Coronakrise in Deutschland: Das Schlimmste kommt erst noch
Wer jetzt nach Exit aus den Coronamaßnahmen ruft, handelt populistisch. Ein Blick auf die Fallzahlen zeigt: Das Drama kommt noch. Ein Kassandraruf.
D as seit Tagen anschwellende Gerede über eine Exitstrategie aus den Corona-Maßnahmen hat vor allem einen Zweck: Es dient der Beruhigung der besorgten und genervten Bevölkerung. Das aber ist fatal. Denn wer derzeit den Eindruck erweckt, bald könnte das Schlimmste vorüber sein, der ist entweder ein populistischer Blender. Oder er hat wenig Ahnung von Mathematik.
Ein nüchterner Blick auf die Zahlen lässt erkennen: Wir stehen keineswegs kurz vor dem großen Turn-Around, sondern immer noch ganz am Anfang der Coronakrise. Mehr als 73.000 bestätigt mit Corona Infizierte meldete das Robert-Koch-Institut am Donnerstag. Das waren 6.150 Fälle mehr als am Tag zuvor. In absoluten Zahlen der zweitstärkste Anstieg bisher.
Das Drama dabei: Die Fallzahl stieg in der vergangenen Woche immer noch im Schnitt um 11 Prozent, Tag für Tag. Ginge das konstant so weiter, hätten wir binnen 30 Tagen – also Ende April rund 1,5 Millionen Infizierte. Und am 20. April, der Tag, an dem laut neusten Beschlüssen von Bund und Ländern die Kontaktsperren gelockert werden könnten, gäbe es rund 450.000 bestätige Fälle.
Aus dem Bundeskanzleramt, das sich zum Glück bisher sehr bedächtig zeigte, hieß es Anfang der Woche, wenn es gelänge, die Infektionsgeschwindigkeit so zu senken, dass sich die Zahl der Infizierten nur noch alle zehn Tage verdoppeln würde, sei man auf dem richtigen Weg.
Aber können dann die Maßnahmen gelockert werden? Nein. Selbst eine Verdopplung nur alle zehn Tage würde bedeutet: Am 20. April, wird es immer noch 270.000 Infizierte geben. Und Ende April mehr als eine halbe Million.
Nicht von ungefähr hat die Kanzlerin sich am Mittwoch korrigiert. Angela Merkel sagte, dass man die Verdopplungszeit sogar auf 14 Tage strecken müsse. Das entspräche einem täglichen Wachstum von nur 5 Prozent. Davon sind wir noch weit entfernt.
Exponentielle Zunahme der Todesfälle
Noch dramatischer wird sich die Zahl der Todesfälle entwickeln. Denn sie hinkt der Infiziertenrate rund drei Wochen hinterher. Der dramatisch exponentielle Anstieg steht uns in den nächsten Tagen also noch bevor. Es wird wohl nicht mehr um die Frage gehen, ob es über 10.000 Tote werden, sondern wann.
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Aber, werden nun die einen einwenden, muss man nicht die heute Infizierten bei solchen Prognosen wieder rausrechnen? Stimmt, das muss man. Weil bis Ende April sind sie entweder wieder gesund. Oder tot. Aber bei 500.000 oder gar einer Million potenzieller Patienten wird es für das Gesundheitssystem auf 60.000 mehr oder weniger auch nicht mehr ankommen. Es wird so oder so an der Grenze der Kapazitäten sein. Oder weit darüber hinaus.
Und was, werden andere fragen, ist mit der Besserung, die viele Experten wie etwa den Chef des Robert-Koch-Instituts von vorsichtigem Optimismus reden ließ? Ja, die gab es tatsächlich. Vor einer Woche lag die durchschnittliche, tägliche Zuwachsrate noch bei 21 Prozent. Wäre es dabei geblieben, hätte es binnen 30 Tagen 10 Millionen Infizierte gegeben. Allein in Deutschland wohlgemerkt.
Das große Ziel, die Kurve flach zu halten, wurde also erreicht. Doch weil sie anfangs extrem steil war, ist sie trotz aller Fortschritte bei weitem noch nicht flach genug.
Es wird keine Lockerung am 20. April geben
Dritte hingegen werden kritisieren, dass all diese Zahlen doch vollkommen unzuverlässig sind. Dass niemand genau sagen kann, wie viele Infizierte es tatsächlich gibt. Auch das stimmt. Das Problem ist nur: Experten gehen davon aus, dass die reale Fallzahl sogar drei- bis zehnmal höher ist. Jedenfalls nicht niedriger.
Vor allem aber gilt: Es sind die einzigen Zahlen, nach denen wir uns richten können. Sie stimmen wahrscheinlich nicht in ihrer absoluten Größe, aber sie zeigen einen Trend auf. Und der zeigt weiter steil nach oben. Daher ist schon jetzt klar ist: Es wird kaum eine Lockerung der Anti-Corona-Maßnahmen in Deutschland ab dem 20. April geben können.
Sicher, ganz sicher kann man darauf vertrauen, dass das Gesundheitssystem in Deutschland viel besser aufgestellt ist als etwa in Italien und Spanien. Es wird daher etwas später überlastet sein. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Rate der Neuinifizierten aufgrund der bereits getroffenen Maßnahmen schneller sinkt als derzeit absehbar. Hoffentlich.
Vielleicht wird alles gut. Vielleicht. Bekanntlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber man darf nicht verdrängen: auch sie stirbt.
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