Kritik am Deutschen Ethikrat: Bisschen viel Gott
Im Ethikrat sitzen auffällig viele Leute mit religiösem Hintergrund. Das ist bei Themen wie Sterbehilfe bedenklich. Ist das Gremium noch zeitgemäß?
Monatelang war der Deutsche Ethikrat nicht arbeitsfähig, da es die Bundesregierung versäumt hatte, neue Mitglieder für das Gremium vorzuschlagen, obwohl dies mehrfach angemahnt wurde. Erst im Oktober 2024 berief Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die neuen Mitglieder für vier Jahre.
Doch wer sind eigentlich die Personen, die, wie vom Gesetzgeber gefordert, über „ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche, medizinische und rechtliche Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft“ beraten, „die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben“?
Ursprünglich als Nationaler Ethikrat gegründet, agiert der Deutsche Ethikrat auf Grundlage des 2007 verabschiedeten Ethikratgesetzes.
Die Mitglieder sind unabhängig und werden je zur Hälfte vom Bundestag sowie von der Bundesregierung für höchstens zwei Amtsperioden berufen.
Da die Mitglieder von den im Bundestag vertretenen Parteien vorgeschlagen werden, fällt die Wahl meistens auf Personen, die die jeweiligen parteipolitischen Interessen vertreten und ähnliche Weltanschauungen teilen.
Schließlich steht die ethische Deutungshoheit der Bundesrepublik auf dem Spiel. Egal ob Juristen, Naturwissenschaftler, Informatiker oder Mediziner – die Politik nutzt stets ihr Vorschlagsrecht, um Einfluss auf die Zusammensetzung und damit die Empfehlungen des Ethikrates sicherzustellen.
Heftige Kontroversen in Covid-19-Pandemie
Das Verfahren erinnert dabei an die Entscheidungen der Richterwahlausschüsse auf Landes- und Bundesebene. Da der von der AfD vorgeschlagene Gynäkologe Ronald Weikl vom Bundestag abgelehnt wurde, umfasst der Ethikrat gegenwärtig nur 25 statt der vorgesehenen 26 Mitglieder.
Der Ethikrat beschäftigte sich in den letzten Jahren immer wieder mit wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen wie Inzestverbot, Suizidalität, Klimagerechtigkeit, aber auch mit Themen wie künstliche Intelligenz und Impfpflicht – Letzteres führte während der Covid-19-Pandemie zu heftigen Kontroversen.
Im Deutschen Ethikrat sollten laut Gesetzgeber unterschiedliche ethische Ansätze und ein plurales Meinungsspektrum vertreten sein. Ein Blick auf die 25 Mitglieder zeigt jedoch, dass dieser Anspruch auch in der aktuellen Besetzung des Gremiums nur unzureichend erfüllt wird. Auffallend ist, dass weiterhin eine große Anzahl Theologen vertreten ist, während mit Mark Schweda nur ein einziger Philosoph im Gremium sitzt. Das wirft die Frage auf, ob der Ethikrat noch zeitgemäß und repräsentativ für die deutsche Gesellschaft ist.
Zu den für eine erste oder zweite Amtszeit berufenen Mitgliedern gehören die Regionalbischöfin Petra Bahr, die Theologin Kerstin Schlögl-Flierl sowie Muna Tatari, eine islamische Theologin, die mit einer Arbeit zum Thema Gott und Mensch im Spannungsverhältnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit promoviert hat.
Die Amtszeit von Elisabeth Gräb-Schmidt, einer weiteren Theologin, ist noch nicht abgelaufen. Zudem soll der katholische Moraltheologe Jochen Sautermeister im Februar kommenden Jahres dem dann ausscheidenden Armin Grunwald nachfolgen.
Abgesehen von diesen fünf Theologen gibt es noch mehrere Mitglieder, die explizit dem religiösen Spektrum zuzuordnen sind. So studierte der von der FDP vorgeschlagene Nils Goldschmidt Theologie und Wirtschaftswissenschaften, war Gastprofessor für christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und ist Vorstandsmitglied der Görres-Gesellschaft.
Diese Gesellschaft hat es sich zum Ziel gesetzt, wissenschaftliches Leben in verschiedenen Fachgebieten zu fördern, „im Bewusstsein ihres im katholischen Glauben wurzelnden Gründungsauftrages“.
Annette Riedel hat an der Evangelischen Fachhochschule für Sozialwesen in Freiburg im Breisgau studiert, leitete später eine evangelische Berufsschule und ist seit 2018 Mitglied in der Ethikkommission des Johanniterordens. Der Mediziner Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, betrachtet ethische Fragen ebenfalls aus einer religiösen Perspektive.
Das religiöse Spektrum geht noch weiter: Der von der CDU vorgeschlagene Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing hat die Besonderheiten des Arbeitsrechts, wie es für kirchliche Arbeitgeber, die Diakonie und die Caritas gilt, wiederholt erklärend verteidigt. Er hat an der Ausarbeitung der liberalisierten „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ mitgewirkt.
Der Palliativmediziner Winfried Hardinghaus, der vor allem an katholischen Krankenhäusern tätig war, lehnt Suizidbeihilfe entschieden ab. Der Soziologe Armin Nassehi, ein bekennender Christ, ist überzeugt: „Es war aber eben auch Gottes Wille, dass der Mensch frei ist. Gott hat so der Zeit und der Geschichte einen unvorhersagbaren Verlauf gegeben. So ist eine von dem Allmächtigen gewollte Unbestimmtheit in seine Schöpfung gekommen.“
Die Kölner Strafrechtlerin Frauke Rostalski hat zwar keinen explizit religiösen Hintergrund, vertritt jedoch eine strikte Position gegen die Streichung des § 218 (Abtreibungsparagraf) aus dem Strafgesetzbuch. Zudem hat sie wiederholt Einwände gegen das geplante Verbot der sogenannten Gehsteigbelästigung formuliert, das Aktivisten gesetzlich verbieten soll, Frauen auf dem Weg zu einer Abtreibung auf der Straße anzusprechen, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen. By the way: Frauke Rostalski zog auf dem FDP-Ticket in den Ethikrat ein.
Teile der Bevölkerung unberücksichtigt
Nahezu die Hälfte der Bundesbürger ist gegenwärtig konfessionslos. Dieser Umstand wird bei der Besetzung des Deutschen Ethikrats jedoch völlig ignoriert. Gerade bei kontroversen Themen wie der Sterbehilfe oder Fragen zu reproduktiven Rechten sollte auch die Perspektive konfessionsloser und säkularer Menschen vertreten sein.
Ulla Wessels, die Praktische Philosophie an der Universität des Saarlandes lehrt und Vorstandsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung ist, wäre beispielsweise eine gute Wahl gewesen. Ohne die Berücksichtigung dieser Stimmen entsteht das Risiko ethischer Empfehlungen, die die Interessen und Überzeugungen eines großen Teils der Bevölkerung unberücksichtigt lässt.
Es ist zweifellos wichtig, ethische Fragen aus naturwissenschaftlicher und medizinischer Perspektive zu beurteilen, doch ebenso bedeutsam sind philosophische Diskurse, die frei von religiösem Einfluss sind und sich auf eine rationale, überkonfessionelle Basis stützen.
Die Ethik ist ein Teilbereich der Philosophie. Sie setzt sich rational mit den Grundlagen und Bewertungen menschlichen Handelns auseinander. Gerade angesichts der komplexen und oft polarisierten Debatten unserer Zeit – von Sterbehilfe und Embryonenforschung bis hin zu digitalen Rechten und künstlicher Intelligenz – bedarf es eines Ethikrats, der unterschiedliche weltanschaulichen Ansätze ausgewogen berücksichtigt.
Nur so kann das Gremium wirklich als Stimme der Gesellschaft agieren und fundierte Empfehlungen bieten, die sowohl Mitglieder religiöser Gemeinschaften als auch säkulare Teile der Bevölkerung ansprechen.
Wenn die Parteien bei der Kandidatenkür zum Ethikrat jedoch weiterhin ausschließlich eigene Interessen verfolgen und konfessionelle Positionen übergewichten, läuft dieses bedeutende Gremium Gefahr, seine Legitimation und gesellschaftliche Akzeptanz zu verlieren.
Um in einer pluralistischen Gesellschaft wirklich repräsentativ und glaubwürdig zu sein, sollte der Ethikrat die Vielfalt ethischer Standpunkte umfassender widerspiegeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS