Impf-Debatte in Deutschland: Der Unmut der Ungeimpften

Beim Coronaschutz bleibt ein relevantes Gerechtigkeitsproblem. Die Gefahr, dass die Fäden der gesellschaftlichen Solidarität reißen, ist groß.

Eine Ärztin mit Mundschutz und Schutzhandschuhen hält eine Spritze in der einen Hand und macht eine ablehnende Geste mit der anderen Hand

Sollen Geimpfte Coronabeschränkungen unterworfen bleiben, damit Ungeimpfte alles besser ertragen? Foto: Gladys Chai von der Laage/imago

So kann man es natürlich auch beschreiben, wenn eine Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen­kon­fe­renz weitgehend ergebnislos bleibt: Es habe eine „Chance auf Meinungsaustausch“ gegeben, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller nach dem Impfgipfel am Montag fröhlich, „ohne dass wir uns stundenlang mit seitenlangen Beschlusstexten befassen mussten“. Schön, wenn jemand der Coronalage noch so viel Positives abgewinnen kann. Leider aber wird die Lage auch davon bestimmt, dass die Mi­nis­ter­prä­sident:innen nicht einmal mehr versuchen, gemeinsame Beschlüsse zu fällen. Dabei wäre dies in Sachen Vertrauensbildung weiterhin dringend nötig.

Denn die Frage, mit der sich die politischen Pan­de­mie­be­kämp­fe­r:in­nen diese Woche auseinanderzusetzen hatten, ist erst einmal eine ethische – und verlangt entsprechend eine einheitliche Antwort: Können Geimpfte und Genesene so behandelt werden, als wären sie weder selbst gefährdet noch für andere gefährlich – was stimmt? Oder sollen sie weiter den Coronabeschränkungen unterworfen bleiben, damit die Ungeimpften diese besser ertragen – weil sich alles besser ertragen lässt, wenn auch alle davon betroffen sind?

Doch weiterhin macht am Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen­tisch jeder seins – und die Gründe sind erneut erkennbar rein politische, nicht ethische. Beschränkungen für Geimpfte und Genesene aufrechterhalten – auf Ende Mai und den Bund warten, sagt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet. Seitdem er Unions-Kanzlerkandidat ist, hat Laschet die Vorzüge bundesweiter Regeln entdeckt.

Geimpfte und Genesene sofort wieder besser stellen, sagt dagegen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Aus ebendem Kanzlerkandidaten-Grund geht ihm die Bedeutung der Bundeseinheitlichkeit nun erkennbar sonst wo vorbei.

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Die Abwägung bleibt jedoch aus zwei Gründen schwierig: Immer noch gibt es nicht genug Impfstoff, auch wenn fürs zweite Quartal 80 Millionen Dosen angekündigt sind. Und: Die Priorisierung nach ethischen Kriterien ist großenteils Geschichte. Gesunde 40-Jährige in Berufen fern jeder Systemrelevanz bekommen beim Hausarzt Termine. Anderswo warten über 70-Jährige immer noch auf ihren ersten Schuss.

Auch die endlich eröffnete Diskussion darüber, dass in ärmeren Vierteln auch höhere Inzidenzen herrschen und die Impfkampagne an zu vielen Menschen mit Migrationsgeschichte vorbeigeht, zeigt, dass es ein relevantes Gerechtigkeitsproblem im Coronaschutz gibt.

Rechte für Geimpfte!

Wenn aber knapper Impfstoff unfair verteilt wird, ist es recht heikel, die Ungleichgewichte noch zu vergrößern. Zu Recht fürchten manche Politiker:innen, dass der Unmut der Ungeimpften potenziert bei ihnen anlanden könnte. Wer dagegen – wie mehrere Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen – davon ausgeht, dass er/sie diesen Unmut samt Schuldzuschreibung weiterhin an den Bund durchreichen kann, sieht hier kein Problem.

Nun kann man auch ohne politisches Kalkül gut zu dem Schluss kommen, dass es keinen hinreichenden Grund mehr gibt, die Rechte der Geimpften und Genesenen noch einzuschränken. In jedem Fall müssen sie beim Shoppen und beim Friseur mit negativ Getesteten gleichgestellt werden. Schließlich stellen sie ein viel geringeres Risiko dar als die relativ unsolide Wirtschafterei mit den Schnelltests.

Doch sind die Fäden der gesellschaftlichen Solidarität schon dünn geworden. Die Gefahr ist groß, dass sie reißen, wenn der Lebensqualitäts-Abstand zwischen denen auf der sicheren Seite und den noch Ungeschützten erkennbar wird. Das aber ist dann nicht die Schuld derer, die im psychosozialen Großversuch namens Corona die Nerven verlieren. Sondern derer, die sich von Anfang an zu wenig darum gekümmert haben, dass sowohl die Belastungen als auch die Chancen auf Schutz in der Pandemie besser verteilt werden.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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