Streitgespräch über Klimaschutz: Soll die taz noch abheben?

Die taz berichtet scharf über die Klimakrise und bietet gleichzeitig Flugreisen an. Ein Streitgespräch zwischen Stefan Müller und Christian Jakob.

Ein Flugzeug fliegt über den Wolken Richtung Sonnenuntergang.

So weit kommt’s noch! Aber keine Sorge, eine taz-Airline wird erst gegründet, wenn es klimaneutrale Flüge gibt Foto: Foto [Montage]: Adobe Stock, taz

taz: Herr Müller, warum erpressen Sie die taz?

Stefan Müller: Eigentlich ist das keine Erpressung. Dafür müsste ich mir ja einen Vorteil verschaffen wollen. Der einzige Vorteil für mich wäre, dass ich mich nicht mehr ärgern müsste, wenn ich die Eigenanzeigen für taz-Flugreisen in der Zeitung sehe.

taz: Sie wollen, dass die taz in ihren „Reisen in die Zivilgesellschaft“ keine Ziele mehr anbietet, die üblicherweise mit Flügen verbunden sind – wegen des Klimas. Deshalb haben Sie uns gedroht.

Professor für Linguistik an der Humboldt-Universität Berlin, taz-Genosse und gegen Flugreisen.

Müller: Ursprünglich war es ein Geschenk, das ich im April angekündigt habe. Ich hatte in meinem Netzwerk angefangen, Leute zu suchen, die Genossenschaftsanteile der taz zeichnen würden, wenn das mit den Flugreisen aufhört. Ich habe 10.000 Euro in Aussicht gestellt. Mittlerweile wollen 52 Menschen mitmachen, es sind bereits 26.000 Euro. Als in der taz trotzdem weiter für Flugreisen geworben wurde, habe ich mir gesagt: Gut, dann andersherum. Ich habe der taz geschrieben und ihr noch einmal die damals schon 14.500 Euro angeboten, aber gleichzeitig auch damit gedroht, meine Follower auf Mastodon und die Scientists for Future in Berlin und Brandenburg dazu aufzurufen, ihre taz-Abos vom politischen Preis herunterzustufen.

taz: Mit dem können Abon­nen­t*in­nen freiwillig mehr zahlen, um anderen einen vergünstigten Preis zu ermöglichen.

Reporter im Recherche­ressort der taz und betreut die taz-Reise nach Togo aus Überzeugung.

Müller: Dann gab es noch die Idee, dass irgendwer von uns mit jeder neuen Werbung für eine taz-Flugreise einen Genossenschaftsanteil kündigt.

taz: Wollen Sie der taz schaden?

Müller: Nein, nein! Das tut mir ja selbst weh. Ich lese die taz seit der Wende, zuerst die frisch gegründete Ost-taz, die es nur kurz gab. Da standen Sachen drin, die es in den noch erscheinenden DDR-Zeitungen nicht gab. Als ich dann eigenes Geld verdient habe, bin ich taz-Genosse geworden. Ich will meiner Zeitung nicht schaden, ich will sie besser machen! Es kann doch nicht sein, dass Sie hier die beste Klimaberichterstattung machen, die es gibt, und dann auf der nächsten Seite die taz-Reise nach Togo bewerben. Das passt doch nicht zusammen.

Der Sprachwissenschaftler Stefan Müller spricht mit seinem Gegenüber.

Stefan Müller ist Professor für Linguistik an der Humboldt-Universität Berlin, taz-Genosse und gegen Flugreisen Foto: Wolfgang Borrs

taz: Christian, du leitest die Reise nach Togo, die es schon mehrmals gab und die auch dieses Jahr wieder angeboten wurde. Wie findest du Herr Müllers Vorgehen?

Die taz hat ein kommerzielles Reise­angebot, allerdings mit einem spezifischen Ziel: den Gästen einen Austausch mit der Zivilgesellschaft am jeweiligen Zielort zu bieten. Erfahrene taz-Journalist*innen übernehmen die Reiseleitung und öffnen den Ur­lau­be­r*in­nen ihr Netzwerk.

Es geht dabei mal ins Ruhrgebiet, mal in die Oberlausitz oder nach Brüssel – aber eben auch nach Marokko, nach Istanbul oder nach anderen Fernzielen. Die Anreise ist in der Buchung in der Regel nicht enthalten, theoretisch könnten die Reisenden sich auch selbst für Alternativen zum Flugzeug entscheiden. Die Praxis ist das aber nicht.

Die im Streitgespräch erwähnte Togo-Reise findet in diesem Jahr übrigens trotz Angebot doch nicht statt – allerdings nicht aus ökologischen Gründen, sondern wegen fehlender Nachfrage.

Der Kopf hinter den Reisen in die Zivilgesellschaft ist Thomas Hartmann. Er hat die taz mitgegründet und war von 1984 bis 1987 Chefredakteur.

Christian Jakob: Ich finde das Anliegen nachvollziehbar. Wir haben uns seine Frage natürlich auch schon gestellt, aber unsere Abwägung ist anders ausgefallen. Ich fand die Idee von Herrn Müller aber befremdlich: Ich schmeiße euch so viel Geld vor die Füße, das könnt ihr als arme Zeitung nicht ablehnen. Und wenn ihr nicht mitspielt, sorge ich dafür, dass ihr weniger habt. Wenn Sie schon taz-Genosse sind, hätten Sie ja auch einfach einen Antrag auf der nächsten Genossenschaftsversammlung stellen können. Dann müssten Sie dort eine Mehrheit für Ihr Anliegen hinter sich bringen.

Müller: Stimmt, das wäre auch eine Idee.

taz: Es gibt bei den taz-Reisen schon deutlich weniger Flüge. Von 30 Angeboten liegen nur noch 6 an Zielen, die man üblicherweise mit dem Flugzeug erreicht. Im Jahr 2019 waren es noch 18 von 28. Reicht Ihnen das noch nicht?

Müller: Wir müssen bei den Emissionen auf null kommen, schlimmer noch, eigentlich auf minus irgendwas. Es gibt jetzt schon diese ganzen Katastrophen, wir sind bei 1,2 Grad Erderhitzung. Und nichts deutet darauf hin, dass wir die im Pariser Klimaabkommen vereinbarte Begrenzung von 1,5 Grad schaffen. Es ist verachtenswert, wenn man jetzt noch Leute dazu bringt, dass sie fliegen.

Christian Jakob ist Reporter der taz und spricht mit seinem Gegenüber.

Christian Jakob ist Reporter im Recherche­ressort der taz und betreut die taz-Reise nach Togo aus Überzeugung Foto: Wolfgang Borrs

taz: Christian, du hast im vergangenen Jahr unser Projekt Klimasabotage koordiniert, bei dem wir über fossile Lobbyarbeit berichtet haben. Sabotierst du als Togo-Reiseleiter selbst das Klima?

Jakob: Herr Müller hat mit großen Teilen seiner Kritik recht. Aber es gibt gute Gründe dafür, den Austausch zwischen den verschiedenen Teilen der Welt aufrechtzuerhalten. Fliegen ist ein riesiger zivilisatorischer Fortschritt, der eine völlig andere globale Gesellschaft hervorgebracht hat. Ich glaube, dass ganz viel von dem, was die Weltgemeinschaft heute ausmacht, über persönlichen Kontakt zustande kommt. Und dass es das wert sein kann, zu fliegen.

taz: Diesem schwer erfassbaren Effekt des menschlichen Austauschs steht die sehr gut messbare und nachgewiesene Überkonzentration von CO2 in der Atmosphäre gegenüber. Kann man so wirklich noch legitimieren, dass man die klimaschädlichste Fortbewegungsform nutzt?

Jakob: Wenn es wirklich einen Mehrwert gibt, ja. Geplante Recherchereisen habe ich zum Beispiel schon verworfen, wenn es ähnliche Artikel schon irgendwo in anderen Medien gab – oder ich habe lange Wege mit Zug und Schiff in Kauf genommen, zum Beispiel nach Malta. Aber manchmal geht es nicht.

taz: Bei der Togo-Reise zum Beispiel?

Jakob: Der Austausch mit Menschen aus der Zivilgesellschaft des Globalen Südens ist etwas, das ohne Fliegen fehlen würde. Wir haben in Togo Menschen getroffen, die schon mal in Europa waren und abgeschoben wurden. Und solche, die sich gerade überlegten, erstmals durch die Wüste über Niger und Libyen nach Italien zu gehen. Wir haben eine Institution besucht, die auf Graswurzelebene ein europäisch-westafrikanisches Netzwerk zur Beobachtung von Migrationsbewegungen aufgebaut hat. Das andere Hauptthema der Reise ist die deutsche Kolonialgeschichte.

Müller: Ich bin Wissenschaftler, ich habe viele internationale Konferenzen organisiert. Ich weiß, was Austausch ist – und ich hasse Online-Konferenzen. Mit solchen Kooperationen funktioniert Wissenschaft, und sie sind ein Kriterium bei der Wissenschaftsevaluation. Dennoch bin ich seit 2017 nirgendwo mehr hingeflogen und habe mich 2019 verpflichtet, überhaupt nicht mehr zu fliegen. So geht es halt nicht mehr, das ist vorbei. Wir können keine Flugreisen mehr unternehmen, auch wenn wir tolle Kontakte knüpfen wollen.

taz: Wir würden aber wohl eine schlechtere Zeitung machen, wenn wir nicht Po­li­ti­ke­r:in­nen zu Staatsbesuchen begleiten oder internationale Verhandlungen verfolgen würden, gelegentlich eben im Ausland und mit dem Flugzeug.

