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Haftbefehl gegen NetanjahuSollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?

Daniel Bax
Jan Feddersen
Kommentar von Daniel Bax und Jan Feddersen

Heftig umstritten: Der Umgang mit dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu, falls er nach Deutschland kommt.

Musste seinerzeit noch keine Handschellen fürchten: Benjamin Netanjahu bei seinem letzten Besuch in Berlin, im März 2023 Foto: Reuhl/Fotostand/picture alliance

Pro

E s gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den Grundpfeilern der deutschen Außenpolitik, die Weiterentwicklung des Völkerrechts und einer internationalen Strafjustiz zu unterstützen. Dieser parteiübergreifende Konsens ist jetzt bedroht, seit der Strafgerichtshof in Den Haag gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu einen Haftbefehl erließ. Plötzlich bestehen Zweifel.

„Niemand steht über dem Gesetz“, hat Außenministerin Baer­bock jetzt dankenswerterweise klargestellt. Damit rückt sie den fatalen Eindruck zurecht, den Regierungssprecher Stefan Hebestreit am vergangenen Freitag in einer Pressekonferenz erweckte. Hebestreit sagte dort, es falle ihm schwer, sich vorzustellen, dass Netanjahu in Deutschland verhaftet werden würde. Dafür braucht es aufgrund der deutschen Geschichte in der Tat viel Fantasie. Doch es klang, als würde sich Deutschland nicht an internationales Recht gebunden fühlen.

Manche in der Union tun das offenbar tatsächlich nicht. Hessens Regierungschef Boris Rhein nannte den Haftbefehl „absurd“, CSU-Chef Markus Söder „befremdlich“, und sein Parteifreund Alexander Dobrindt reiste sogar nach Israel, um Netanjahu demonstrativ die Hand zu schütteln. Das zeigt nicht nur, dass sie sich nicht ernsthaft mit den Vorwürfen auseinandersetzen wollen. Damit legen sie auch die Axt an einen Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik, ja einer regelbasierten Weltordnung.

In Gesellschaft von Orbán, Putin und Trump

Ungarns Premierminister Viktor Orbán lud Netanjahu sogar nach Budapest ein. Das ist aus seiner Sicht nur konsequent: Als das gleiche Gericht im vergangenen Jahr Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erließ, akzeptierte er diesen genauso wenig. Man muss es so klar sagen: Wer den Haftbefehl gegen Netanjahu infrage stellt, der stellt sich in eine Reihe mit Autokraten wie Orbán, Putin und Donald Trump. Ihnen allen sind Regeln und Gesetze egal. Sie vertreten das Recht des Stärkeren.

Schon jetzt stehen die Richter in Den Haag unter enormen Druck. Wenn Trump sein Amt antritt, könnte er einzelne Mitarbeiter des Gerichtshofs persönlich bestrafen. Deutschland muss sich entscheiden: Will es auf der Seite einer regelbasierten Weltordnung stehen? Oder auf der Seite eines Verbündeten, dem schlimme Verbrechen vorgeworfen werden? Darauf gibt es nur eine richtige Antwort. Eigentlich. Daniel Bax

CONTRA

Die Frage stellt sich schon deshalb konkret nicht, weil sich der israelische Ministerpräsident in nächster Zeit höchstwahrscheinlich nicht auf Staatsbesuche begeben wird. Für den Fall, dass er doch kommt, signalisierte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock allerdings bereits, dass sie in die Falle der antiisraelischen Globalpropaganda getappt ist: Niemand stehe über dem Gesetz, antwortete sie auf entsprechende Fragen zum Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef.

Deutschland halte sich an Recht und Gesetz, auch auf internationaler Bühne. US-Präsident Joe Biden indes wies schon die Fragestellung zurück. Er wisse ja, dass Netanjahu und seine Regierung harte Kritik verdienen, aber nicht wegen des Krieges gegen die Hamas und die Hisbollah an sich, sondern weil Israels demokratisch gewählte Regierung in ihrer Kriegsführung schwere Fehler begangen hat und weiter begeht.

Nicht der Krieg im Gazastreifen scheint für Biden problematisch zu sein, sondern dass Israel keine Strategie anbieten kann für die Zeit nach dem Krieg. Es fehlt seit Beginn der Militär­operation gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas, die es aus Sicht Netanjahus zu zerstören gilt, jegliche politische Perspektive, außer im Gazastreifen eine dystopische Landschaft zu hinterlassen. Ein Plan für die Zukunft – unbekannt.

Wahr ist, dass es Netanjahu war, der die Hamas zumindest tolerierte und deren mörderischen Wahn nicht erkennen konnte; wahr ist weiterhin, dass er alles sabotierte, was für die palästinensischen Nachbarn nach einer Per­spektive auf einen eigenen Staat erschien. Netanjahu ist zugleich jener Mann, der mit seinen faktisch rechtsradikalen Alliierten den israelischen Rechtsstaat zu zerstören trachtet, der also die Pfade des demokratischen Zionismus längst verlassen hat.

Innenpolitisch ist Netanjahu gestärkt

Das alles sind Delikte, die die israelische Gesellschaft lösen muss. Der internationale Haftbefehl indes lässt das Land zusammenwachsen und macht Netanjahu in Israel noch populärer. Selbst aus der Opposition kam Kritik an dem Haftbefehl. Der Internationale Strafgerichtshof nimmt es – so erscheint es vielen – Israel übel, dass es überfallen wurde und sich militärisch zu wehren hatte, allein schon der nach wie vor in Gaza festgehaltenen Geiseln wegen. Der Haftbefehl nützt Netanjahu innenpolitisch – und das ist das eigentliche ­Problem. Jan Feddersen

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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25 Kommentare

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  • "Niemand stehe über dem Gesetz, antwortete sie auf entsprechende Fragen zum Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef."



    Das diese absolut selbstverständliche Minimalaussage der Außenministerin für Herrn Feddersen bereits das Tappen in die Falle "der antiisraelischen Globalpropaganda" darstellt deutet den Extremismus seiner Position an. Das er weiterhin das genozidale Vorgehen in Gaza als Selbstverteidigung verharmlost und nach 60 Jahren der Besatzung immer noch der Illusion der Selbstregulierung der, immer radikaleren, verrohten israelischen Gesellschaft anhängt zeigt, dass er entweder die Realitäten vor Ort ignoriert, oder dass ihm das Schicksal der Palästinenser, wie so vielen deutschen Kommentatoren, völlig egal ist.

  • "..die Falle der antiisraelischen Globalpropaganda". Die zunehmende Kritik an Israel als antiisraelische Weltverschwörung hinzustellen ist schon arg plattes Geschwurbel und kein Argument.

  • Netanjahu ist wie Galant ein Kriegsverbrecher. Die Regierung Netanjahus hätte wie ein Staat reagieren sollen und sich nicht auf die gleiche Stufe mit den Terroristen stellen. Die sinnlose massive Bombardierung des Gaza Streifens, das Töten zehntausender Zivilisten war alles andere als eine "Chirurgische Aktion" zu Lasten der Terroristen, sondern zerstörte den letzten Rest Infrastruktur der in Gaza noch vorhanden war. Die Blockade von Hilfslieferungen und das Abschneiden wichtiger Ressourcen haben in Gaza eine humanitäre Katastrophe zur Folge.



    Wenn man weiß das Netanjahu auch Gelder an die Hisbollah gezahlt hat und die Anzeichen eines großen Terroranschlags im Vorfeld ignoriert wurden macht das Ganze nur noch unverständlicher.



    Zudem geht das Morden und die Vertreibung auch im Westjordanland weiter.



    Das was in Gaza passiert ist ist mit "Terrorbekämpfung und Selbstverteidigung" nicht mehr zu rechtfertigen. Wer einen mehrere hundert Kilo schweren Sprengkörper auf ein mehrstöckiges Wohngebäude abwirft weiß was er tut. Das dies zivile Opfer zur Folge hat muß selbst der Dümmste kapieren.

  • Sehr geehrter Herr Feddersen,



    das israelische Militär hat im Gazastreifen Millionen Menschen vertrieben und zigtausende Zivilisten getötet, darunter sehr viele Kinder. Diese Opfer sind Ihnen keine Erwähnung wert. Dabei ist dies der Kern der Vorwürfe gegen Netanjahu. Wer diese Opfer wegschweigen will und wer nur über die Toten der einen Seite trauert, hat den Boden universaler Humanität verlassen.

  • Ansich ist schon ein Pro-/Kontra-Artikel zu dem Thema der Anwendung internationalen Rechts und dem Prinzip der Unabhängigkeit der Justiz ein Armutszeugnis. Aber Schwamm drüber.

    Bei einem "Pro-Kontra" Artikel müssen beide Standpunkte vertreten werden, das verstehe ich. Dass Jan Feddersen die Augen vor dem verschließt, was die israelische Armee in Gaza tatsächlich tut, daß er diese Handlungen Biden zitierend als "Fehler" kleinredet, ist aber trotzdem nicht entschuldbar.

    Die Debatte in Deutschland, der ewige Bauchnabelblick unter dem einzigen Gesichtspunkt der Wiedergutmachung ist ein trauriges Schauspiel, denn leider zeigt sich, daß man aus der Geschichte überhaupt rein garnichts gelernt hat.

    Für diesen Egozentrismus ist man bereit, das internationale Recht zu missachten und die Augen vor einem laufenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verschliessen, weil es politisch/diplomatisch nicht opportun ist.

    Der Generation des zweiten Weltkriegs wurde oft gesagt: «Wer wissen wollte, konnte wissen». Heute muß man sich anstrengen, um nicht zu wissen, welcher Natur der Krieg in Gaza ist. Einige Foristen sind dazu anscheinend gut in der Lage, die anderen werden oft zensiert.

  • Israel missbraucht das Recht auf Selbstverteidigung, um einen Angriffskrieg gegen Gaza zu führen, nachdem die Hamas längst in alle Stücke zerschlagen ist und zusätzlich die gesamte zivile Infrastruktur.

    Ähnlich agierte seinerzeit die USA, als sie mit der Rechtfertigung der Anschläge in New York Afghanistan und den Irak angriff. Der defensiv daher humpelnde "Krieg gegen den Terror" war schon damals verlogen, denn man nahm und nimmt die Anschläge als Anlass für die militärische Verfolgung geostrategischer Ziele, die schon lange in den Schubladen gelegen haben.

    Eine existenzielle Bedrohung hat weder für die USA bestanden noch besteht sie für Israel. Dafür ist einfach die Bewaffnung der Kontrahenten megamäßig unterlegen, ähnlich wie zwischen Cowboys und Indianern oder Reichswehr und Herero.

    Der Westen, also Westeuropa, Nordamerika, Israel und Australien ignorieren tatsächlich aus ihrer technologischen Überlegenheit jedes gleiche Völkerrecht und verdrehen es mithilfe geschickter PR solange, bis es sich verkaufen lässt.

    Aber dahinter stecken die alten globalen Dominanzziele. Und diese sind offensiv, nicht defensiv.

  • Daniel Bax ist ein notorischer Relativierer und Euphemisierer des palästinensischen und islamistischen Terrorismus.



    Daher passt seine Einlassung in seine Agenda.

  • Die Problematik zeigt das Dilemma bzgl der Glaubwürdigkeit des Westens. Wir möchten einen regelbasierte Ordnung auf der Welt so lange sie uns nützt. Wir spielen damit den Autorkratien in die Karten und das schon seit Jahrzehnten. Das macht unsere Politik in der Ukraine besonders heuchlerisch. Ich würde sogar die These aufstellen, dass der Krieg in der Ukraine unserer Glaubwürdigkeit mehr schaden wird als der Krieg im Irak.



    Ich weiß, dass das für viele hier in der Kommune schwierig ist zu verstehen, aber das Einhalten von Regeln und Recht kann man nur glaubwürdig einfordern, wenn man sich selber daran hält. Deswegen plädiere ich nicht für eine Annäherung Autorkratien, sondern im Gegenteil für mehr Glaubwürdigkeit und Pragmatismus.

  • Der Titel, eine für mich rein rhetorische Frage. Natürlich verhaften. Was denn sonst.

  • Und wieder blendet man aus, das allein schon die Siedlungspolitik, Ansiedlung von Zivilisten in besetzte Gebiete, im Staatsauftrag, seit Jahrzehnten. Grundpfeiler des terroristischen Widerstands der Palästinenser ist.



    Will man als Ursachen für den paläst. Terror finden, muss man sich hinterfragen ob man hier der isr. Regierung nun weiter folgen möchte oder nicht.

    Regelbasierte Werteordnung können wir auch langsam mal wieder entfernen aus dem täglichen Sprachgebrauch. würde dieser angewendet werden, sollten gleich mehrere Staatsmänner ihrer Verantwortung für Krieg, Terror und Leid verurteilt werden. Und genau hier würden insbesondere auch westl. Politiker drunterfallen. Z.B. Irak, wo wir wissen und es belegt haben, dass der Krieg auf Lügen basierte. Ist etwas passiert? Nein. Wird etwas passieren? Nein. Denn die regelbasierte Weltordnung, hat nämlich nur eine Regel und die ist, dass der westen bestimmen will, welche Regel angewendet wird.

  • "Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?"

    Welch merkwürdige Frage. Es gibt einen Haftbefehl des obersten Gerichts. Punkt.



    Fragt sich die Polizei das sonst auch wenn ein Gericht in Deutschland einen Haftbefehl für eine gesuchten Massenmörder ausstellt?



    Schon mal was von Rechtsstaat gehört?

  • "Es gehörte über Jahrzehnte hinweg zu den Grundpfeilern der deutschen Außenpolitik, die Weiterentwicklung des Völkerrechts und einer internationalen Strafjustiz zu unterstützen."



    Das stimmt nun mal nicht. Deutschland ignoriert schon lange die Beurteilungen durch den IGH. Das letzte Mal dieses Jahr.



    Die Besiedlung in den besetzten Gebiete durch Israelis verstößt gegen das Völkerrecht. Das ist unumstritten. Deutschland ignoriert das noch viel länger. Die ersten Siedlungen folgten unmittelbar auf den Sechstagekrieg 1967. Moshe Dajan sprach damals von einer Israelisierung dieser Orte, Solches Gerde klingelt nicht in deutschen Ohren? Wie kommt Deutschland aus der Nummer raus, wenn der IGH zum Schluss kommt, dass Israel Völkermord begeht? Wir haben es nicht gewusst?

    • @ecox lucius:

      Schön, dass sich außer mir noch jemand daran erinnert. Danke!

  • Ich stimme Herrn Feddersen völlig zu. Diese Haftbefehle sind ein großes Geschenk an Netanjahu. Verhandlungen werden mit Sicherheit auch nicht leichter, wenn eine Partei verhaftet werden muss, sobald sie internationalen Boden betritt.

    Herrn Bax' Position ist ja hinlänglich bekannt und wenig überraschend. Das einzig interessante an dieser ist die immense Flexibilität: Deutschland als Garant des internationalen Rechtes. Seit wann eigentlich? Im Kosovo haben wir uns darüber hinweggesetzt, haben wir seitdem den Nimbus der hohen Moral zurück?

  • Der Internationale Strafgerichtshof nimmt es – so erscheint es vielen – Israel übel, dass es überfallen wurde und sich militärisch zu wehren hatte,

    Und weil es so "scheint", soll sich Deutschland als Vertragsstaat nicht an die Anordnung des Gerichts halten? Geht es noch?

    Dann sollte die Regierung den Vertrag kündigen, aber sie kann sich doch nicht nach jeweiliger politischer Ausrichtung aussuchen, welchen Anweisungen sie folgen will

  • >Damit legen sie auch die Axt an einen Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik, ja einer regelbasierten Weltordnung.

    Diese Steigerung mit dem "ja" sagt mehr aus, als Daniel Bax lieb sein dürfte. Typisch deutscher geht es gar nicht.

  • Herr Feddersen meint also, manchmal sollte der Gerichtshof ein politisches Urteil fällen und manchmal nicht. Wer darüber bestimmen soll, weiß man nicht.

  • Es ist ja wirklich interessant, wie seit Jahren ständig Kritik an Israel dadurch abgelenkt wird, dass Netanjahu ja so schlimm sei, das aber nichts daran ändere, dass Israel bedingungslos unterstützt werden muss, weil man von einem einzelnen Regierungschef nicht seine ganze Position abhängig machen kann. Jetzt wird ein individueller Haftbefehl gegen Netanjahu gestellt (Israel als Staat steht hier nicht vor Gericht), und die gleichen Leute beeilen sich sofort, sich schützend vor Netanjahu zu stellen und die Legitimität internationalen Rechts nur für ihn infrage zu stellen. Mir scheint es, selbst die Kritik an Netanjahu war bei vielen nur geheuchelt.

  • Sehr schön. Herr Brax setzt in seinem Beitrag Netanjahu mit Israel gleich und fordert Deutschland zur Abkehr auf und Herr Feddersen umschifft den Contrapart elegant mit einem Verweis auf die israelische Innenpolitik. Diese Argumentation bezogen auf den Haftbefehl für Putin hätte für einiges öffentliches Erstaunen gesorgt.

    Recht hat Herr Brax mit seinem Hinweis auf die regelbasierte Weltordnung, nur im Nahostkonflikt ist davon von keiner Seite viel zu erkennen. Auch nicht von der internationalen Gemeinschaft.

    Und es sei dazu noch angemerkt, dass es sich bei den Protagonisten sämtlicher Konfliktparteien um keine Unschuldslämmer handelt, nur hat die eine Seite eine mächtigere Militärmaschine und kann dementsprechend auch größeren Schaden anrichten. Wäre es jedoch andersherum stünde es nicht gut um Israel.

    Und das ist auch der Grund, warum Deutschland in seiner Unterstützung für Israel nicht nachlassen darf. Es geht nicht um Netanjahu & Co sondern um die Bevölkerung und um ein Land, welches den Juden aus aller Welt einen sicheren Hafen bietet und seit seiner Gründung in seiner Existenz bedroht ist.

    • @Sam Spade:

      Ein Unschönheit macht das ganze etwas holperig: Israel ist eine Demokratie und die Bevölkerung hat Netanjahu und seine Mörderbande gewählt. Wäre schön, wenn es um einen einzelnen Schurken ginge. Aber wie im Fall Trump auch, stehen dahinter leider Millionen Menschen. Nicht alle, das ist klar. Es gibt auch engagierte kluge empathische Israelis, die sich für Menschenrechte und eine Anerkennung Palästinas einsetzen. Zum Beispiel in der Organisation "break the silence". Aber eben nicht gerade die Mehrheit.

      Und wenn es in Israel im letzten Jahr oft zu Demonstrationen gegen die Regierung kam, dann war es in keinem einzigen Fall so, dass sie die Menschenrechtssituation er palästinensischen Zivilbevölkerung auch nur erwähnt hätten. Es ging ihnen immer nur um die Geiseln und darum, dass Netanjahu den 7. Oktober nicht verhindert hat. Das Militär war nämlich da gerade im Westjordanland, um die völkerrechtswidrige Besetzung mit Waffengewalt durchzusetzen und konnte sich nicht um Gaza kümmern.

      Und aus diesem Grund muss man leider schon von Israel sprechen, wenn natürlich auch nicht jeder einzelne Israeli Schuld an diesem Völkermord ist.

    • @Sam Spade:

      Der IStGH setzt Netanjahu und Gallant mit Israel gleich, genauso wie er noch im Sommer Sinwar, Haniyya, Deif mit der Hamas gleichsetzte, weil es seine Aufgabe ist, die Verantwortlichen vermuteter, schwerster Verbrechen anzuklagen. Falls es eine klagende Partei gibt! Die Klage von palästinensischer Seite wurde schon nach dem Gazakrieg 2008/2009 eingereicht.

      Benjamin Netanjahu war seit 1996 etwa 20 Jahre Ministerpräsident oder Minister in einer Regierung. Wenn einer für die israelische Politik dieses Jahrtausend steht, dann ist das. Benjamin Netanjahu.

      • @ecox lucius:

        Ich finde es problematisch, hier von einer Gleichsetzung zu sprechen. Der IStGH sitzt weder über den Staat Israel zurecht, noch über die Hamas, sondern über individuelle Entscheidungsträger, die für Kriegsverbrechen mutmaßlich verantwortlich sind. Der Vorwurf der Gleichsetzung ist also haltlos.

    • @Sam Spade:

      Das Problem mit der "regelbasierten Werteordnung" ist, das Israel ein aufgrund der UN-Strukturen sehr viel größerer Anti-Israel Block gegenübersteht, der praktisch jede antiisraelische Resolution unterstützt. Daher werden internationale Regelungen (aus meiner Sicht zu Recht) von Israel nicht als fair anerkannt. Es hat ein bisschen was von "zwölf weiße Männer veurteilen einen Schwarzen im alten US-Süden", nur halt auf nationaler Ebene.

  • Frau Baerbock, die mehr so aus dem Völkerrecht kommt, sollte bekannt sein, daß Menschen, die sich nicht über dem Gesetz sahen und geltende Gesetze einfach nur befolgt hatten, in Nürnberg zum Tode verurteilt wurden. Dietrich Bonhoeffer dagegen stellte sich gegen das Gesetz, nicht heimlich und versteckt wie ein Krimineller sondern offen und aufrecht wie Orbán und Dobrindt. Genützt hat es ihm nichts, ermordet wurde er trotzdem und weit brutaler als die Vollstreckungen von Nürnberg. Für mich ist deshalb er der Held und das Vorbild und nicht die vielen kleinen Mitläufer damals wie heute.

  • Ja! Das dies überhaupt eine Diskussion ist, ist "absurd" und "befremdlich". Deutschland hat sich dem Völkerrecht und universellen Menschenrechten verschrieben wegen unserer Geschichte und das muss umgesetzt werden, egal welcher Nation/ Religion/ Ethnie etc der Angeklagte angehört. Er hat die Chance auf ein Verfahren und kann dort seine Unschuld beweisen, viele gerade auch in den OPT haben dies nicht.



    Und die unschuldigen Opfer dieses Krieges, auch die palästinensischen haben es verdient, dass Menschen die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben vor einem Gericht Gerechtigkeit erfahren. Es ist schon schlimm genug das dies nie für die irakischen Zivilisten geschehen ist. Und man kann argumentieren das man damit nur mehr Radikale/ Terroristen kreiert wenn es keine Gerechtigkeit gibt. Mal abgesehen davon das der ICC eigentlich Verbrechen seit 2014 in den OPT ermitteln sollte und Netanjahu die ganze Zeit Ministerpräsident war. Wir sind auch in der Situation mit Radikalen auf beiden Seiten, weil die Staatengemeinschaft Israel nie für völkerrechtswidrige Siedlungen, Mauer, Besatzung, Menschenrechtsverletzungen etc zur verantwortung gezogen hat.