Diskurskultur in deutschen Medien: Immer weiter nach rechts
Im Journalismus hat sich eine gefährliche Tendenz etabliert. Statt auf recherchierte Fakten wird vor allem auf Kontroverse als Selbstzweck gesetzt.
Für Journalist*innen gehört es sich eigentlich nicht, über Kolleg*innen zu schreiben, so wie ich es an dieser Stelle machen werde. Zumindest ist es mir etwas unangenehm. Es muss aber sein, denn in den vergangenen Jahren habe ich gefährliche Tendenzen beobachtet, die mir in einigen Redaktionen begegnet sind. Es geht um radikalisierte Journalist*innen, die verletzbare Minderheiten im Visier haben.
Ich arbeite hier mit sogenannten non mentions, also namenlosen Schilderungen, nicht weil ich die Konfrontation scheue – von der habe ich aber tatsächlich genug –, es geht mir mehr um eine Arbeitsatmosphäre, in der sich diese radikalisierten Autor*innen ungehindert entfalten können, in der einige Entscheidungsträger*innen in Redaktionen auf die Kontroverse als Selbstzweck und nicht auf die journalistisch recherchierten Fakten achten.
Vorab ist mir wichtig: Was Springer-Medien, die Neue Zürcher Zeitung oder die Junge Freiheit mit ihren teils menschenfeindlichen Inhalten machen, ist aus meiner Sicht kein Journalismus. Dieses Phänomen müsste in einem anderen Text mit der Überschrift „Wehret den Anfängen: längst verpasst!“ besprochen werden. Mir geht es hier um vermeintlich bürgerliche oder sogar linksliberale Medien, die in den vergangenen Jahren immer öfter ausgetestet haben, wie weit sie, meist mit Meinungsstücken, den Diskurs nach rechts verschieben können. Spoiler: Sie sind sehr weit gekommen.
Ich muss betonen, dass Streit und Diskussion etwas Gutes sein können. Sie können Gesellschaften voran- und Lösungen für strukturelle Probleme hervorbringen. Es kommt aber darauf an, über was wie diskutiert wird. Lauten die Fragen wie folgt, könnte es schieflaufen: Sollen Frauen zurück an den Herd? Dürfen queere Menschen Eltern sein? Sollen Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken?
Ein ausgrenzender Diskurs
Genau diese Fragen werden vermehrt seit 2015 – also seitdem das politische Klima von rechtsextremen Flammenwerfern angeheizt wurde – unter dem Deckmäntelchen der Meinungsfreiheit verhandelt. Eine gewisse rechtsextreme Partei hat diese aufgeheizte Stimmung in die Parlamente getragen. Es ist nicht so, dass es vor der AfD im Bundestag keinen Rassismus gab, auch die deutsche Politik hat sich nach 1945 nicht entnazifizieren können.
Sicher ist aber, dass sie damit die politisierte Andersmachung von Minderheiten zur Kür erhoben hat. Diese Kür wurde in einigen Redaktionen dankend angenommen. Zu oft lauteten seitdem Antworten auf die Fragen aus dem vorherigen Absatz: Ja zum Sexismus, ja zur Queerfeindlichkeit, ja zur Menschenverachtung. So im Sinne von: Sollen doch ein paar Flüchtlinge ertrinken, selbst schuld, wenn sie sich in Nussschalen auf den Weg übers Meer machen, und außerdem schreckt das andere ab, denn wir können nicht ganz Afrika aufnehmen.
Ich frage mich immer öfter: Was sagt dieser gewollt ausgrenzende Diskurs über die deutschsprachige Medienlandschaft und das journalistische Selbstverständnis einzelner Kolleg*innen aus?
Neulich haben die „Tagesthemen“ ein neues Pro-und-Contra-Format eingeführt. Das klingt nach Binnenpluralismus. Diese Neuerung illustriert allerdings einen Trend, dem zu viele Chefredaktionen verfallen sind: über alles diskutieren und jede Meinung normalisieren zu wollen. Natürlich bin ich nicht dagegen, über den Einsatz von Smartphones in Schulklassen zu streiten oder den Sinn der Erbschaftsteuer oder die Schließung eines ehemaligen Flughafens.
Es gibt allerdings Fragen, die nicht verhandelt werden können: jene, die die Menschenwürde betreffen. Das Pro-und-Contra-Format öffnet die Möglichkeit, dass aus Nachrichtenportalen, Printmedien und Rundfunkprogrammen politische Projektionsflächen werden, die sich weniger an journalistischen Standards orientieren.
Einfacher als früher
Zum ersten Mal sind mir durch antirassistische Diskurse persönlich beleidigte Journalist*innen begegnet, da war ich vor knapp zehn Jahren ein unbedeutender Praktikant. Anscheinend hatte ich mit einer antirassistischen Aussage in einer Redaktionskonferenz einen Redakteur (natürlich alt, weiß, cis-männlich, hetero) so sehr getroffen, dass er mich zu einem klärenden Gespräch beim Kantinenessen bat. „Mohamed, ich habe damals nicht umsonst die Startbahn West in Frankfurt blockiert“, sagte er. Ihm gehe Antirassismus so richtig auf den Senkel. Es war der inhaltliche Widerspruch, der ihn beleidigte.
Ich weiß nicht, was im Kollegen heute so abgeht, wenn er die vermehrt hör- und sichtbaren Stimmen von Schwarzen Menschen und People of Color mitbekommt, die über institutionalisierten Rassismus, Polizeigewalt und eine ehrliche Aufarbeitung deutscher Geschichte sprechen.
Anders als vor zehn Jahren ist es in Redaktionen heute allerdings einfacher geworden, sogenannte kontraintuitive und gewollt politisch inkorrekte Inhalte ins eigene journalistische Produkt zu kippen. Oft mit wenig Recherchearbeit und immer den „linken Mob“ auf Twitter im Blick. So als wäre Twitter das Vorzimmer des Bundeskanzlerinnenamts. Neulich behauptete jemand in einer großen deutschen Redaktion, dieser „linke Mob“ sei schlimmer als echte Nazis. Das illustriert gut, wie sehr sich die Prioritäten verschoben haben.
Wir Journalist*innen sind selbstbewusste Menschen, die das Rampenlicht suchen. Klar kenne ich Kolleg*innen, die einfach ihren Job machen und keine Profile auf sozialen Medien pflegen. Fakt ist aber, dass viele Medienmacher*innen die Öffentlichkeit suchen. Ich bin von dieser Darstellungssucht nicht ausgenommen.
Ködern am rechten Rand
Doch habe ich in den vergangenen zehn Jahren immer häufiger beobachten müssen, dass einige Journalist*innen und Redaktionen menschenverachtende Kontroversen bemühen – teils um damit aufzufallen, neue Abonnent*innen oder Zuschauer*innen am rechten Rand zu ködern, manchmal aber, weil sie schlicht daran glauben.
Da ist zum Beispiel eine Kollegin, die ich nur flüchtig kenne. Sie hat jahrelang stabile Arbeit in einem regionalen Printmedium geleistet. Das war ihr anscheinend irgendwann nicht genug und deswegen schrieb sie – ohne Not und mit null Vorrecherche – einen Kommentar, der antirassistische Diskurse verteufelte und selbst rassistische Bilder bediente.
Plötzlich war sie jemand und bekam auf Twitter Zuspruch, ja tosenden Applaus teils von bekannten rechtsextremen User*innen. Sie bedankte sich dafür mit Smileys, nahm motivierende Worte von anderen Journalist*innen entgegen, ihre Chefin verteidigte sie vehement. Dennoch beschwerte sie sich danach, man wolle sie canceln.
Da ist eine andere Kollegin, die wegen ihrer menschenverachtenden Meinungsstücke hinter den Kulissen im Regierungsviertel von AfD-Politiker*innen als eine der wenigen aufrichtigen Journalist*innen im Land gefeiert wird. Jene, die absolut überzeugt sind, dass die „Lügenpresse“ vom jüdischen Philanthropen George Soros Milliarden bekommt, um den Untergang des Abendlandes herbeizuschreiben, schicken ausgerechnet einer Journalistin Liebeserklärungen? Das müsste einen zum Grübeln bringen, right?
Doch das Gegenteil passiert: Auf den verstörenden Zuspruch von Rechtsextremen angesprochen, erzählt die Kollegin von ihrer Freude an der „linken Ideologiekritik“ und ihrer Skepsis gegenüber Identitätspolitik. Das sagte sie so, als wären ihre eigenen Texte keine Identitätspolitik.
Streit als Kernaufgabe
Einige Chefredaktionen fördern diesen konfrontativen Trend. Denn diese Konfrontation ruft (berechtigten) Widerspruch auf. Und so kommt Tag für Tag, Woche für Woche eine Talkshow-Runde, ein Pro-und-Contra oder ein Leitartikel in Umlauf, der die Existenz von verletzbaren Minderheiten in diesem Land gefährdet.
Regelmäßig gibt es danach Aufregung und einige Redaktionen stellen die Entgleisungen entweder selbstbewusst als Teil des Diskurses oder als bedauerlichen Ausrutscher dar, den man mit einem Gastbeitrag wieder gutmacht. So kann faktenbasierter und fairer Journalismus nicht funktionieren.
Eine Begleiterscheinung gibt mir aber doch Hoffnung: In vielen Redaktionen, die ich gut kenne, gibt es Gruppen von Journalist*innen, die sich genau gegen diese Menschenfeindlichkeit wehren. Sie nennen sich „der Untergrund“, „der Widerstand“ oder schlicht „die Opposition“. Sie sehen die Rolle einzelner radikalisierter Kolleg*innen, die Narrenfreiheit nach rechts genießen, kritisch. Sie sind nicht gegen Debatten, fordern aber, dass sie respektvoll ablaufen und auf Rassismus, Sexismus oder Queerfeindlichkeit verzichten.
Die Kernaufgabe von Redaktionen ist der Streit, damit Inhalte besser werden. Das sind Kolleg*innen, die einfach sagen wollen, was ist. Die sich intern aber manchmal nicht trauen. Immer wenn so ein menschenfeindlicher Kommentar irgendwo erscheint, klingelt mein Telefon.
Dann lese ich zugleich verzweifelte und traurige, kämpferische bis rebellische Nachrichten, die diesen längst nach rechts gedrifteten Diskurs ablehnen und zu fairem und gut recherchiertem Journalismus zurückkehren wollen. Dieser Widerspruch versöhnt mich ein wenig mit meiner eigenen Branche.
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