Müller: Ja, das sehe ich ein – und Ihre Geschichten ermöglichen vielen anderen einen Einblick in die Welt, die dann wiederum nicht selbst fliegen müssen. Ich fand Ihre Reportage aus Mauretanien neulich zum Beispiel sehr gut, Herr Jakob!

taz: Da machen Sie einen Unterschied zu den taz-Reisen?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Müller: Bei denen geht es mir nicht nur um den CO2-Fußabdruck der einzelnen Reisenden, sondern auch um die Außenwirkung des ganzen Projekts. Sie bewerben Flugreisen mit Ihrer guten taz-Marke und vermitteln, es sei schon okay, nach Marokko oder nach Togo zu fliegen. Man unterscheidet ja den CO2-Fußabdruck, also die anfallenden CO2-Emissionen, und den CO2-Handabdruck. Das ist die positive Wirkung, die man erzielt, wenn man andere Leute oder besser noch ganze Organisationen oder Regierungen dazu bringt, ihren Fußabdruck zu senken. Aber was die taz mit den Reiseangeboten macht, ist das Gegenteil davon. Sie bringen ja Leute dazu zu fliegen! Sie haben einen negativen Handabdruck!

taz: Wenn man davon ausgeht, dass eine Tonne CO2-Ausstoß pro Mensch und pro Jahr eine klimagerechte Menge ist, dann liegt auf der Hand, dass nur noch wenig Flüge drin sind. Wie sollte man entscheiden, wer noch wohin fliegen darf?

Müller: Fliegen zu verbieten funktioniert wahrscheinlich nicht. Man müsste im Prinzip einen exponentiell ansteigenden Preis für Flugmeilen haben. Dann könnte man ungefähr sagen: Okay, du darfst einmal fliegen – aber beim nächsten Mal kostet es extra. Diese Einnahmen könnten in Klimaschutz-Maßnahmen fließen.

Jakob: Um das deutlich zu machen: Ich hätte gar kein Problem damit, wenn die Politik sehr viel restriktiver mit dem Fliegen umgehen würde. Wenn zum Beispiel jeder nur ein bestimmtes Kontingent an Flugreisen hätte.

taz: Ein interessanter Aspekt beim Fliegen ist ja auch, dass es das Verkehrsmittel ist, bei dem die Ungleichheit am größten ist: 80 Prozent der Menschheit haben noch nie im Flugzeug gesessen, und selbst in Deutschland sind im vergangenen Jahr 55 Millionen Menschen mindestens zwölf Monate gar nicht geflogen. Sehr wenige, tendenziell wohlhabende Viel­flie­ge­r*in­nen machen internationale Geschäfte, bilden sich weiter, tauschen sich aus, erholen sich – auf Kosten aller anderen.

Müller: Für mich hat ein Aspekt bei den taz-Reisen noch etwas Kritisches: Man fährt da hin und guckt die Leute an, die können aber nicht da weg. Da würde ich mich als weißer Mensch irgendwie schämen. Nicht als berichtender Journalist, aber als Tourist, der kommt, um sich das Elend anzugucken.

Jakob: Der Anspruch ist natürlich ein anderer, nämlich zu sagen: Ich will verstehen, wie es hier ist. Ich will verstehen, warum es hier so läuft. Und ich will verstehen, was ich damit zu tun habe. Ich glaube auch, dass dieser Wunsch vor Ort als aufrichtiges Interesse geschätzt wird. Und es hat einen starken Multiplikatoreneffekt, die Erfahrungen der Reisenden strahlen auch auf das Umfeld aus. Das macht etwas mit ihnen und mit der gesellschaftlichen Stimmung insgesamt.

taz: Wirklich?

Jakob: Ja. Es gibt ja beispielsweise seit Jahrzehnten in Westeuropa eine starke entwicklungspolitisch aktive Szene, weil es persönlichen Austausch gegeben hat, weil die Menschen zum Beispiel nach Nicaragua gefahren sind. Ich glaube, dass das in deren Biografien nachgewirkt und dazu geführt hat, dass zum Beispiel in Deutschland eine Fair-Trade-Bewegung und Solidaritätsinitiativen entstanden sind. All das speist sich ja daher, dass man da war, Dinge gesehen hat, dass man mit den Leuten geredet und sich davon hat berühren lassen.

Müller: Dazu kann man doch zum Beispiel auch in der taz eine Reportage lesen. Die Frage ist doch: Befinden wir uns in einer Notlage – oder machen wir lieber noch einen Eine-Welt-Laden auf?

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