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Höfliche AnredeSiez mich nicht so an

Unsere Autorin wird immer öfter gesiezt, ohne es zu wollen. Ein kritischer Blick auf das Sie als verstecktes Abgrenzungssignal.

Klassische Außenseiterposition Foto: Robert Fishman/imago

E s gibt viele Wege, Menschen zu zeigen, dass sie nicht dazugehören. Siezen ist einer davon. Siezen ist als Ausgrenzungstool so beliebt, weil sich das „Sie“ als angeblicher Ausdruck von Respekt und Wertschätzung tarnt. Der Hieb knallt dem Gegenüber nicht direkt vor den Kopf. Er trifft so von der Seite: passiv-aggressiv.

Denn eine formale Anrede in einem informellen Rahmen schafft vor allem eins: Distanz. Siezen ist hier eine Verweigerung von Verbindung. Es sagt: „Du bist kein Teil der In-Group. Du bist nicht du. Du bist Sie.“ In einer Welt, in der ich selbst von Ikea geduzt werde, will das schon was heißen.

Besonders auffällig ist das im Netz. Wer dich in den Kommentaren siezt, will dir nichts Gutes. Sondern dir erklären, warum du keine Ahnung hast. Von nichts! Auch die Online-Formulierung „diese Dame“ funktioniert so:

Noch nie in der Geschichte des Internets hat jemand unter irgendwas, das eine Frau geschrieben hat kommentiert: „Diese Dame hat Recht und ich habe viel von dieser Dame gelernt.“ Die vornehme Bezeichnung „Dame“ wird ins Spiel gebracht, um darauf hinzuweisen, dass dieser Text von einer Frau geschrieben wurde.

Meist folgt auf „diese Dame“ etwas, das der Autorin die Kompetenz abspricht. Ich selbst bin unter Duzenden aufgewachsen. In meiner Familie haben sich alle geduzt. Als Kind und Jugendliche war ich „du“; auch unter Kom­mi­li­to­n*in­nen und Freun­d*in­nen duzt man sich; dann das Genossen-Du und das Kollegen-Du am Theater: Wir duzen junge Menschen und solche, die uns nah sind.

„Suchen Sie was?“

Menschen, mit denen wir etwas teilen. Dass mir nun immer häufiger ein Sie entgegengeschleudert wird, kann zwei Dinge bedeuten: Ich bin alt. Oder ich bin eine Außenseiterin. Es ist wohl Option drei: Ich bin älter geworden und werde deshalb in Räumen, die zu meinem gewohnten Umfeld gehören, als Außenseiterin gesehen.

Verunsichernd bis schmerzhaft ist das an Orten, die entstanden sind, weil Menschen sich zusammengeschlossen haben, weil sie im Alltag „anders“ behandelt werden. An Orten also, in denen man sich gefunden hat, um gemeinsam „anders“ zu sein – auf einer feministischen Party oder in Schwarzen Räumen.

Nach einer Weile mal wieder in den Punkrock-Schuppen zu kommen, in dem man viel Zeit verbracht hat und dort mit einem freundlich skeptischen „Suchen Sie was?“ begrüßt werden, ist ein harter Burn.

Es gibt so viele Erzählungen darüber, dass Menschen im Alter konservativer werden, und da draußen sind genug Leute, die darauf warten, dass ich endlich aus meiner rebellischen Phase rauswachse. Da muss die eigene Szene oder Community ja nicht mitspielen!

Ältere Leute in einem queeren Laden sind nicht automatisch die Eltern, die irgendwer mitgebracht hat, sondern vielleicht einfach alte Queers. Wir alle legen unsere Identität und unsere Marginalisierungserfahrungen nicht ab, sobald wir vierzig sind.

Wir sind weiterhin auf Schutzräume angewiesen. Viele von uns hat das Leben irgendwie eingeholt und der Alltag mit Lohnarbeit und Sorgearbeit lässt vielen kaum Raum. Ich bin definitiv keines von den coolen Kids mehr. Aber ich bin immer noch cool. Also siez mich nicht von der Seite an.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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59 Kommentare

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  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.                   Die Moderation                             
  • Ich FÜRCHTE mich jedes mal vor der Frage: "Du oder Sie?" und beantworte sie einfach mit: "YOU..." und es klingt ja auch viel besser: "You are so beautiful..." :-) Womit Alle gemeint sind, egal ob "Du", "Ihr", "Sie", "Es"... Relax and have a nice day :-))

  • Ich bin es von der Arbeit und aus Gewerkschaft und Ehrenamt gewohnt, dass man sich duzt. Ich hab mal auf einer Konferenz ein "großes Tier" vom Arbeitgeberverband geduzt. Der war erst irritiert, dann belustigt, weil ich ihn für einen "Genossen" gehalten hatte.

    Ich habe auch schon aus purer Gewohn- und Gedankenlosigkeit nicht-Weiße Personen geduzt, was mir jedesmal, aber wirklich jedesmal, als Herabwürdigung und Rassismus angekreidet wurde. Jetzt soll es Herabwürdigung sein, wenn man siezt?



    Das ist wie Verwendung von Fremdsprachen:



    Anrede auf Deutsch = Rassismus, da ich nicht voraussetzen darf, dass die angeredete Person Deutsch beherrscht.



    Anrede auf Englisch = Rassismus, da ich nicht voraussetzen darf, dass die angeredete Person Deutsch nicht beherrscht.



    Gar keine Anrede = Rassismus, da ich die nicht angeredete Person bewusst ignoriere.

    Es wird Zeit, dass ein moderner "Knigge" geschrieben wird.

  • Fortsetzung von Teil 1;-)



    Als ich 20 war, oder ein bisschen drunter, schaute ich in die enttäuschten Gesichter von 'Erwachsenen', und so ein Leichendasein wollte ich nie leben. Und Nähe ist sicher ein gutes Mittel gegen geistiges Totsein, aber Bitte, mit Höflichkeit. Oder soviel Charme, das man von umwerfend reden kann. Ok. Es gibt ein natürliches, unangekündigtes Du. Aber das ergibt sich. Darüber muss man nicht reden. Das Du per se ist eine Unverschämtheit.

  • Ganz ehrlich? Wenn ich von Fremden geduzt werde, fühle ich mich beleidigt. Es gibt hunderte von Anzeichen, jemanden sympathisch zu finden, und das auch zu zeigen, aber das Du von mir unbekannten Personen empfinde ich als plumpen Versuch, Nähe zu zeigen, wo sie noch nicht verdient ist. Sind wir schon 10 Milliarden auf diesem Planeten, jedenfalls, ich suche mir meine Duz-Bekannten aus, und die englische Sprache und ihre Benutzer scheinen mir nicht wirklich gekonnte Advokaten für das unterschiedslose Du. Nachdem ich mir jetzt Ihren Avatar angeschaut habe, halte ich für nicht ausgeschlossen, von Ihrem Du nicht beleidigt zu sein, trotzdem möchte ich Ihnen empfehlen, mal diesen schönen Moment des Wechsels vom Sie zum Du so zu erfahren, das Sie ihn schätzen können. Er ist ein Signal, und eine Übereinkunft. Und ohne die geht es leider nicht. Diese hingeworfene Liebe, dieses, wir sind alle Kumpels mit dem gleichen Schicksal auf diesem Planeten, und so weiter, ja, ja, ja..ne, ne, ne. Ich weiss schon jung sein.. Fortsetzung folgt.

  • Annette Hauschild , Autor*in ,

    Das mit dem Älterwerden ist so ne Sache. Besonders deutlich, wenn man einige Zeit nicht in seinen früheren Lieblingskneipen war und sich nach einigen Jahren dort noch mal blicken lässt. Geht wohl jedem so. Man kennt niemanden mehr, alle Bekannten von früher sind weg. Also dann hilft nur eines: ewig in seinen Lieblingskneipen hängen bleiben. Oder sich nichts anmerken lassen, ein Schwätzchen mit der Bedienung halten und z.B. fragen, wem die Kneipe denn jetzt gehört etc, einfach sitzen bleiben und evtl mal wieder öfter hingehen. Im Rheinland macht man das so. Man lernt ja auch neue Leute kennen.

  • Annette Hauschild , Autor*in ,

    Ich habe einen jugendlich wirkenden Referenten in einer Vortragsveranstaltung, bei der es um kreative legale Widerstandsformen lernen ging, geSiezt und er bestand darauf dass er mich duzen wolle und ich ihn auch duzen solle. Ja, das hat mich gestört. Das fand ich übergriffig. Ich gehörte nicht zu seiner Anhängerschaft, sondern wollte mir bloß anhören, wie er als Vertreter der jüngeren Generation legalen Widerstand gegen Bauprojekte oder für Umweltschutz lehrt. Alle um mich herum waren mindestens 30 - 35 Jahre jünger als ich und schmunzelten, obwohl sie längst nicht so viel Erfahrung mit legalem Widerstand haben wie ich. Ich bestehe darauf, dass ich als Frau (oder Dame) das Du anbiete, auf jeden Fall einer wesentlich jüngeren Person. Das ist das Vorrecht der Frauen.



    Kommentare habe ich mir erspart. Was solls, ich werde dem jungen Mann nicht wieder begegnen.

    In Schweden finde ich es süß, geduzt zu werden. Von Leuten aus Skandinavien lasse ich mir das gern gefallen. Dass wir das amerikanische You völlig missdeuten, ist aufgrund von Unkenntnis. In USA heißt es nämlich "Vorname+ Sie", Was mich allerdings sehr stört, ist Werbung, bei der die Anrede "Sie" gar nicht mehr vorkommt.

  • Ist es eigentlich noch cool, cool zu sein?

  • Ich kann das Gefühl der Autorin verstehen. Aber an den Kommentaren sieht man ja, dass viele Menschen eben gerne gesiezt werden.

    Jetzt stehe ich vor einer mir unbekannten Person. Soll ich sie dann duzen, und das Risiko eingehen, dass es sich um einen dieser Menschen handelt, die sich am "Geduze" stören?

    Ich würde dann doch eher vorsichtshalber auf Sie ausweichen. Übrigens in den meisten Environments auch bei U30s oder sogar U20s, gerade bei der Arbeit (auch in der Gastronomie usw.). Aber bei einem Gespräch, das schon kumpelhaft/freundschaftlich losgeht, können auch Ü70er geduzt werden.

    Selber gehöre ich zu denen, denen das Pronomen einfach "egal" ist :)

  • Ach was würde ich mich freuen, nicht mehr von jedem Dödel geduzt zu werden. Diese pseudofreundliche Nähe finde ich oftmals nur noch peinlich. Also lasst uns wieder mehr sprachlichen Abstand halten, damit jede(r) wieder selbst entscheiden kann, wem die ultimative Sprachbeziehung angeboten wird. Wer sich beim „Sie“ weniger wertgeschätzt vermutet, sollte das Problem jedenfalls nicht zwangsläufig beim Gegenüber suchen.

  • Liebe Simone.

    Wir kennen uns nicht, aber da ich dich nicht beleidigen möchte, indem ich dich sieze, duze ich dich hiermit.

    Für mich ist es unhöflich, wenn mich jemand duzt, dem ich das Du nicht angeboten habe. Es ist eine unerlaubte Übertretung meiner Komfort-Zone. Niemand hat mich unerlaubt anzufassen und herabzuwürdigen. In der Ansprache sehe ich das genauso. Wenn ich nun eine gewisse Zeit mit jemandem verbracht habe und mich diese Person respektvoll behandelt hat, dann gehe ich einen Schritt vor und biete das Du an. Das bedeutet, dass ich der Person vertraue und sie näher an mich heran lasse, als ich es Fremden zugestehe. So funktioniert für mich der gegenseitige Respekt, der sich in der deutschen Sprache auf diese Weise gut ausdrücken lässt.

    Du sagst selber "Wir sind weiterhin auf Schutzräume angewiesen". Selber entscheiden zu dürfen, wem ich mein Vertrauen aussprechen möchte, ist für mich so ein Raum. Es wäre cool, wenn du mir diesen zugestehen würdest. Vielen Dank.

  • Es ist ja gerade angenehm, dass ich u.a. über die Anrede unterscheiden kann, wie nahe ich Menschen stehe. Jeder hat das Recht, selbst zu entscheiden, wie er oder sie zu anderen Menschen steht. Das darf kein "Gruppenzwang" festlegen.

    Die Steigerung der Duzer sind dann noch die Umarmer. Es gibt tatsächlich Menschen, die glauben, dass sie einem schon ab der zweiten Begegnung ungefragt um den Hals fallen dürfen. Dabei lege ich doch selbst fest, wer mich wie berühren darf. Für mich ist das ein Grundrecht.

    Übrigen Frau Ayivi. Älter werden wir alle. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der jünger wird. Also gewöhnen Sie sich doch einfach daran. Muss Jede bzw. Jeder.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      "Übrigen Frau Ayivi. Älter werden wir alle. Ich habe noch keinen Menschen getroffen, der jünger wird. Also gewöhnen Sie sich doch einfach daran. Muss Jede bzw. Jeder."

      Warum so zynisch, der Herr?

      Ihre Formulierung lässt wenig Raum für Empathie und könnte beim Gegenüber eher das Gefühl erzeugen, dass das Thema „Älterwerden“ als lästige Tatsache abgetan wird, statt Verständnis für die möglichen Unsicherheiten, die Menschen dabei empfinden könnten, zu zeigen.

      Eine empathischere Variante könnte den natürlichen Alterungsprozess anerkennen, aber gleichzeitig vermitteln, dass man diesem Prozess offen und vielleicht auch gemeinsam begegnen kann.

  • Ich spreche jeden mit Sie an, den ich nicht kenne. Wenn demjenigen das nicht passt, sein Problem.

  • Liebe Frau Ayivi.



    Für mich ist das „Sie“ eine Respektsbekundung und eine Form der Vertrautheitsdifferenzierung. Insbesondere in meinem Berufsalltag ist es wichtig, das Geschäft von privaten Dingen zu trennen. Trotzdem kann man in diesem Feld Vertrautheit und Freundschaft pflegen. Mir kommt es übertrieben vor, dass „Sie“ als aggressiven Akt zu interpretieren - ich fürchte, dass „Sie“ vielen Mitbürgern zu unrecht verurteilen. Die Reaktion eines Mitlesers lässt vermuten, dass es umgekehrt genauso verhalten kann. Sollte man daher nicht etwas Grossmut und Toleranz walten lassen?

  • Ungewollt mit "Du" angesprochen zu werden empfinde ich als übergriffig und respektlos. Die Fehlinterpretation des englischen "You" vor allem bei jungen Menschen (z.B. in der Gastronomie") ist für mich ein Zeichen von mangelnder Bildung.



    Für mich ist das "Sie" gerade ein Zeichen von Respekt und ja, auch einer gewissen, damit einhergehenden Distanz. Die zu überwinden muss ich gestatten oder den Wunsch dazu bei mir und beim anderen Menschen wahrnehmen. Nicht mir einfach anmaßen. So weise ich auch Menschen jeden Alters darauf hin, diesen meinen Wunsch zu respektieren. Tun sie das nicht, vergrößere ich den Abstand zu ihnen ganz bewusst. (z.B. Trinkgeld entfällt nach Hinweis und dessen Nichtbeachtung wegen empfundener Respektlosigkeit.) Um den positiven Aspekt auch noch beizufügen möchte ich erwähnen, dass mich ein angebotenes oder gestattetes "Du" auf der Basis von Kennenlernen meist (noch) sehr freut.

    • @Trabantus:

      Ungewollt mit "Du" angesprochen zu werden empfinde ich als übergriffig und respektlos.



      ----



      Meide Skandinavien! Wir "Siezen" da nur König & Königin, oder ein paar Tyska, Tysk, Saksa, die wir damit ärgern wollen! :-)

      • @Sikasuu:

        Ich besuchte und besuche gern die skandinavischen Länder und respektiere ganz bewußt deren Kultur der Ansprache. Allerdings erleb(t)e ich auch diverse Ausnahmen, meist bei älteren Menschen. Das tat gut und ärgert mich keineswegs. Ich nehme es einfach als Ausdruck von Respekt für meine, von ihnen erkannte kulturelle Herkunft.

      • @Sikasuu:

        Tja, Rang wird in Schweden oder den Niederlanden halt subtiler formuliert.

  • Lösung, weiteres Pronomen: Cosima (sie/ihr/Du), oder klein geschrieben Sophia (sie/ihr/du)

  • Ikea ist nicht wirklich eine Referenz. Die haben eine schwedische Duz-Kultur zum Marketinggäg gemacht und angefangen ihre Kunden zu duzen, um sich ein Auftreten zu verpassen, das von anderen Möbelhäusern abgrenzt.



    Das nun zum Spiegel einer neuen Gesellschaft zu machen, ist unterste Stufe.



    Aber es stimmt schon, in Sachen Siezen verändert sich gerade etwas. Man kann eigentlich nur noch von Fettnapf zu Fettnapf springen, weil es keine allgemeingültigen Regeln mehr gibt, wer gesiezt und wer geduzt wird.



    Aber diese Veränderung geht eigentlich hin zu mehr Du und weniger Sie. Wenn das eigene Älterwerden einen dann doch wieder in den kleiner werdenden Sie-Tümpel befördert, kann das schmerzhaft sein. Ist aber in den seltensten Fällen ein Fall von Aggression. Sondern lediglich die Erinnerung an Regeln, die bis vor kurzem noch galten.

  • Ich kann der Autorin nicht folgen. Es gibt in der deutschen Sprache Du und Sie. Das ist eben so. Ich sieze jede Person, die ich nicht näher kenne, solange man sich nicht gegenseitig das Du angeboten hat. Jetzt kommt natürlich irgendein oberschlauer Forist oder meinetwegen auch eine oberschlaue Foristin daher und sagt: OK, Boomer (hahaha). Um Bommerin zu sein, bin ich allerdings deutlich zu spät geboren.



    Ich finde es viel schlimmer, ständig und überall ungefragt geduzt zu werden. Gefühlt angefangen hat das tatsächlich mit IKEA. Was mir schon damals richtig übel aufsteiß.

  • Willkommen in einem Zeitalter, in dem mehr Fake als Wirklichkeit ist und Fake News nur die Fortsetzung der Tagesschau mit den gleichen Gestaltungsmitteln sind.

    Wer das Geduze von Ikea als Beispiel für die 'neue Leitkultur' des lockeren Umgangs miteinander herbeizitiert und im Gesieze den Geist des Konservatismus und der Ausgrenzung wittert, hat (i) ein sehr beschränktes Verständnis von den Beziehungen zwischen Sprache und Denken, Sprache und Emotionen; und ist (ii) den verlogenen Werbestrategien sich anbiedernder Unternehmen, Medien und falschen FreundInnen auf dem Leim gegangen. Viel und gerne wird geduzt, wenn man den/die anderen für eigene Zwecke einspannen will; wenn man andere öffentlich umarmt, ihnen aber hinterrücks keinen anderen als einen vergifteten Brotaufstrich gönnt. Gesüßte Butter bei die liberalen Fische: Wenn es um die Wurst geht, ist jedes (Stil-)Mittel recht.

  • Wieder einmal das Problem der gefühlten Identität.



    "Ich fühle mich jung. Ich gehöre dazu. Duzt mich!"



    Vielleicht hilft es ja, als Person/Mensch bekannt zu sein?! Und nicht so sehr aufgrund gefühlter, aber nicht mehr vorhandener Merkmale?

    • @Carsten S.:

      Das sagt sich natürlich für Sie alles so leicht, der wahrscheinlich weiß, hetero, und von der Mehrheitsgesellschaft kommt.

      Sie haben ja die sozialökonomischen Ressourcen dazu, die Widrigkeiten des Lebens besser zu überwinden.

  • „ Besonders auffällig ist das im Netz. Wer dich in den Kommentaren siezt, will dir nichts Gutes.“

    Im TAZ-Forum siezen die meisten. Was sagt das nun über die Leserschaft aus?!

    • @Strolch:

      Eine der guten Seiten des TAZ-Forums ist, dass man hier selten von völlig Fremden Leuten plump geduzt wird. Meist ist der Umgang zwar in der Sache hart, aber respektvoll.

    • @Strolch:

      Den Teil habe ich auch nicht gecheckt.

      Wie soll man das sonst in der Anonymität machen? Duzen ginge auch, aber finde ich irgendwie respektlos.

      Das mit der Frau, die Recht hat, habe ich auch nicht verstanden. Man muss ja "die Schreiberin", "Autorin", den Namen oder eben neutral "der Artikel schreiben". Also irgendwas eben.

      Es ist ein bisschen komisch, plötzlich - mit zunehmendem Alter, schluchz - gesiezt zu werden, wo man immer geduzt wurde, das empfinde ich auch so.

      Aber ganz ehrlich: Man ist halt nicht mehr 20 und wird eben anders behandelt (z.B. oft auch mit mehr Respekt, wird mehr angehört usw.).

      So ist das Leben.

      Und cool sein hat nichts mit Alter und Anrede zu tun.

    • @Strolch:

      Dass die meisten hier noch distanziert höflich sind?

  • Ja, " älter werden ist nichts für Feiglinge".



    Diese persönliche Erfahrung haben auch schon Andere gemacht.



    Um sich nicht auf den Schlips getreten zu fühlen, ist es förderlich, keinen zu tragen.



    Jung definiert sich natürlich auch in Abgrenzung zu alt. Das bleibt lebenslang.



    Siezen ist für mich eine grundsätzliche Respektsbezeugung.



    Angesichts einer Verrohung unserer Gesellschaft und Sprache, halte ich einige symbolische Umgangsformen für hilfreich.



    Ich bin auch nicht "der Bodo", das ist ein Ikea Regal.

  • "Aber ich bin immer noch cool."

    Ach, Simone, weißt eh...

  • Liest sich wie eine sehr einseitige "Deutung" des Siezens aus der Haltung privater Empfindlichkeiten. Die erzwungene Kumpelhaftigkeit des Duzens (oft auch noch unehrlich gemeint) gehört auch in die Diskussion von Signal/Zuneigung/Distanz in diesem Winzkode.

  • Let's face it: wir alle werden älter. Und zunehmendes Gesieztwerden ist nicht die schlimmste Nebenwirkung dieses Prozesses.

    • @MikeyBln:

      Genau! Parallel zur wachsenden Anzahl grauer Haare wurde ich am Arbeitsplatz immer seltener für die Praktikantin gehalten. (Deswegen habe ich sie mir auch nie gefärbt, wie es genderrollenkonform von mir erwartet wurde.)

      Im deutschsprachigen Kulturkreis gilt unautorisiertes Duzen als Herabwürdigung oder Nicht-ernst-nehmen. Ausnahmen gibt es in fest definierten Gruppen wie politischen Parteien, Gewerkschaften, Ehrenämtern, Aktivistengruppen, Hochschulgruppen usw. Dort wird durch das "du" das altersunabhängige (!) Gemeinschaftsgefühl betont.

      In allen anderen Kontexten gilt Duzen als bewusste Herabwürdigung oder Zeichen von Ungebildeten.

  • Das "Sie" resp. "Du" stehen für unterschiedliche Stufen der menschlichen Nähe. Soweit korrekt beobachtet. Im deutschsprachigen Kulturkreis sind diese Abstufungen erwünscht, anderfalls gäbe es die beiden Ausdrucksmöglichkeiten nicht. Nähe und Dazugehoerigkeit gibt es nicht automatisch per Definition, sie muss erarbeitet werden. Das "Du" angeboten zu bekommen ist normalerweise das hörbare Zeichen einer höherwertigen Beziehung. Zugegeben, anglikanisch durchseuchtes Marketing versucht mit der Verwendung des unmittelbaren "Du's" eine persönliche Nähe zu schaffen, was aber letztendlich scheitern muss.

  • Ich merkte dass ich mein Studium abschließen musste, als Erstsemester anfing mich zu siezen.

    • @Peter Schütt:

      Ja, *lach*! Das war ne ganz neue, irritierende Erfahrung.

    • Annette Hauschild , Autor*in ,
      @Peter Schütt:

      :)

    • @Peter Schütt:

      Ich merkte dass ich mein Studium abschließen musste, als Erstsemester anfing mich zu siezen.



      ---



      Kann ich bestätigen! Als ich ge"Sie"tz & noch in der Schlange vor dem Sekretariat nach "Vorne" gebeten wurde, war es höchste Zeit von der UNI abzuhauen ....



      .... und sich "In die weite Welt hinaus ...!" zu wagen! :-)



      Ps. Habe mir aber dort ne Ecke ausgesucht, in der das "DU" zum Betriebston gehörte. Da war's dann gut auszuhalten!

  • Du merkst, dass du über 40 bist, wenn du auf einer Antifademo gesiezt wirst.

    • @aujau:

      Antifa-Anhänger*innen sollen wissen, dass Ageismus auch ein Problem ist.

  • Ja, in Würde zu altern ist nicht immer einfach. Im Kopf ist die Jugend noch greifbar, frisch, quasi gestern gewesen - und dann rechnest du und merkst das da leider doch ein paar Jahrzehnte bereits ins Land gezogen sind und der Kopf die Realität verkennt oder gar ignoriert.



    Wer Kinder oder ('noch schlimmer'😉) bereits Enkel hat, dem wird das umso brachialer vor Augen geführt - gefühlt rannten uns die Jahre unter den Händen davon als die Kinder aufwuchsen. Die Zeit lief mindestens doppelt so schnell wie zur kinderlosen Zeit.



    Ein sehr streitbarer Musiker und Dichter hat es mit einer Abwandlung aus Goethes Faust vor gar nicht allzu langer Zeit für mich perfekt auf den Punkt gebracht: "Augenblick verweile doch ich bin noch nicht so weit"

    • @Farang:

      "in Würde zu altern ist nicht immer einfach."

      Vielleicht wäre es doch mal einfach nur konstruktiv das Altern zu de-romantisieren, und als das anerkennen, was es ist: Etwas Pathologisches, was man überwinden soll.

  • Ahja. Nach - Duz-mich nicht blöd von der Seite an - zB von Wiglaf Droste & hier in der taz et al.



    Kommt - Siez-mich nicht von der Seite an!



    Pruuust.



    Im Studium ab 68 wurde sich geduzt.



    Irgendwann las ich erstaunt - an der Uni würde:.



    Sich - Gesiezt!



    Im Gericht unter Richtern - Duzen nur nach Ritual. Geschaftsstellenbeamtinnen - No Way!



    In westliche Sibirien verlangte der Präsi - die 2x Entgleisungen zu korrigieren: der Karrierist tat‘s & wurde mein erster KollegeVorsitzender;(.



    Der andere - Stinkefinger!;))



    Heute VG Köln wird sich mit den Damen geduzt



    & de Ohl* 03 - zur allgemeinen Wirrniss =>



    Zwei echt beste Freunde - die mal als “Junge Herren“ in den 20er Jahren bei Blohm-Caracas



    tätig waren - haben sich ihr Leben lang - &



    nicht nur für mich völlig selbstverständlich - Gesitzt •

    kurz - Tja. Mach was! “Komm - sage mir - was du für Sorgen hast. Reich - willst du werden?



    Warum bist du‘s nicht?!“



    Sorry. But you made my day! - 🙀🥴🤣 -

  • Sorry, aber die Befindlichkeiten von taz-Autorinnen zu x-beliebigen Themen interessieren mich nicht mehr - zu viel, zu larmoyant.



    Ich, 52, wünschte mir, nicht mehr ungefragt geduzt zu werden!

