Blockade der Union beim Bürgergeld: Nur Lust am Nein
CDU und CSU machen mit giftiger Rhetorik Stimmung gegen das Bürgergeld. Viel mehr haben die Unionsparteien in sozialen Fragen auch nicht anzubieten.
D as Bürgergeld mache Arbeitslose reicher als Leute, die mit Jobs wenig verdienen. So versucht die Union es darzustellen – und arbeitet dabei mit suggestiven Zahlen. Familien mit 150.000 Euro Vermögen könnten es sich mit dem neuen Bürgergeld auf Mallorca gut gehen lassen. Das ist giftige Rhetorik und Stimmungsmache gegen Ärmere.
Denn dies ist ein extremer, eher theoretischer Einzelfall. Und der wäre auch jetzt mit Hartz IV möglich. Um Härten während der Coronapandemie zu vermeiden, hat das Parlament ohnehin schon das Schonvermögen angehoben – damals mit den Stimmen der Union. Friedrich Merz und Markus Söder argumentieren bigott.
Sie deshalb, wie es SPD-Chef Lars Klingbeil getan hat, auf eine Stufe mit Trump zu stellen, ist allerdings ebenso giftige Rhetorik. Die Union spitzt extrem zu. Aber Merz ist nicht Trump. Billige Polemik im Meinungskampf und ein lässiger Umgang mit Fakten sind ungut, aber etwas anderes als das Prinzip Trump – nämlich Rationalität durch Lüge zu ersetzen und demokratische Verfahren nach Gutdünken auszuhebeln.
Die Union hat beim Bürgergeld ein Spiel eröffnet, bei dem sie auf den ersten Blick nur gewinnen kann. Das Bürgergeld ist das zentrale Projekt der Reparaturarbeiten der SPD an der Agenda 2010 – und das symbolische Ende eines Konflikts, der auf die Sozialdemokratie 20 Jahre lang wie Betablocker gewirkt hat. Das macht die Aussicht, dieses Projekt im letzten Moment zu versenken, für Merz & Co besonders verlockend.
Aber auch wenn es der Union gelingt, am Montag eine Front im Bundesrat aufzubauen und das Bürgergeld im Vermittlungsausschuss noch mal gestutzt oder gar demoliert wird – es wird ein schaler Erfolg. Denn mehr als ein polemisches, reflexhaftes Nein hat die Union in sozialen Fragen nicht anzubieten. Zur Erinnerung: Sie hat vor 15 Jahren die Einführung des allgemeinen Mindestlohns bekämpft. Sie hat die Erhöhung auf 12 Euro erst mit scharfen Worten abgelehnt, dann widerwillig akzeptiert. Und jetzt das donnernde Nein zum Bürgergeld. Wo bleibt das Positive?
In den 1970er Jahren, als die Union in der Opposition war, hat Heiner Geißler die neue soziale Frage entdeckt. Es gab Arbeitslose, Rentner und Gruppen, die im korporatistischen Modell der Bundesrepublik durch den Rost fielen. Heute hat Deutschland einen extrem großen Niedriglohnsektor. Die Union hat dazu außer Achselzucken nichts zu sagen. Das laute Poltern gegen das Bürgergeld verdeckt 2022 matte Ratlosigkeit und programmatische Dürre. Die Union hat nur Lust am Nein, keine Neugierde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin