Debatte um Energieboykotte: Putin schaden sie nicht
Energieboykotte scheinen eine einfache Lösung, den Ukraine-Krieg zu stoppen. Doch den bezahlt Putin in Rubel, nicht mit Devisen.
W er die schrecklichen Bilder aus der Ukraine sieht, leidet an der eigenen Hilflosigkeit. Es wirkt unfassbar, dass der Westen nicht in der Lage sein soll, dieses Grauen sofort zu stoppen. Zumal sich eine einfache Lösung aufzudrängen scheint: Man könnte doch die russischen Energielieferungen boykottieren. Wenn Putin kein Öl oder Gas mehr in den Westen verkaufen könnte, würden ihm die Dollar oder Euro fehlen, um seinen Krieg zu finanzieren. Der Massenmord in der Ukraine wäre beendet.
Doch leider würde ein Boykott nicht funktionieren. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Putin seinen Krieg mit westlichen Devisen bezahlt. Er nutzt Rubel, um das Nachbarland zu überfallen. Russland ist zwar arm und rückständig, benötigt aber keine Waren aus dem Westen, um Angriffskriege zu starten. Beim Militär ist Russland autark. Es verfügt über leistungsfähige Waffenschmieden, Nahrungsmittel und Öl.
Dollar und Euro haben bisher vor allem den Luxuskonsum finanziert. Also Prada-Handtaschen, Mercedes-Karossen oder schicke Fernreisen. Aber diese Annehmlichkeiten gibt es derzeit sowieso nicht, weil sich die westlichen Unternehmen aus Russland zurückgezogen haben. Bizarres Ergebnis: Dank seiner Energieexporte nimmt Russland täglich etwa 1 Milliarde Dollar ein, mit denen es aber nicht viel anfangen kann.
Theoretisch wäre es möglich, dass Putin die Devisen nutzt, um in China Waffen zu kaufen. Aber real scheidet diese Option aus, weil Peking den Westen nicht verärgern will. Denn dort sitzen die chinesischen Kunden, nicht im armen Russland.
Der Westen kann Energie gefahrlos importieren
Der Westen kann also gefahrlos russische Energie importieren – wofür wir dankbar sein sollten. Viele Deutsche glauben, dass es reichen würde, die Heizung ein wenig zu drosseln, um vom russischen Gas unabhängig zu werden. Das ist eine gefährliche Illusion. Deutschland bezieht fast die Hälfte seiner Energie aus Russland. Würde diese Zufuhr abbrechen, wäre mit einer extremen Rezession und hoher Arbeitslosigkeit zu rechnen. Zudem würde es nicht nur die Bundesrepublik treffen. Weltweit wäre Öl teurer, sodass arme Länder wie Kenia oder Ägypten besonders leiden würden.
Bleibt nur die Frage: Warum liefert Putin überhaupt noch Öl und Gas, obwohl ihm die Devisen derzeit nichts nützen? Für ihn müsste es doch attraktiv sein, den Westen ins Chaos zu stürzen, indem er den Energiehahn abdreht. Niemand weiß, was in Putins Kopf vorgeht, aber wahrscheinlich will er für die Zukunft vorsorgen. Irgendwann wird dieser katastrophale Krieg enden, und Putin hat nur eine Chance, Präsident zu bleiben, wenn er seinem Volk dann wieder Annehmlichkeiten bieten kann – also Waren aus dem Westen. Die nötigen Devisen sammelt er jetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken