Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger: „Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger sieht Deutschland in der schwierigsten ökonomischen Lage seit der Nachkriegszeit. Wie schlimm steht es ums Land?
taz: Herr Bofinger, es ist derzeit viel von einer Wirtschaftskrise die Rede, doch zuletzt ist das Bruttoinlandsprodukt leicht gestiegen. Wie schlimm steht es um die deutsche Wirtschaft?
Peter Bofinger: Die Lage ist schlechter, als sie zunächst erscheinen mag. Die deutsche Wirtschaft steht vor der größten Herausforderung der Nachkriegszeit.
Der 70-Jährige war von 2004 bis 2019 Teil des Gremiums der fünf Wirtschaftsweisen. Seit 1992 lehrt der Ökonom Volkswirtschaft an der Universität Würzburg.
taz: Warum sind Sie so pessimistisch?
Bofinger: Deutschland hat viele Krisen erlebt: die Ölkrisen, die Finanzkrise und die Eurokrise. Diese Krisen haben die Wirtschaft gebremst, aber nach ihnen konnte das Leben wieder weitergehen wie bisher. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, dass die Wirtschaft massiv transformiert werden muss.
taz: CDU-Chef Friedrich Merz sagte jüngst im Deutschlandfunk, dass das deutsche Wirtschaftsmodell am Ende sei. Würden Sie dem zustimmen?
Bofinger: Dieses Modell bestand in der Exportorientierung der deutschen Industrie. Insbesondere die Automobilindustrie war stark. Die letzten 30 Jahre war die Wirtschaft damit aufgrund der Globalisierung erfolgreich. Nicht nur deutsche Autos verkauften sich gut in aller Welt, sondern auch deutsche Maschinen, weil viel Länder ihre Industrialisierung nachholten und sich bei deutschen Maschinenbauern ausrüsteten. Doch nun leidet die Industrie unter hohen Energiepreisen sowie dem Zwang zur Dekarbonisierung und die Automobilindustrie hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, weil sie Entwicklungen bei der Batterietechnologie und Digitalisierung verschlafen hat. Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert also in der Tat nicht mehr.
taz: Insbesondere chinesische Firmen werden zunehmend zu Konkurrenten. Wurde China zu lange unterschätzt?
Bofinger: Manche Ökonomen sprechen von einem zweiten Chinaschock, den wir gerade erleben. Nachdem chinesische Firmen Anfang der 2000er Jahre mit Textilien, Schuhen und einfachen Elektronikprodukten auf den Markt kamen, haben sie jetzt einen großen technologischen Sprung gemacht und werden in Bereichen tätig, wo die deutsche Industrie traditionell stark ist, und machen so hiesigen Firmen das Leben schwer.
taz: Ist die deutsche Industrie noch zu retten?
Bofinger: Leicht wird es zumindest nicht. Unternehmen und Politik müssen sich Gedanken machen, wie sie die Transformation meistern können. Sie müssen in Zukunftsmärkte wie erneuerbare Energien, künstliche Intelligenz oder den Pharmabereich investieren. Denn die deutsche Industrie befindet sich derzeit in einer Mid-Tech-Falle. Das heißt, sie ist in klassischen Bereichen gut aufgestellt, wo sie aber bisher nichts zu bieten hat, sind Hochtechnologiebereiche. Und diese sind die Märkte von morgen.
taz: Hat auch die Politik etwas falsch gemacht?
Bofinger: Der Staat muss eine aktivere Rolle spielen. Es bedarf einer Industriepolitik, die die Geschäftsfelder der Zukunft identifiziert und diese proaktiv fördert, damit deutsche Firmen in fünf, zehn Jahren wieder im globalen Spitzenfeld mitspielen. Der alte Glaube, man müsse der Wirtschaft nur die richtigen Rahmenbedingungen geben, dann würden die Unternehmen ganz von alleine auf die richtigen Ideen kommen, hilft da nicht weiter. Mit einer solchen Politik lassen sich keine Technologiesprünge machen, wie sie China in den letzten Jahren schaffte.
taz: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) hat mit Milliardensubventionen für Northvolt und Intel versucht, Batterie- und Chipfabriken in Deutschland anzusiedeln. Doch wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage beider Unternehmen ist fraglich, ob beide Projekte überhaupt realisiert werden. Sprechen diese Beispiele nicht gegen eine aktivere Rolle des Staates und Subventionen?
Bofinger: Nein. Das Beispiel Northvolt zeigt vielmehr, dass Deutschland bei Batteriezellen gar keine Chance mehr hat, mit China mitzuhalten. Deswegen muss es in der Industriepolitik nicht nur darum gehen, kriselnde Unternehmen zu retten, sondern neue Technologien zu fördern.
taz: Ein Unternehmen, das kriselt, aber auch Subventionen für den Bau einer neuen und klimafreundlichen Anlage erhält, ist Thyssenkrupp Steel. Sind diese Milliardensubventionen falsch investiertes Geld?
Bofinger: Über die Rettung einzelner Unternehmen zu diskutieren, verengt die Debatte zu sehr. Es kann durchaus sinnvoll sein, die Stahlproduktion in Deutschland zu halten. Doch um diese Frage beantworten zu können, braucht es ein schlüssiges Zukunftskonzept. Es ist ein Paradigmenwechsel nötig. Die Politik muss den Mut haben, wieder in großem Maßstab zu denken. Wir brauchen ein 1-Billion-Euro-Programm für die nächsten zehn Jahre.
taz: Das würde finanzpolitisch jeglichen Rahmen sprengen und die Schuldenquote explodieren lassen.
Bofinger: Nicht nur der Schuldenstand würde wachsen, sondern auch die Wirtschaftsleistung. Bei einem realen Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent pro Jahr und einer Inflationsrate von 2 Prozent würde die Schuldenquote, also die Relation der Staatsverschuldung zur Wirtschaftsleistung, von derzeit 63 Prozent auf 67 Prozent steigen. Damit hätte Deutschland weiterhin eine sehr viel niedrigere Schuldenquote als Länder wie Frankreich, Großbritannien oder die Vereinigten Staaten.
taz: Doch dafür braucht es eine Reform der Schuldenbremse oder zumindest ein neues Sondervermögen. Dagegen hat sich die FDP immer gewehrt. Sind sie froh über das Ampel-Aus?
Bofinger: Es ist gut, dass die Ampelkoalition auseinandergebrochen ist. Wenn es drei Parteien gibt, die alle in eine andere Richtung wollen, dann gibt es sehr viel Spannungen, aber das Land kommt nicht weiter. Damit ist jetzt zumindest Schluss.
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