Spenden gegen schlechtes Gewissen: Das White Guilt Stipendium
Früher haben Linksliberale an Unicef gespendet, heute fragen sie nicht-weiße Personen nach ihrem PayPal-Link. Das fördert aber nur Diskriminierung.
Sie stehen vor einem Laden, und bevor Sie merken, was abgeht, wirft Ihnen jemaus eine Münze zu. Sie wundern sich, ob Sie im richtigen Film sind. Haben Sie an der Ampel jongliert? Nö. Vor einem aufgeklappten Gitarrenkoffer einen Sting-Song performt? Irgendwie auch nicht. Ihre bloße Existenz gab Passant_innen den Eindruck, Sie stünden hier mit der Bitte nach Almosen.
In den letzten Jahren hat sich das Social-Media-Äquivalent etabliert: Sie veröffentlichen einen Beitrag über gesellschaftliche Missstände, vielleicht auf Ihrer Biografie basierend. Eventuell mit Infos, die nicht allen geläufig sind. Sie ernten Lob und auch Hass. Und manche wollen das White Guilt Stipendium an Sie vergeben. Letztere bedanken sich bei Ihnen für Ihre „wichtige Arbeit“ und fragen, ob Sie sich finanziell revanchieren können, über einen PayPal-Link etwa oder über Patreon.
Doch Sie haben sich auf dieses Stipendium nie beworben. Nirgendwo haben Sie die Erwartung geäußert, für das Paraphrasieren von auf Wikipedia nachlesbaren Sachverhalten entlohnt zu werden. Aber es könnte ja immer sein, dass Sie sich nicht trauen, öffentlich nach Geld zu fragen, weil das Thema ja recht schambehaftet ist und … Moment mal, wurden Sie gerade zur Subalternen gemacht? Versucht da wer, die eigenen Schuldgefühle aufgrund von Privilegien durch Charity zu kompensieren?
Natürlich sollte Arbeit bezahlt werden und es gibt viele Bildungsarbeitende, die sich über Entlohnung freuen. Vielleicht verstehen Sie die steile These in Ihrer Instagram-Story jedoch nicht unbedingt als „wertvolle Analyse“ oder qualitativ hochwertige „politische Bildungsarbeit“ – und finden es schräg, dass andere Ihnen aufgrund Ihrer Identität wie bei einem Glückskeks-Orakel Geld zustecken wollen.
Spiritual Leader oder verwahrlostes Opfer
Ob intendiert oder nicht, die Dynamik der gütigen Privilegierten versus die vermeintlich marginalisierten „Weisen“ ist antiemanzipatorisch. Sie teilt in zwei gleichermaßen unangenehme Rollen ein: entweder Sie werden zum Spiritual Leader, sollen für andere das kritische Denken übernehmen und sie von der Last der Verantwortung erlösen, indem Sie ihnen alles vorkauen. Oder Sie sind ein verwahrlostes Opfer, das außer auf Erfahrungen basiertes Wissen nichts besitzt.
Früher haben bürgerliche Linksliberale ihre Schuldgefühle in Form von Spenden an Unicef oder esoterische Gurus entladen, heute gehen sie auf Social-Media-Profile häufig nicht-weißer, meist studierter Menschen und fragen sie nach ihrem PayPal-Link oder posten gerührte Emojis unter ihre Beiträge, als sei dort ein abgemagertes Kind abgebildet, das sich über eine geschenkte Apfelsine freut.
All das Gerede von Diversity, aber mit dem White Guilt Stipendium werden sogenannte „Betroffene“ in die Rolle der Bedürftigen gedrängt oder wegen essenzialisierender Zuschreibungen auf ein Podest gehoben. Wohltat und solidarische Umverteilung sind nicht dasselbe.
Leser*innenkommentare
Hampelstielz
Bleibt die Frage zu beantworten, wie solidarische Umverteilung denn unter dem Banner zufälliger Gruppenmerkmale funktionieren soll. Der Zuweisung meiner Rolle nach müsste ich ja irgendetwas abgeben, Geld, Macht und alle meine Privillegien. Geld gibt es keines, Macht ebensowenig, bleiben meine Privilegien auf die ich verzichten soll. Eigentlich geht es dabei um die eigenen Grundrechte; wie soll man darauf verzichten, wie gibt man diese ab? Seit wann sind diese Privilegien und nicht allgemeingültig?
Nilsson Samuelsson
Ich denke Banksy hat es in seine Tribut an Geoge Floyd ähnlich wie Frau Yaghoobifarah das Dilemma sehr gut auf den Punkt gebracht:
"At first I thought I should just shut up and listen to black people about this issue.
But why would I do that?
It's not their problem. It's mine.
People of colour are being failed by the system. The white system. Like a broken pipe flooding the apartment of the people living downstairs. The faulty system is making their life a misery, but it's not their job to fix it. They can't, no one will let them in the apartment upstairs.
This is a white problem. And if white people don't fix it, someone will have to come upstairs and kick the door in." Banksy
times.ky/britain-s...e-in-floyd-tribute
Saile
@Nilsson Samuelsson Hengameh Yaghoobifarah ist nichtbinär und keine Frau.
Lowandorder
@Nilsson Samuelsson thnx a lot for that.
BlauerMond
Ist das aber nicht genau das Ziel dieser White Privilege-Kurse? Es wird einem gesagt und man wird darin geschult, einzusehen, dass man zu einer Gruppe Menschen gehört, ohne die die ganze Welt besser dran wäre und die vielfaches Leid durch Benachteiligung anderer verursacht. Und dann wird gesagt, "fragt nicht, was ihr ändern könnt, bürdet diese Antwort nicht People of Color auf!!" Dann wird noch gesagt, man sollte in Anwesenheit jener besser schweigen, weil man ihnen sonst die Stimme nimmt. Also geht man nach Hause, wird kleinlauter, zieht sich mehr zurück - aber hey, es wurde ja gesagt, man solle sich nicht selbst zentrieren!
Also was macht man? Man gibt: Man lässt Leuten den Vortritt, verzichtet, wenn People of Color das gleiche wollen wie man selbst, lächelt mehr (versucht zu sagen, dass man sich für seine Privilegien entschuldigt), wird großzügiger, verzichtet mehr - und immer noch wird einem gesagt, dass man "immer weiß bleiben würde", also nie aus der Rolle des ungewollten Täters entkommen könne.
Und wenn man das einige Monate/ Jahre/ Jahrzehnte, je nachdem, mit sich rumschleppt kommt einer und sagt: "Aber du kannst ZAHLEN!!"
So geschehen auf Instagram nach dem Tod von G. Floyd: Zahlreiche Stories: Weiße, postet jetzt bloß keinen Content, hier ist aber eine Spendenseite!" Und dann - posteten zahlreiche Weiße nach Aufforderung sogar ihre Spendenquittung...
Wer das im großen Stile als Geschäftsmodell aufzieht, hat doch jetzt seinen Reibach gemacht!
Und wer sich dann, wie in der Absolution, von Schuldgefühlen freikauft, hat auch noch etwas davon...
rero
Die Autorin hat ja recht, aber ist das nicht etwas woran Critical Whiteness und der gesamte Antirassismusdiskurs allgemein kranken?
In einer Aufmerksamkeitsökonomie wie dieser ist Aufmerksamkeit mehr wert als Geld.
Wer aus schlechtem Gewissen oder Schuldgefühlen wegen seiner Privilegien heraus sich die Ausstellung einer schwarzen Künstlerin ansieht, betreibt Charity.
Kolumnen speziell für PoC sind Charity.
Quoten von Migrationshintergründler_Innen in Behörden sind wenigstens zum Teil Charity
Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. Man begegnet einander auf Augenhöhe.
Was als Solidarität mit Flüchtlingen, PoC oder anderen Gruppen bezeichnet wird – auch in der Taz -, ist oft nicht von Gegenseitigkeit geprägt.
Es ist Charity.
Deshalb ist auch Identitätspolitik, gepaart mit Opferrhetorik, so problematisch.
Adressat_innen werden allein durch die Form der Kommunikation in die komplementäre Rolle der Mildtätigen gedrängt
drafi
Warum wirft die Autor_in permanent mit gruppenbezogenen Bezeichnungen um sich?
Ständig steckt sie Menschen in irgendwelche mit abwertenden Begriffen versehene Verallgemeinerungen.
Ich empfinde das als wirklich anstrengend und unpassend.
Achim Kniefel
Hm, heißt das jetzt, dass ich als geborener White Guilt Man jetzt besser "ermäßigter Preis" statt "politischer Preis" wähle - und immer auf "Schon dabei" bei der Bezahlschranke klicke? Damit ich niemanden zum Subalternen mache?
Hanno Homie
Ich denke ich verstehe den Punkt und möchte ihn teilen. Und deshalb möchte ich Kritik anbringen:
In einem sehr schmerzhaften und befreienden Prozess habe ich lesen und verstehen gelernt, dass ich mit den folgenden Formulierungen meine eigene Macht abgebe, manchmal mit dem (dann meist) unbewussten Wunsch dadurch Macht über andere auszuüben:
"Moment mal, wurden Sie gerade zur Subalternen gemacht?"
"... werden sogenannte „Betroffene“ in die Rolle der Bedürftigen gedrängt oder wegen essenzialisierender Zuschreibungen auf ein Podest gehoben"
Das ist anti-emanzipatorische Sprache. Die etwas erkannt hat, aber nur den halben Weg geht.
Am Beispiel des ersten Satzes: Ich kann z.B. Betroffene oder Opfer von etwas (z.B. einer Handlung/Haltung/kulturellen Einstellung/gesetzlichen Reglung etc.) werden. Auch fortgesetzt, immer wieder, fatal und dauerhaft. Aber niemand macht (mich selbst) zu Etwas.
Keine Kritik ohne Lösungsvorschlag. Deshalb hier sieben Formulierungsalternativen - je nachdem was man aussagen will - für den ersten der beiden Sätze (und es gibt noch viel mehr Möglichkeiten):
"Moment mal, würde Sie hier gerade jemand gerne zur seiner Subalternen machen wollen?"
"Moment mal, behandelt Sie hier gerade jemand wie seine/ihre Subalterne?"
"Moment mal, sieht Sie hier jemand als seine/ihre Subalterne?"
"Moment mal, stellt sich hier jemand über Sie?"
"Moment mal, zeigt da gerade jemand arrogantes Verhalten Ihnen gegenüber?"
"Moment mal, empfinden Sie das Verhalten Ihres Gegenübers als überheblich?"
Oder möglicherweise sogar:
"Moment mal, haben Sie Sich hier gerade zur Subalternen gemacht?"
Sven Günther
"Früher haben bürgerliche Linksliberale ihre Schuldgefühle in Form von Spenden an Unicef oder esoterische Gurus entladen"
Spenden Sie lieber für Kinder in Kinderheimen und machen Sie denen eine Freude, damit auch Kinder in Kinderheimen Spielzeug bekommen.
de.gofundme.com/f/...austeine-fr-kinder
Nilsson Samuelsson
Toll! Danke!
David Gehle
Ist das wirklich wahr? Das ist ja über Schuldentladung hinaus noch selbstgefälliges Kleinmäzenatentum. Könnte aus einer Kurzgeschichte von T.C.Boyle sein, seine Sprache ist manchmal naja, aber Milieubeschreibung ist immer spot on. Was der olle Ablassbrief für Metamorphosen durchläuft, strange.
xf01213
U+1F44D (aka Daumen hoch)
Patricia Winter
@xf01213 Wo finde ich die Liste mit den Tastatur"kürzeln" für diese Bildchen? Ich bin noch auf Buchstaben reduziert, ein Nachteil in dieser immer bunteren Forist:innen-Welt.
Khaled Chaabouté
Von mir zwar keine Spende, aber Zustimmung und Respekt. Hengameh ist eine echte Bereicherung im TAZ-Spektrum.