Debatte um Energieboykotte: Putin schaden sie nicht

Energieboykotte scheinen eine einfache Lösung, den Ukraine-Krieg zu stoppen. Doch den bezahlt Putin in Rubel, nicht mit Devisen.

Eine Frau schiebt einen Geldstapel vor sich

Frische 1000-Rubel-Banknoten in der Moskauer Druckerei „Goznak“ Foto: Sergei Ilnitsky/efe/epa

Wer die schrecklichen Bilder aus der Ukraine sieht, leidet an der eigenen Hilflosigkeit. Es wirkt unfassbar, dass der Westen nicht in der Lage sein soll, dieses Grauen sofort zu stoppen. Zumal sich eine einfache Lösung aufzudrängen scheint: Man könnte doch die russischen Energielieferungen boykottieren. Wenn Putin kein Öl oder Gas mehr in den Westen verkaufen könnte, würden ihm die Dollar oder Euro fehlen, um seinen Krieg zu finanzieren. Der Massenmord in der Ukraine wäre beendet.

Doch leider würde ein Boykott nicht funktionieren. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Putin seinen Krieg mit westlichen Devisen bezahlt. Er nutzt Rubel, um das Nachbarland zu überfallen. Russland ist zwar arm und rückständig, benötigt aber keine Waren aus dem Westen, um Angriffskriege zu starten. Beim Militär ist Russland autark. Es verfügt über leistungsfähige Waffenschmieden, Nahrungsmittel und Öl.

Dollar und Euro haben bisher vor allem den Luxuskonsum finanziert. Also Prada-Handtaschen, Mercedes-Karossen oder schicke Fernreisen. Aber diese Annehmlichkeiten gibt es derzeit sowieso nicht, weil sich die westlichen Unternehmen aus Russland zurückgezogen haben. Bizarres Ergebnis: Dank seiner Energieexporte nimmt Russland täglich etwa 1 Milliarde Dollar ein, mit denen es aber nicht viel anfangen kann.

Theoretisch wäre es möglich, dass Putin die Devisen nutzt, um in China Waffen zu kaufen. Aber real scheidet diese Option aus, weil Peking den Westen nicht verärgern will. Denn dort sitzen die chinesischen Kunden, nicht im armen Russland.

Der Westen kann Energie gefahrlos importieren

Der Westen kann also gefahrlos russische Energie importieren – wofür wir dankbar sein sollten. Viele Deutsche glauben, dass es reichen würde, die Heizung ein wenig zu drosseln, um vom russischen Gas unabhängig zu werden. Das ist eine gefährliche Illusion. Deutschland bezieht fast die Hälfte seiner Energie aus Russland. Würde diese Zufuhr abbrechen, wäre mit einer extremen Rezession und hoher Arbeitslosigkeit zu rechnen. Zudem würde es nicht nur die Bundesrepublik treffen. Weltweit wäre Öl teurer, sodass arme Länder wie Kenia oder Ägypten besonders leiden würden.

Bleibt nur die Frage: Warum liefert Putin überhaupt noch Öl und Gas, obwohl ihm die Devisen derzeit nichts nützen? Für ihn müsste es doch attraktiv sein, den Westen ins Chaos zu stürzen, indem er den Energiehahn abdreht. Niemand weiß, was in Putins Kopf vorgeht, aber wahrscheinlich will er für die Zukunft vorsorgen. Irgendwann wird dieser katastrophale Krieg enden, und Putin hat nur eine Chance, Präsident zu bleiben, wenn er seinem Volk dann wieder Annehmlichkeiten bieten kann – also Waren aus dem Westen. Die nötigen Devisen sammelt er jetzt.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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