Gesetz gegen prorussische Parteien: Selenskis Parteienverbot

In der Ukraine können künftig prorussische Parteien verboten werden. Die erste Verhandlung steht schon an: gegen die größte Oppositionspartei.

Nützt das Verbotsgesetz vor allem ihm? Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in der Rada Foto: Ukraine Presidency/imago

BERLIN taz | Mit einem neuen Gesetz können künftig in der Ukraine Parteien, die als prorussisch gelten und die die Souveränität und territoriale Integrität des Landes gefährden, verboten werden. Zuständig für die Verbote ist ein Gericht im westukrainischen Lwiw, das sich für die Bearbeitung eines Verbotsantrags gerade mal einen Monat Zeit nehmen darf. Eine Partei, die die russische Aggression gegen die Ukraine rechtfertigt oder leugnet, hat nun ebenso mit einem Verbot zu rechnen wie Parteien, die den Krieg von Russland und Belarus gegen die Ukraine als internen Konflikt oder Bürgerkrieg bezeichnen.

Präsident Wolodimir Selenski unterschrieb das Gesetz am 14. Mai. Zwei Tage nach Inkrafttreten kündigte der ukrainische Justizminister Denys Maljuska schon den ersten Verbotsantrag an.

In wenigen Tagen, so Maljuska auf seiner Facebook-Seite, werde das zuständige Gericht ein Verbot der „Oppositionsplattform für das Leben“ verhandeln – der größten ukrainischen Oppositionspartei. Bei den Parlamentswahlen 2019 holte sie 44 Mandate und ausgerechnet in der Heimatstadt von Präsident Selenski, Kriwij Rig, hatte im Dezember 2020 Konstantin Pawlow von der Oppositionsplattform die Wahlen zum Bürgermeister der Stadt haushoch gewonnen.

Bereits am 20. März hatte der Nationale Sicherheitsrat elf politischen Parteien jegliche Tätigkeit verboten, darunter die Kommunistische Partei, die Linke Opposition, die Progressive sozialistische Partei der Ukraine, die Sozialdemokratische Partei der Ukraine und die Union der linken Kräfte.

Zustimmung auch im linken Milieu

Unklar ist, ob Abgeordneten von verbotenen Parteien das Mandat entzogen werden soll. Hier müsse individuell in jedem Fall entschieden werden, zitiert die Agentur Ukrinform Olga Sowgirja, die Vertreterin des Parlaments beim ukrainischen Verfassungsgericht. Auf keinen Fall solle man allen Abgeordneten verbotener Parteien auf einen Schlag das Mandat entziehen, sagte Sowgirja.

Für den Schriftsteller Andrij Kokotjucha ist ein Parteienverbot nicht ausreichend. Parteien würden von der Bildfläche verschwinden, nicht aber deren Wähler. Und deswegen müsse man gegen alles vorgehen, was Russlandfreundlichkeit begünstige.

„Man muss den Ukrainern von Kindesbeinen an die Verbrechen des Prorussischen mit demselben Enthusiasmus und derselben Inbrunst erklären, mit der bisher die Verbrechen des Faschismus erklärt werden. Die Ukraine spricht seit Langem über die Unzulässigkeit von Rassismus, Antisemitismus, Nazismus und Fremdenfeindlichkeit. Nun ist es an der Zeit, auch Raschismus und Russophilie in diese Liste aufzunehmen“, so Kokotjucha auf NV.ua.

Auch im linken Milieu gibt es Zustimmung zum Verbot prorussischer Parteien. „Ich bin gegen prorussische Parteien“, erklärte Anton Parambul von der Lwiwer Antifa-Gruppe Schwarze Fahne. „Die sollen sich was schämen für das, was Russland in der Ukraine macht.“

Kritiker monieren, das Gesetz sei antidemokratisch

Demgegenüber erklärt der an der Freien Universität Berlin tätige ukrainische Soziologe Wolodimir Ischtschenko, das von Selenski unterschriebene Gesetz bedeute, dass jederzeit jede Partei unter dem Vorwand, prorussisch zu sein, verboten werden könne. „Ich sehe in dem neuen Gesetz keinen Nutzen für die Ukraine, höchstens für Selenski persönlich.“ Schließlich hätten sich doch fast alle prominenten Politiker in der Ukraine gegen den russischen Angriff ausgesprochen.

„Die Zeit der Soft Power ist vorbei. Russland hat beschlossen, seine Ziele mit brutaler militärischer Gewalt durchzusetzen.“ Und deswegen werde Russland in der Ukraine auch keine „prorussischen“ Parteien mehr gründen, so ­Ischtschenko. „Am gefährlichsten ist, dass man auf der Grundlage dieses Gesetzes Parteien im Eiltempo verbieten kann. In gerade mal einem Monat muss das Gericht seine Entscheidung fällen. Aber in einem Monat kann man doch nicht wirklich sorgfältig Verbotsanträge prüfen“, gab Ischtschen­ko zu bedenken.

„Mit Demokratisierung hat das neue Gesetz wirklich nichts zu tun.“ Aber von dem Ziel einer Demokratisierung hätten sich die Machthaber in der Ukrai­ne schon lange verabschiedet, besonders jetzt im Krieg. „In Deutschland hat man noch nicht begriffen, in welchem Umfang man in der Ukraine die Freiheit einschränkt.“

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