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Höfliche AnredeSiez mich nicht so an

Unsere Autorin wird immer öfter gesiezt, ohne es zu wollen. Ein kritischer Blick auf das Sie als verstecktes Abgrenzungssignal.

Klassische Außenseiterposition Foto: Robert Fishman/imago

E s gibt viele Wege, Menschen zu zeigen, dass sie nicht dazugehören. Siezen ist einer davon. Siezen ist als Ausgrenzungstool so beliebt, weil sich das „Sie“ als angeblicher Ausdruck von Respekt und Wertschätzung tarnt. Der Hieb knallt dem Gegenüber nicht direkt vor den Kopf. Er trifft so von der Seite: passiv-aggressiv.

Denn eine formale Anrede in einem informellen Rahmen schafft vor allem eins: Distanz. Siezen ist hier eine Verweigerung von Verbindung. Es sagt: „Du bist kein Teil der In-Group. Du bist nicht du. Du bist Sie.“ In einer Welt, in der ich selbst von Ikea geduzt werde, will das schon was heißen.

Besonders auffällig ist das im Netz. Wer dich in den Kommentaren siezt, will dir nichts Gutes. Sondern dir erklären, warum du keine Ahnung hast. Von nichts! Auch die Online-Formulierung „diese Dame“ funktioniert so:

Noch nie in der Geschichte des Internets hat jemand unter irgendwas, das eine Frau geschrieben hat kommentiert: „Diese Dame hat Recht und ich habe viel von dieser Dame gelernt.“ Die vornehme Bezeichnung „Dame“ wird ins Spiel gebracht, um darauf hinzuweisen, dass dieser Text von einer Frau geschrieben wurde.

Meist folgt auf „diese Dame“ etwas, das der Autorin die Kompetenz abspricht. Ich selbst bin unter Duzenden aufgewachsen. In meiner Familie haben sich alle geduzt. Als Kind und Jugendliche war ich „du“; auch unter Kom­mi­li­to­n*in­nen und Freun­d*in­nen duzt man sich; dann das Genossen-Du und das Kollegen-Du am Theater: Wir duzen junge Menschen und solche, die uns nah sind.

„Suchen Sie was?“

Menschen, mit denen wir etwas teilen. Dass mir nun immer häufiger ein Sie entgegengeschleudert wird, kann zwei Dinge bedeuten: Ich bin alt. Oder ich bin eine Außenseiterin. Es ist wohl Option drei: Ich bin älter geworden und werde deshalb in Räumen, die zu meinem gewohnten Umfeld gehören, als Außenseiterin gesehen.

Verunsichernd bis schmerzhaft ist das an Orten, die entstanden sind, weil Menschen sich zusammengeschlossen haben, weil sie im Alltag „anders“ behandelt werden. An Orten also, in denen man sich gefunden hat, um gemeinsam „anders“ zu sein – auf einer feministischen Party oder in Schwarzen Räumen.

Nach einer Weile mal wieder in den Punkrock-Schuppen zu kommen, in dem man viel Zeit verbracht hat und dort mit einem freundlich skeptischen „Suchen Sie was?“ begrüßt werden, ist ein harter Burn.

Es gibt so viele Erzählungen darüber, dass Menschen im Alter konservativer werden, und da draußen sind genug Leute, die darauf warten, dass ich endlich aus meiner rebellischen Phase rauswachse. Da muss die eigene Szene oder Community ja nicht mitspielen!

Ältere Leute in einem queeren Laden sind nicht automatisch die Eltern, die irgendwer mitgebracht hat, sondern vielleicht einfach alte Queers. Wir alle legen unsere Identität und unsere Marginalisierungserfahrungen nicht ab, sobald wir vierzig sind.

Wir sind weiterhin auf Schutzräume angewiesen. Viele von uns hat das Leben irgendwie eingeholt und der Alltag mit Lohnarbeit und Sorgearbeit lässt vielen kaum Raum. Ich bin definitiv keines von den coolen Kids mehr. Aber ich bin immer noch cool. Also siez mich nicht von der Seite an.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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7 Kommentare

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  • Du merkst, dass du über 40 bist, wenn du auf einer Antifademo gesiezt wirst.

  • Ich habe das umgekehrte Problem: Ständig werde ich von wildfremden Leuten ungefragt geduzt, ohne es zu wollen. Ich sieze dann jeweils ostentativ zurück.

  • "Nach einer Weile mal wieder in den Punkrock-Schuppen zu kommen, in dem man viel Zeit verbracht hat und dort mit einem freundlich skeptischen „Suchen Sie was?“ begrüßt werden, ist ein harter Burn."



    mein erstes Erlebnis in diese Richtung, ich war noch jung und ein Bekannter schon 40, aber noch immer Punk mittlerweile in einer Kommune lebend wollte uns sein JUZ in Torino zeigen, da wo er früher immer abhing und Konzerte gespielt hatte, er ging rein und kam wieder raus, sichtlich angefressen, er wurde für einen Polizeispitzel gehalten und hätte fast Prügel bekommen.



    So hart hat es mich später nicht erwischt, aber die Distanz und das Nicht-mehr- dazugehören, als ich dann 40 war, war eine harte Nuß. Innen und Außen passen plötzlich scheinbar nicht mehr zusammen.

  • Ich persönlich habe es eher satt, von 17-jährigen Kassierern an der Supermarktkasse geduzt zu werden.

  • Ging mir auch so. Ist halt schon eine Weile her. Ich sieze als Zeichen des Respekts erstmal jeden. Mir macht es aber nichts aus, wenn ich geduzt werde.

  • Schräger Artikel.

    Dass er Älterwerden zum Thema hat, versteht man nicht gleich.

    Die Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit zu einer Szene oder "Community" viel mit dem Alter zu tun hat, obwohl niemand das ausspricht, ist hart, völlig nachvollziehbar.

    Ist eigentlich jemand, der von sich selbst sagt, er sei cool, wirklich cool?

    • @rero:

      „ er sei cool, wirklich cool?“



      😎



      Was ist die Referenz? Für einen selber? Vielleicht ja. Für die nun jüngere peergroup? Sicher nicht.



      Tja, älter werden ist so eine Sache.



      Und wer altert schneller, Damen oder Punks?