  • Und die nächste Kolumne handelt davon, dass man ungefragt von Fremden mit "Du" angeredet wird und wie respektlos das ist.

    Wie man es macht, ist es falsch.

  • Ich habe das umgekehrte Problem: Ständig werde ich von wildfremden Leuten ungefragt geduzt, ohne es zu wollen. Ich sieze dann jeweils ostentativ zurück.

    • @K.M.:

      Wenn Ihr Banker Sie duzt, wissen Sie Bescheid. ;-) Eine der letzten Bastionen, die noch Sie nutzen.

      • @Terraformer:

        Joa, nehmen Sie doch beispielsweise mal einen Termin beim Radiologen wahr. Sofern Sie ein Arztgespräch bekommen, werden Sie gesiezt. Duzen Sie den Arzt oder die Ärztin, ist das Gespräch wahrscheinlich schnell vorbei bzw wenig informativ. Soviel zu "letzte Bastionen". Eventuell haben eher Sie sich aus der Gesellschaft, wie sie eben funktioniert, verabschiedet?

    • @K.M.:

      Es gab mal ein Forenmitglied, das immer, wenn ihm die "Argumente" für seine konservativen Punkte ausgingen, die Leute distanzlos anduzte, um wohl abzulenken.



      Siezen ist der Regelfall, und das ist ok so.

  • "Nach einer Weile mal wieder in den Punkrock-Schuppen zu kommen, in dem man viel Zeit verbracht hat und dort mit einem freundlich skeptischen „Suchen Sie was?“ begrüßt werden, ist ein harter Burn."



    mein erstes Erlebnis in diese Richtung, ich war noch jung und ein Bekannter schon 40, aber noch immer Punk mittlerweile in einer Kommune lebend wollte uns sein JUZ in Torino zeigen, da wo er früher immer abhing und Konzerte gespielt hatte, er ging rein und kam wieder raus, sichtlich angefressen, er wurde für einen Polizeispitzel gehalten und hätte fast Prügel bekommen.



    So hart hat es mich später nicht erwischt, aber die Distanz und das Nicht-mehr- dazugehören, als ich dann 40 war, war eine harte Nuß. Innen und Außen passen plötzlich scheinbar nicht mehr zusammen.

    • Annette Hauschild , Autor*in ,
      @nutzer:

      Na sowas aber auch. Da hatten die jungen Revolutionäre wohl noch nicht erkannt, dass die meisten Polizeispitzel grade die sind, die ganz viele Aktionen anstoßen, anleiten, sich unentbehrlich machen, organisieren und alle Adressen und Telefonnummern der Antifas haben. Und natürlich von allen geduzt werden.

  • Ich persönlich habe es eher satt, von 17-jährigen Kassierern an der Supermarktkasse geduzt zu werden.

    • @Klaus Klabuster:

      Und ich freue mich über alle junge Kassierer*innen die mich duzen…das passiert mir mit 48 immer seltener und ich kann das siezen einfach nicht leiden.

      • @Saile:

        Kom till Sverige. Hier hat kein unter 20 Jähriger hemmungen mit Menschen jeden Alters zu reden als wäre man auf Augenhöhe. Selbst an der Supermarktskasse.



        Das ist sehr angenehm und zwangbefreit.

  • Ging mir auch so. Ist halt schon eine Weile her. Ich sieze als Zeichen des Respekts erstmal jeden. Mir macht es aber nichts aus, wenn ich geduzt werde.

  • Schräger Artikel.

    Dass er Älterwerden zum Thema hat, versteht man nicht gleich.

    Die Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit zu einer Szene oder "Community" viel mit dem Alter zu tun hat, obwohl niemand das ausspricht, ist hart, völlig nachvollziehbar.

    Ist eigentlich jemand, der von sich selbst sagt, er sei cool, wirklich cool?

    • @rero:

      „ er sei cool, wirklich cool?“



      😎



      Was ist die Referenz? Für einen selber? Vielleicht ja. Für die nun jüngere peergroup? Sicher nicht.



      Tja, älter werden ist so eine Sache.



      Und wer altert schneller, Damen oder Punks?