Kopftuch-Urteil des Verfassungsgerichts: Wie in Polen und Ungarn
Karlsruhe billigt ein Kopftuchverbot für Richterinnen. Damit schützt es die Mehrheit, nicht die Grundrechte.
W arum haben wir ein Verfassungsgericht? Damit die Grundrechte des Einzelnen auch gegen Gesetze der Mehrheit geschützt werden. Gerade weil sich die Mehrheit gern dadurch Akzeptanz verschafft, dass sie unbeliebte Minderheiten drangsaliert, ist die Kontrolle durch ein Verfassungsgericht notwendig, um die Rechte von Minderheiten zu sichern.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht akzeptiert, dass in Hessen Richterinnen das Tragen eines muslimischen Kopftuchs verboten werden darf. Das ist ein Gesetz, das erkennbar darauf abzielte, Musliminnen auszugrenzen. Doch das Bundesverfassungsgericht hat dies nun gebilligt. Der Staat habe hier einen Einschätzungsspielraum.
Mit derartigen Entscheidungen nimmt sich das Bundesverfassungsgericht selbst aus dem Spiel. Es entscheidet nicht im Zweifel für die Grundrechte, sondern dient nur noch als Legitimation der diskriminierenden Mehrheit. So stellt man sich auch in Polen und Ungarn die Rolle von Verfassungsrichtern vor.
Eigentlich waren wir schon weiter. Bei Lehrerinnen und Erzieherinnen darf das muslimische Kopftuch nicht mehr pauschal verboten werden, so das Bundesverfassungsgericht 2015. Die staatliche Neutralität sei nicht verletzt, wenn einzelne Staatsbeschäftigte ein Kopftuch tragen. Es habe auch niemand ein Recht, vom Anblick kopftuchtragender Frauen verschont zu werden, denn das Kopftuch gehöre in Deutschland zum „gesellschaftlichen Alltag“. Aber das war der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Über die Richterinnen entschied nun der Zweite Senat. Er lässt es zu, dass Kopftücher auf der Richterbank verboten werden, um das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Justiz zu sichern. Die Sichtbarkeit von Muslimen sei geeignet, „das Bild der Justiz in ihrer Gesamtheit zu beeinträchtigen“. Was für ein Signal des höchsten deutschen Gerichts sieben Tage nach den antimuslimischen Morden von Hanau. Wer Diskriminierung von oben zulässt, braucht sich über den tödlichen Rassismus von unten nicht zu wundern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen