemüse verkauft

Gemüse vom Straßenhändler. In den Supermärkten bleiben die Regale oft leer Foto: Alexandre Meneghini

2021 unternahm Kuba eine Wirtschaftsreform, die mehr kleine und mittelständische Privatunternehmen zuließ. Seitdem gibt es an vielen Ecken in Havanna kleine Mini-Supermärkte. Die Einheimischen wissen, wo sie ihre Besorgungen machen können, bei welchen Händ­le­r:in­nen es Saft, Schokolade oder Brot zu kaufen gibt.

Der Mangel an Waren macht sich auch in Restaurants bemerkbar. In jedem Lokal bieten die Köche die gleichen Gerichte an, bestehend aus gebratenem Huhn oder Fisch mit Reis und ein wenig Gemüse – ohne Soße. Auch sonst existiert das meiste auf dem Menü lediglich auf dem Papier, auf Nachfrage bei der Servicekraft kommt stets nur eine Antwort zurück: „Das haben wir nicht da.“ Die Hoffnung auf ein wenig kulinarische Abwechslung schlägt fehl: Selbst in einem chinesischen Restaurant in der Chinatown Havannas sind das einzig Chinesische die Schriftzeichen auf der Speisekarte.

Muscheln oder Oktopusse finden sich lediglich in Form von Graffiti an der Wand. Auf den Straßen sieht man viele Menschen, die im Müll nach Essensresten und anderen brauchbaren Gegenständen suchen. Wenn sich Ku­ba­ne­r:in­nen etwas gönnen wollen, bilden sie meterlange Schlangen vor Eisdielen, die meistens nur eine Sorte anbieten. Das Schokoladeneis schmeckt wässrig, von Kakao ist kaum etwas zu spüren.

Nicht existierendes Internet selbst in Hotels

Während es an vielen Lebensmitteln mangelt, spart man zu manchen Angelegenheiten dennoch nicht an Pomp: Zur Weihnachtszeit hängen überall Plastikdekorationen, viele kleine Einzelhändler haben einen Tannenbaum auf ihrem Tresen stehen. Selbst am heißen Strand stehen zwei aufgeblasene Schneemänner und winken dem Ozean zu. In einem Garten in Havanna steht ein zwei Meter großer Weihnachtsmann. Ein junger Kubaner stellt sich lässig vor die Luftpuppe und posiert, sein Freund macht ein Foto von ihm.

Ob das Bild sofort in den sozialen Medien wie Ins­tagram landet? Jedenfalls muss man in Kuba lange nach einer Internetverbindung suchen. Überall dort, wo man Internet vermuten könnte – in Privatwohnungen, Hotels, Cafés – existiert ein Leben ohne World Wide Web. Tagsüber tummeln sich Menschen in Parks, wo die Regierung eine gedrosselte Verbindung zur Verfügung stellt.

Die andere Option, sich mit der Welt zu vernetzen, wären SIM-Karten – doch das Surfen ist auf zwei Gigabyte pro Monat begrenzt. Und die einzige Firma, die SIM-Karten verkauft, ist in staatlicher Hand. „Wir haben vermutlich das teuerste Internet weltweit“, sagt Silvana. Außerdem seien manche Webseiten blockiert und die Nutzung eines VPN, also eines virtuellen Netzwerks, erforderlich.

Serien über Streamingdienste zu schauen oder Musik zu streamen ist daher unmöglich. Doch die Ku­ba­ne­r:in­nen kennen ihre Mittel und Wege, um trotzdem auf dem neusten Stand zu bleiben. Silvana bekommt einmal pro Woche eine Festplatte vom Schwarzmarkt, ein „Package“, also ein Paket, wie sie es nennt.

Ein Mann liefert die Festplatte bis vor die Haustür und holt diese am nächsten Morgen wieder ab. Silvanas überschlagene Beine wippen leicht mit der Musik. „Wir haben alle Filme, Serien und Musik auf unserem Package. Netflix, Disney Plus, Amazon Prime – alles.“ Eine Nacht lang hat Silvana Zeit, die Daten von der Festplatte auf ihren eigenen PC zu laden. Am nächsten Morgen wird sie wieder abgeholt und in der darauffolgenden Woche wieder geliefert. Was die neueste amerikanische und europäische Popkultur angehe, sei sie daher bestens informiert.

Kri­ti­ke­r:in­nen werden aus- oder eingesperrt

Dasselbe gilt nicht für politische Nachrichten und Informationen. Laut Human Rights Watch baute Kuba seit 2017 Internetdienste für Haushalte aus und erlaubte die Einrichtung von privaten Wifi-Netzwerken. Doch als durch die sozialen Medien verstärkt über Missstände berichtet und Proteste organisiert wurden, blockierte die ­Regierung den Zugang zu vielen Webseiten und Blogs erneut. Anschließend kündigte Kuba am 17. August 2021 an, die Nutzung der Telekommunikation zu regeln – mit einem Gesetzes­dekret sollen das „Erbe der kubanischen Revolution“ verteidigt und regierungskritische Meinungen gesperrt werden.

„Das soziale Netz wird regelmäßig durchforstet, es wird nach Kritik oder Beleidigung der Regierung gesucht“, erklärt auch Gabriele Stein von Amnesty International. Durch Verschärfungen im Strafgesetzbuch im Januar 2022 sei die Meinungsfreiheit im Internet noch mal verschärft worden, sagt Stein. „Leute müssen aufpassen, was sie auf Twitter, Instagram oder Facebook schreiben.“

Um ihre Macht aufrechtzuerhalten, sperrt die Regierung allerdings ihre Kri­ti­ke­r:in­nen nicht nur digital aus, sondern auch ganz analog hinter Gittern ein. Amnesty International fordert den Präsidenten Díaz-Canel seit Längerem dazu auf, den Aktivisten Luis Manuel Otero Alcántara freizulassen. Alcántara war zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, weil er in einem Video angekündigt hatte, an der letzten großen Demonstration am 11. Juli 2021 teilzunehmen. Noch ehe er sich am Protest beteiligen konnte, wurde er von den kubanischen Behörden festgenommen.

In anderen Fällen treibt die Regierung kritische Leute ins Exil. „Die meisten Inhaftierungen, die wir im Moment sehen, sind die in Bezug auf die Proteste am 11. Juli“, erklärt der Politikwissenschaftler Hoffmann. Die Regierung ließ dabei viele Wort­füh­re­r:in­nen ins Ausland flüchten, doch Hunderte wurden auch verhaftet. „Dabei ging es ganz klar um eine maximale Abschreckungswirkung, und das hat auch so gewirkt. Seitdem hat es keine größeren Straßenproteste mehr gegeben“, sagt Hoffmann, der am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin lehrt.

Zustände wie in der DDR

Silvana ist überzeugt: Um zu wissen, was die Bevölkerung denkt, schleust die kubanische Regierung auch Spitzel unter die Bevölkerung. „Ich traue kaum jemandem“, erklärt sie. „Du weißt einfach nie, ob dein Gegenüber Freund oder Feind ist. Deswegen haben ja auch viele so große Angst, sich zu äußern.“

Ob die Sorge vor Bespitzelung so stimmt? „Es gibt diese Komitees zur Verteidigung der Revolution, aber das ist keine geheime Bespitzelung, sondern eine offene Struktur“, erklärt der Kuba-Experte Hoffmann. „Alle kennen ihren lokalen Komitee-Vorsitzenden, der oder die schreibt keine Berichte unter Decknamen, sondern klopft bei dir an, wenn ihm oder ihr was verdächtig erscheint.“ Diese Komitees seien inzwischen aber keine starke Struktur mehr, erklärt er. Das sei früher anders gewesen.

„Was es aber gibt, sind professionelle Sicherheitskräfte in Zivil“, sagt Hoffmann. „Die sind allerdings selektiv. Wenn du eine prominente Person bist, ein Blogger oder Oppositioneller, dann wird der Staat dich nicht völlig unbeobachtet lassen.“ Die einfache Bevölkerung betreffe dies aber nicht, erklärt er, zumindest nicht diese Art von Aufmerksamkeit. „Trotzdem können Leute das so erleben, da haben sich über die Jahre teilweise Ängste tief eingegraben.“

Viele Ku­ba­ne­r:in­nen entscheiden sich für den Strand

Stein von Amnesty International sieht die Lage kritischer: „Es gibt durchaus Leute, die ihre Nachbarn an die Regierung verpetzen“, sagt sie. „Diese bekommen dann eine Klage und werden inhaftiert oder verlieren ihren Job“, sagt Stein. Da es wenig private Wirtschaft in Kuba gibt und der Staat der mit Abstand größte Arbeitgeber ist, hat die Regierung da ein wirksames Druckmittel in der Hand.

Dass ihr unbedingte Treue sehr wichtig ist, verheimlicht die Regierung nicht: An Häuserwänden und Plakaten stehen die Worte „Patria o muerte“ geschrieben, zu Deutsch „Vaterland oder Tod“. Außerdem hängen dort Porträts der historischen Revolutionsführer Che Guevara und Fidel Castro. Die wenigen Postkarten, die es in Kuba zu kaufen gibt, zeigen, allgegenwärtig, entweder Ches Gesicht – oder aber den karibischen Strand.

Viele junge Ku­ba­ne­r:in­nen entscheiden sich gegen Che und für den Strand: Sie setzen sich in Schlauchboote, um damit das Meer in Richtung USA zu überqueren, rund 180 Kilometer sind es bis zur Küste Floridas. Es ist die Hoffnung, aus dem vermeintlichen Paradies irgendwie wegzukommen.Der Text und die Recherche wurden von der taz Panter Stiftung finanziert.

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