Krise der Grünen: Das linksgrüne Dilemma
Der Richtungsstreit droht die Grünen zu zerreißen. Eine linke Abspaltung? Schwierig. Nützen dürfte das Ganze den Konservativen.
E s ist zum Verzweifeln, aber immerhin leicht zu erklären, warum sich die Konservativen im Kampf um die Macht viel leichter tun als die progressiven Kräfte. Ihre bewährte Zauberformel heißt „Geschlossenheit zeigen“. Während sich die Rechtsorientierten meistens zusammenraufen, wenn es darauf ankommt, neigen alle irgendwie links Orientierten seit jeher zur Spaltung, wenn es schwierig wird. Selten wurde dieser Kontrast so deutlich wie in dieser Woche bei den Grünen und der CDU.
Hier heilloses Chaos, dort eine kitschige Familienzusammenführung: Am selben Tag, an dem die Grünen-Parteispitze ihren Rücktritt und die Führung der Grünen Jugend ihren Austritt verkündeten, zelebrierte die CDU ihre Versöhnung mit Angela Merkel. Frisch gestärkt durch seine Kür zum Kanzlerkandidaten überwand sich Friedrich Merz endlich, die Verdienste der Ex-Kanzlerin halbwegs angemessen anzuerkennen, und bekam dafür ein Geschenk, mit dem er wohl selbst nicht mehr gerechnet hatte: die öffentliche, uneingeschränkte Unterstützung seiner Erzrivalin.
Wer’s glaubt, dass die beiden sich jetzt lieb haben, wird mit den netten Bildern selig. Aber für die Union reicht es, dass sich auch die verbliebenen Merkelianer brav hinter Merz einreihen.
Bei den Grünen sind sie sich nur in einer banalen Analyse einig: So wie bisher in der Ampel kann es nicht weitergehen. Zähneknirschend mitzuregieren, aber wenig durchzusetzen und bei jedem Kompromiss laut aufzustöhnen, hat zum endlosen Ampelstreit und zum Absturz aller Beteiligten geführt. Doch daraus ziehen verschiedene Grüne verschiedene Konsequenzen, die alle nachvollziehbar, aber miteinander kaum zu vereinbaren sind. Linke Grüne wünschen sich mehr Mut.
Die Lücke ist links
Die Regierungsgrünen rund um Robert Habeck wollen aber künftig noch weniger mit den Zähnen knirschen und mit Blick auf schwarz-grüne Machtoptionen noch kompromissbereiter werden. Rein wahltaktisch ist Habecks Strategie naheliegend. Nie waren die Grünen so stark wie mit dem Ultrarealo-Kurs in Baden-Württemberg und Hessen. Doch er reißt links eine Lücke auf.
Vielen ökologisch und menschenrechtlich Engagierten dreht sich jetzt schon der Magen um. Sie könnten wie die Grüne Jugend den Grünen den Rücken kehren. Nur wohin? Der Bedarf für eine standhaft sozialökologische Partei links von den Grünen ist zweifellos da. Aber bis zur Bundestagswahl wird die Zeit knapp. Jetzt noch die Linkspartei wiederzubeleben oder eine neue Formation zu bilden, die über 5 Prozent kommt, ist nicht unmöglich, aber schwierig. Leider ist zu befürchten, dass von einer Grünen-Spaltung eher die geschlossenen Konservativen profitieren.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen