Autonomes Hausprojekt in Berlin: Rigaer Straße 94 vor dem Aus
Erfolge der Eigentümer vor Gericht und Nahost-Streit: Alt-Mieter wollen sich nicht weiter gegen Räumungsklagen wehren – dem Projekt droht das Aus.
Berlin taz | Seit 34 Jahren trotzt die Rigaer Straße 94 der Aufwertung im Friedrichshainer Nordkiez und den Auflösungserscheinungen der autonomen Szene. Nun aber steht das seit Jahren umkämpfte Hausprojekt, das als linksradikales Symbol weit über Berlin hinaus bekannt ist, vor dem Aus.
Nach Informationen der taz will eine Gruppe ehemaliger Bewohner:innen, die immer noch im Besitz von Mietverträgen sind, auf eine weitere juristische Gegenwehr gegen die Räumungsklagen des Eigentümers verzichten. Betroffen wäre ein Großteil der Wohnungen im Seitenflügel und Hinterhaus – der Kern des linksradikalen Projekts. Hintergrund sind sowohl juristische Risiken angesichts einer neuen Linie der Berliner Gerichte als auch ein Streit über den Nahostkonflikt.
Wie Alexander von Aretin, einer der beiden Anwälte der Eigentümerfirma Lafone Investments Limited, der taz sagte, sei man aktuell „in Gesprächen mit Mietern und deren Vertretern“. Dabei gehe es um die Unterzeichnung von „Aufhebungsverträgen“.
Die Alt-Mieter:innen, die seit 1992 im Besitz der Mietverträge sind, wollen demnach darauf verzichten, weiterhin gegen die gegen sie gerichteten Räumungsklagen vorzugehen. Die laufenden Berufungsverfahren vor dem Landgericht – in erster Instanz hatte das Amtsgericht Kreuzberg noch gegen die Räumungsklagen entschieden – würden damit beendet werden.
Juristischer Wind hat sich gedreht
Nach Jahren der juristischen Auseinandersetzungen, in denen die Briefkastenfirma Lafone viele Niederlagen einstecken musste, hätte sie die angestrebten Räumungstitel. „Wir hoffen, dass da ein Ende in Sicht ist“, sagt von Aretin, der die Eigentümer in öffentlich-rechtlichen Verfahren, aber nicht in den Räumungsverfahren vertritt. Eine endgültige Einigung der Parteien und eine Anerkennung des Landgerichts stehe aber noch aus. Doch von Aretin gibt sich zuversichtlich: „Wenn man da lange nicht mehr lebt, ist es nachvollziehbar, dass man das beenden will.“
Ende 2022 schien der Konflikt noch zugunsten des Hausprojekts beendet zu sein. Damals hatte das Kammergericht als höchstes Berliner Gericht eine Berufung der Eigentümer gegen eine vor dem Landgericht wiederholt verlorene Räumungsklage gegen die Rigaer 94-Kneipe Kadterschmiede zurückgewiesen.
Die Prozessfähigkeit der Lafone stand infrage: Weder die Beglaubigung des damaligen und inzwischen ausgetauschten Geschäftsführers, ein eingesetzter Strohmann, noch die Prozessvollmacht für den Anwalt Markus Bernau sei glaubhaft gemacht worden. Eine Beschwerde der Eigentümerseite vor dem Bundesgerichtshof blieb erfolglos. Das Konstrukt der Briefkastenfirma, hinter der der Berliner Geschäftsmann Leonid Medved stehen soll, war für die Eigentümerseite zum Problem geworden.
Inzwischen aber sieht dieselbe Kammer des Kammergerichts die Dinge anders. In einem Beschluss vom Juli wird die Unternehmenstätigkeit der britischen Firma und ihrer Geschäftsführung aufgrund neuer Glaubhaftmachungen erstmals nicht mehr angezweifelt.
Zudem heißt es: „Die Klägerin hat auch substantiiert dargelegt und nachgewiesen, ihren Prozessvertreter wirksam mit der Prozessführung beauftragt zu haben.“ Im Ergebnis entschied das Gericht, dass eine beklagte vermeintliche Bewohnerin eine Waschküche im Hinterhaus der Rigaer 94 herausgeben müsse. Von der Person waren bei einer polizeilichen Begehung des Hauses im Oktober 2021 persönlichen Unterlagen und Dokumente in dem Raum gefunden worden. Das Urteil ist rechtskräftig. Für alle weiteren Klagen bedeutet das eine erhöhte Gefahr, dass weitere Räumungsurteile ergehen.
Mehr als Kostenrisiko
Für die betroffenen Bewohner:innen wie Alt-Mieter:innen geht damit das Risiko einher, nicht nur Prozesse zu verlieren und Gerichtskosten tragen zu müssen, sondern auch schadensersatzpflichtig zu sein. Zuletzt zweifelte das Landgericht in zwei weiteren Verfahren gegen Mieter:innen des Vorderhauses die Rechtmäßigkeit der Lafone nicht an. Eine Mieterin wurde dazu verurteilt, 7.000 Euro Miete nachzuzahlen.
Auch gegen den Sportraum des Hauses gab es jüngst ein Räumungsurteil, wie die Rigaer 94 auf ihrer Website erklärte. Dort heißt es auch: „Seit einigen Monaten scheint die Justiz einen anderen Kurs einschlagen zu wollen.“ Gleichwohl gibt man sich kämpferisch, wie eh und je: „Auch wenn Richter:innen also entscheiden sollten, dass ein Briefkasten, irgendein:e Schlipsträger:in oder wer auch immer Eigentümer:in unseres Hauses sein sollen, wollen wir daran erinnern, dass wir uns nicht an ihre Spielregeln halten werden.“
Auf die Füße fällt der Rigaer 94 aber wohl etwas anderes. Am 1. November veröffentlichte das Haus auf seiner Website einen vor allem in der linskradikalen Szene vielfach scharf kritisierten Beitrag unter der Überschrift: „Einige Gedanken zum Ausbruch aus dem größten Gefängnis der Welt“, womit das Hamas-Massaker am 7. Oktober auf Israel gemeint war. Darin heißt es: „Der deutsche Staat, Politiker*innen und manchmal sogar unsere Mitstreiter*innen sorgen sich sehr darum, wie nah oder fern man sich zu den Ideen der Hamas positioniert.“
Dem Vernehmen nach hat die Haltung des Hauses, in dem auch der Livestream des abgebrochenen Palästina-Kongresses übertragen werden sollte, auch bei einigen Alt-Mieter:innen für Unmut gesorgt. Auch dies soll dazu beigetragen haben, nicht mehr den Kopf in juristisch hoch risikoreichen Verfahren für die aktuellen Bewohner:innen hinhalten zu wollen.
Leser*innenkommentare
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Libuda
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Moira
Mir würde es auch schwerfallen für diese "anti-imperialistische" Einseitigkeit den Kopf hin zuhalten. und ich hoffe, dass die Altmieter:innen im Fall des Falls nicht allein im Regen stehen. Denn Verteidigungswert ist das Projekt, bei welchem es sich immerhin um Freiraum handelt m.E. dennoch. Durch sein bloße Verschwinden würde die ideelle Ausrichtung der Linken keinesfalls logischer.
Moira
Es wäre tragisch und ein fader Schlussstrich unter das Kapitel "Nicht völlig deprimierendes und unbezahlbares Berlin" sollten die Aufhebungsverträge mit den Altmieter*innen zustande kommen. Aber wie kann es eigentlich sein, dass sich die gerichtliche Praxis in Sachen Mietrecht so grundlos oder treffender: trotz sich verschärfender Situation für Mieterinnen dreht? Wer setzt die Richter und Richterinnen nach welchen Gesichtspunkten ein? Könnte es da ein unbeleuchtete Agenda geben? Oder sollte die Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit (inklusive Lobbyismus) regelmäßig und gründlich überprüft werden? Fest steht für mich jedenfalls, dass die Begründungen der Gerichtsentscheidungen, gerade im Mietrecht, viel zu wenig publiziert und thematisiert werden.
Die andere Frage ist, warum es die junge Linke eigentlich nicht auf die Reihe bekommt, den Nahostkonflikt und die Geschehnisse um den 7. Oktober differenziert zu betrachten. Die rücksichtslose Bombardierung, die illegalen Siedlungen in der Westbank u.v.m. muss angeprangert werden, ohne den Überfall oder Islamismus zu relativieren und sich überspitzt gesagt, von der Hamas unterwandern zu lassen.
Paul Meier
Schade um die günstigen Wohnungen aber Respekt an die alten Mieter*innen. Ihre Konsequenz ist begrüßenswert und man würde sich das von mehr Menschen wünschen!
Fran Zose
Es ist den Altmietern hoch anzurechnen, dass sie nicht gemein machen wollen mit den verqueren Aussagen einer neuen radikalen vermeintlich linken Kultur die noch die größten Verbrechen zu relativieren sucht wenn sie denn nur von der „richtigen“ Seite begangen werden. Vielleicht keine edle Regubg, aber sollt es so kommen kann ich mich einer gewissen Schadenfreude nicht verschließen.
Dr. McSchreck
Wenn das damalige Urteil allein auf der fehlenden Vollmacht beruhte bzw. der nicht nachgewiesenen Geschäftsführervertretung, dann ist es eben nur zu diesem Punkt rechtskräftig geworden und der Kläger kann einfach mit besseren Nachweisen erneut klagen...
Land of plenty
Doch, ich finde schon:
Mit mehr Antiimperialismus würde das Hausprojekt erhalten bleiben!
weather2018
@Land of plenty Ich glaube das ist vielleicht mit ein Problem.
Die alten Kampfbegriffe wie Antiimperialismus , oder noch besser Schlipsträger:in, sind so aus der Zeit gefallen, das damit nur noch die eigene Bubble und oder Ältere angesprochen wird.
Was fehlt ist frischer Wind in der linken Bewegung.
Es muss sich ja Niemand auf TicToc, etc. zum Hampelmann machen, aber etwas näher an der nächsten Generation würde schon helfen.
Janix
Man konnte den Gazastreifen schon als Gefängnis bezeichnen. Israels Militär als Wachleute am Zaun, und drinnen dann noch die Hamas, um es vollends unangenehm zu machen.
Man hätte beim Ausbruch aber halt den Gewaltausbruch unterlassen müssen. Besser Blumen verteilen mit der Bitte, wieder menschlicher zu werden
Zum Hauptthema: Haben die keinen Detektiv engagieren können, der die Geldquellen jenes Eigentümers mal aufblättert? Ist es Geldwäsche, Blutdiamanten, Öl, Wuchermiete, ... irgendetwas müsste doch zu finden sein.
Leider, leider müsste man es wahrscheinlich so machen.
Riga in Frieden!
Chris Demian
@Janix "Ist es Geldwäsche, Blutdiamanten, Öl, Wuchermiete, ... irgendetwas müsste doch zu finden sein. "
Weil bekanntlich ein Hausbesitzer grundsätzlich Dreck am Stecken hat, gell?
Die Gefängnismetapher im Übrigen geht völlig fehl. Warum sollte Israel nicht seine Grenze zu Gaza schützen oder meinetwegen völlig abriegeln? In Wirklichkeit ist es nicht einmal der Fall und Ägypten hat die einzig hermetische Grenze zu Gaza. Aber im Augenmerk des Weltgewissens muß ja Israel stehen. Es war übrigens die Hamas, die angriff und die territoriale Integrität des Nachbarn verletzte (von der Verletzung jeglicher moralischer Standards mal abgesehen). Brechen aus den Gefängnissen neuerdings die aus, die die Gefängnisse regieren? Nur um nochmal die Sinnlosigkeit der Metapher zu zeigen.
Mit der Rigaer hat es freilich wenig zu tun, außer der finalen und wirklich grandiosen Pointe, im Kampf gegen den Imperialismus erlagen die Antiimperialisten im inneren Kampf um das Verhältnis zur Hamas... Au Backe.
Dee Kay
@Chris Demian ja, ein hausbesitzer mit einem dubiosen geflecht aus briefkastenfirmen hat grundsätzlich dreck am stecken.
Troll Eulenspiegel
Die Rigaer wird weiterleben. Sie ist das Symbol gegen Gentrifizierung, gegen Vertreibung von Menschen und gegen Kapitalismus.
Miethaien muss das Handwerk gelegt werden!
Und ja, gerne ohne Antisemitismus.
weather2018
@Troll Eulenspiegel Nur gerne?
Nein ohne Antisemitismus!!
Jim Hawkins
" „Einige Gedanken zum Ausbruch aus dem größten Gefängnis der Welt“, womit das Hamas-Massaker am 7. Oktober auf Israel gemeint war. Darin heißt es: „Der deutsche Staat, Politiker*innen und manchmal sogar unsere Mitstreiter*innen sorgen sich sehr darum, wie nah oder fern man sich zu den Ideen der Hamas positioniert.“"
Ja, ja, die einen nah, die anderen fern. Im Text auf der Webseite ist noch die Rede von einer "künstlich geschaffenen Siedler*innengesellschaft".
Im Gegensatz wohl zur natürlichen, erdigen, palästinensischen Volksgemeinschaft.
Wer so einen Mist verzapft, ist nicht links, es handelt sich wohl eher um antisemitische Hausbesetzer.
Deren Wohlergehen ist mir so schnuppe wie das von Nazis.
Albert Spieß
@Jim Hawkins Jede*r linksradikale Mensch, ob Kommunist*in oder Anarchist*in, ist für die Abschaffung aller Staaten, völlig egal, ob die jetzt "organisch' gewachsen oder 'künstlich' entstanden sind. Sowohl die große Teile der marxistischen als auch die anarchistische Kritik sehen jeden modernen Nationalstaat als künstliches Konstrukt an, dass das Gegenteil einer frei organisierten Gesellschaft darstellt. Die Genoss*innen in der Rigaer teilen ziemlich sicher diesen Ansatz und sind also genauso für die Abschaffung von Albanien, Taiwan, Südsudan und Argentinien wie auch für die von Israel oder einem palästinensischen Nationalstaat.
"[K]ünstliche Siedler*innengemeinschaft" ist eindeutig keine passende Formulierung zur Beschreibung der jüdischen Siedler*innen und hat eben antisemitische Anleihen, aber iwo ist diese Bewegung schon vergleichbar mit dem Phänomen der Gentrifizierung: Leute mit staatlichem Backup vertreiben ärmere Bevölkerungensgruppen. Ob das jetzt aus reiner Profitgier oder jüdischem Ethnonationalismus passiert ist doch egal, es ist einfach unmenschlich. Niemand ist nur Täter*in oder nur Opfer letztlich, aber es wird in einer hierarchisierten Gesellschaft immer Machtasymmetrien geben.
Rudolf Fissner
@Jim Hawkins "natürlichen, erdigen, palästinensischen Volksgemeinschaft" ?
Was soll diese Vearchtung gegenüber der ürsprünglichen Bevölkerung, die dort vertrieben wurde und in deren gestohlenen Häuser und Wohnungen nun Zugewanderte aus anderen Regionen der Welt wohnen?
Man kämpft nicht gegen Antisemitismus indem man eine ganze Bevölkerung herab setzt.
Chris Demian
@Rudolf Fissner "...gegenüber der ürsprünglichen Bevölkerung, die dort vertrieben wurde und in deren gestohlenen Häuser und Wohnungen nun Zugewanderte aus anderen Regionen der Welt wohnen?"
Sorry, aber das sind die klassischen Fake News über irgendeine Autochthonie der Palästinenser. Ein Konstrukt das die PLO 1964 *erfand* und per Beschluss in ihre Charta reinschrieb. Die Bewohner des Landstrichs waren seit jeher Araber und Juden. Und wenn Sie schon Autochthonie wollen, raten Sie mal, von welcher Bevölkerung die ältesten Quellen diese Gegend betreffend so berichten? Ich spoiler mal: es sind nicht Palästinenser.
O.F.
@Chris Demian Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch: die Palästinenser wurden nicht erst 1964 erfunden; ein spezifisch palästinensisches Identitätsbewusstsein lässt sich bis in die spätosmanische Zeit zurückverfolgen (das allerdings die alteingesessene jüdische Bevölkerung mit umfasste, der Gegner saß ja damals am Bosporus); die Palästinenser im heutigen Sinn sind zum allergrößten Teil Nachfahren der arabischen Bevölkerung, die dort schon zu osmanischer Zeit gelebt hat und damit natürlich (auch) autochthon; und davon abgesehen, dass die ältestsen Quellen aus der Region durchaus berichten, dass das Land in vorisraelitischer Zeit nicht unbesiedelt war, stellt sich doch die Frage, ob man aus historischen Siedlungsgebieten nach fast zwei Jahrtausenden Unterbrechung noch Gebietsansprüche ziehen kann. All das sind natürlich Themen für Historiker und für die völkerrechtliche Bewertung des NO-Konflikts und seiner Teilaspekte eher irrelevant, aber wenn man schon historisch argumentiert, sollte man präzise bleiben.
Chris Demian
@O.F. Wenn Sie auf ein OZ: "spezifisch palästinensisches Identitätsbewusstsein" abheben, welches einschlägig für ein Nationbuilding oder was auch immer sein soll, jedenfalls für die *aktuelle* palästinensische Identität, dann helfen Verweise auf ein namensgleiches Konstrukt, was aber begrifflich etwas anderes umfaßt (ich zitiere Sie: "as allerdings die alteingesessene jüdische Bevölkerung mit umfasste") und zu dem es keine begriffliche Kontinuität gibt, nicht wirklich weiter. Nichts ist weniger von heutiger Palästina-Indeitität weniger inkludiert als Juden. Der strittige Punkt war nicht, ob es in der Region Autochthone gab. Der strittige Punkt ist, ob die Akivisten, die heute eine bestimmte exklusive Palästinenser-Identität mit dieser Autochthonie verbinden nicht etwas ahistorisch konstruieren. Und das scheint nach wie vor richtig. Was heute unter "Palästinenser" verstanden wird, ist nicht auf eine Autochthonie zurückzuführen und selbst wenn, dann ist Letztere mitnichten exklusiv.
O.F.
@Chris Demian Das ist wiederum nicht ganz adäquat: solche Gruppenidentitäten sind natürlich nie statisch. Im Falle der Palästinenser war es zunächst ein regionales Gruppenbewusstsein, dass ansässige Muslime, Christen und Juden umfasst hat - eben in Abgrenzung von dem osmanischen Herrschern; die Exklusion der Juden war tatsächlich ein späteres Phänomen, allerdings auch kein totales: bis in die Gegenwart wird auf palästinensischer Seite gelegentlich zwischen den Juden unterschieden, deren familiäre Wurzeln in der Region liegen und solchen, die um Zuge der zionistischen Bewegung eingewandert sind. Insofern: die Palästinenser im heutigen Sinne sind durchaus autochthon. Im Falle der jüdischen Israelis ist das eine etwas komplexere Frage - die man aber im Grunde irrelevant ist: Die Existenz Israels ist ein Faktum, das man (auch rechtlich) akzeptieren muss, egal wie man über die historischen Legitimationsversuche des Zionismus denkt. Die Existenz einer arabischen Bevölkerung, der man keine weiteren Jahrzehnte im rechtlichen Limbo zumuten kann, allerdings auch.
Rudolf Fissner
@Chris Demian "raten Sie mal, von welcher Bevölkerung die ältesten Quellen diese Gegend betreffend so berichten?"
Ich stehe mehr auf Wissenschaft.
Schauen Sie mal von wem die palästinensische Bevölkerung so abstammt. "www.spektrum.de/ne...ne-abrahams/344049"
Ich spoiler mal. Israel vertreibt die eigene Verwandschaft.
Und das ihre antiken "ältesten Quellen" die Zuwanderung nach Israel in der Moderne nicht beschreiben KÖNNEN sollte jedem offensichtlich sein.
Chris Demian
@Rudolf Fissner Sie schreiben konsequent an dem vorbei, wogegen Sie schreiben. Belegt der verlinkte Artikel nicht, dass die jüdische Bevölkerung der Gegend ebenfalls autochthon ist, wenn es für die andern Genannten zutrifft?
Warum daher das Narrativ von autochthonen Palästinensern und zugezogenen Anderen?
"Und das ihre antiken "ältesten Quellen" die Zuwanderung nach Israel in der Moderne nicht beschreiben KÖNNEN sollte jedem offensichtlich sein."
Natürlich nicht, aber wenn man mir schon damit kommt, wer in der betreffenden Gegend auf Angestammtheit und first nation rights pochen darf, dann sind diese Quellen einschlägig. Und die Erzählung von Palästinensern als Natives tut es!
rero
@Rudolf Fissner Ich erkenne darin keine Verachtung gegenüber den Menschen in Palästina.
Ich sehe nur Verachtung gegenüber einem Narrativ, dass so tut, als sei es links, aber eigentlich rechts ist.
Und das ist kein palästinensisches Narrativ.
Rudolf Fissner
@rero "natürlichen, erdigen, palästinensischen Volksgemeinschaft." ist das Wording von Mr. Hawkings.
rero
@Rudolf Fissner Ja, sicher, aber es ist doch das Negativ zu der "künstlich geschaffenen Siedler*innengesellschaft".
Dieses Wording ist schon recht weit rechts,
Mr. Hawkins hat hier das vermutliche Gegenmodell aus dieser Perspektive mit dem gleichen rechten Wording dargestellt.
Dass wir Anstoß daran nehmen, ist von ihm gewollt. Und zwar an beidem.
So verstehe ich es zumindest.
Janix
@Jim Hawkins Alle Staaten sind künstlich: Deutschland offensichtlich, ... alle.
Unterschiedlich ist, ob sie durch Gewöhnung bereits als natürlich wahrgenommen werden. Portugal etwa ist schon so lange dabei, Südsudan kürzer.
Israel war 1948 eine künstliche Neuschöpfung, die den fehlenden Nationalstaat nachholen sollte, verständlich angesichts der Pogrome (und dem, was später kam) und doch klar auf Kosten Dritter, so nett-kolonialistisch Herzls Buch sich auch liest (lesen Sie's, er spinnt Morus Utopia-Idee vom angeblich wohltätigen Siedler weiter).
Anders als z.B. beim Südsudan waren vor hundert Jahre auf dem gesamten Gebiet fast nur christliche und muslimische Palästinenser ansässig.
Selbst die Buren waren dort deutlich länger im Land als fast alle jüdisch-israelischen Familien, die jetzt auch nicht wirklich eingeladen waren (gleichzeitig auch teils selbst vertrieben wie die Palästinenser; es ist ein weites Feld)
Dass man das auch einfach nur trocken konstatieren kann, statt überhöhen, das auch.
Rabenbote
@Jim Hawkins Ich kann ihnen bei diesem Thema nur zustimmen.
EffeJoSiebenZwo
@Jim Hawkins Was genau stört sie denn an dem Begriff '"künstlich geschaffenen Siedler*innengesellschaft"? Und warum ist er aus ihrer Sicht antisemitisch?
DieLottoFee
@EffeJoSiebenZwo Es gibt keine künstlich geschaffenen Gesellschaften. Was soll das sein?
Jim Hawkins
@EffeJoSiebenZwo Als "künstlicher" Staat wird immer nur der jüdische Staat wahrgenommen.
Andere Staaten sind demzufolge nicht künstlich, sondern irgendwie organisch und auf irgendeine natürliche Art und Weise zustande gekommen, was natürlich Käse ist.
Die meisten Staaten sind das Resultat oder auch mal das Abfallprodukt kriegerischer Auseinandersetzungen.
Der Topos des Künstlichen ist ein verbreiteter im Antisemitismus. So wird etwa auch die abstrakte Sphäre des Kapitalismus den Juden als "raffendes Kapital" angelastet, im Gegensatz zum "natürlichen", schweißigen "schaffenden" Kapital.
Juden werden im Antisemitismus als Kosmopoliten wahrgenommen, nicht verwurzelt, heimatlos, staatenlos, suspekt.
Den Staat, den sie nun haben, hassen die Antisemiten. Dort verorten sie alles, was ihrem Wahn entspringt. Deshalb soll er weg. Er ist eben "der Jude unter den Staaten" (Poliakov).
EffeJoSiebenZwo
@Jim Hawkins Vielen Dank für Ihre Erklärung.
Ich hatte den Begriff tatsächlich erstmal auf die illegalen Siedlungen im Westjordanland gemünzt interpretiert.
Bezogen auf (die Gründung von) Staaten selbst denke ich, dass es idR das Ende eines längeren sozialen, kulturellen und letztlich politischen Prozessez ist, bei der eine genügend große Anzahl an Personen innerhalb eines bestimmten Gebiets (das sich ja durchaus als Resultat eines Krieges ergeben haben kann) mit sowas wie Legitimation (im besten Fall durch Wahl oÄ) eben die Schaffung eines Staates 'beschließt' / ausruft.
Das ist ja aber bzgl der Belfour-Deklaration, die ja der Gründung Israels vorausging, aber tatsächlich nicht so gelaufen. Auf die Gefahr hin, als Antisemit hingestellt zu werden: der Eindruck des Künstlichen, quasi von außen Motivierten vs einer organischen Entstehung eines Staates, wie oben dargestellt, ist hier aber schon nicht ganz weit hergeholt, oder?
Jim Hawkins
@EffeJoSiebenZwo Da würde ich ja einen Blick auf die hunderte von Kilometern, wie mit dem Regal gezogenen Grenzen etwas in Afrika werfen.
Juden siedeln in dem jetzigen israelischen Staatsgebiet seit 2000 Jahren, die Gründung des Staates war ein Beschluss der Vereinten Nationen.
Das Unangenehme der ganzen Debatte ist, dass eine Diskussion über die Berechtigung einer Staatlichkeit nur im Falle Israels erfolgt.
Niemand stellt Österreich, nicht einmal die USA infrage. Es gibt keinen Begriff wie "britische Entität". Jüdische schon.
Was die Siedlungen angeht, das ist natürlich falsch und übel. Kann aber nur im Rahmen einer Gesamtlösung geklärt werden.
Zöge Israel einfach ab, wäre einen Tag später die Hamas am Ruder.
Francesco
@Jim Hawkins Es gibt eine serbische Entität in Bosnien-Herzegowina. Und Rabin wollte den Palästinensern in den besetzten Gebieten eine "entity, less than a state" zugestehen (so die engl. Übersetzung seiner Rede in der Knesset anlässlich der Ratifizierung der Oslo-Abkommen).
Rudolf Fissner
@Jim Hawkins In Afrika wurden koloniale Grenzen gezogen. Nicht aber die heimische Bevölkerung vertrieben. Außer vielleicht in Südafrika, aber den Apartheidsvergleich meiden Sie ja.
Die Verenten Nationen waren 1948 vor allem ein Zusammenschluß von Kolonialmächten, die in vielen Teilen der Welt noch Kolonien hatten und um Nahen Osten einen Staat für jüdische Einwanderer aus zumeist europäischen Staaten einrichteten. Die Idee dazu kam nicht von der kleinen jüdischen Bevölkerung vor Ort, sondern aus Deutschland.
Und "Was die Siedlungen angeht" .. Sie haben es nicht verstanden. Israel besiedelt nicht nur besetztes Land, es verhindert dass ein palästinensischer Staat entsteht, es will das Westjordanland annektieren.
"Zöge Israel einfach ab, wäre einen Tag später die Hamas am Ruder."
"Ein Tag" ... Sie sind lustig. Israel ist seit über 60 Jahren Besatzungsmacht. Israel hat es in all den Jahren sowas von vergeigt. Die palästinensischen Gebiete gehören unter internationaler Aufsicht. Ohne Israel und ohne Hamas und co.
Kai Ayadi
@Rudolf Fissner Wissen Sie, wie viele Menschen bei den "Bevölkerungsaustauschen" zwischen der Türkei und Griechenland, zwischen Indien und Pakistan vertrieben wurden? Während der "Bevölkerungsaustausche" nach dem zweiten Weltkrieg?
Trotzdem wird das den betreffenden Staaten heute nicht mehr vorgeworfen.
In der UNO waren 1948 nicht nur Kolonialmächte Mitglied, sondern z.B. auch die Staaten Süd- und Zentralamerikas, Indien, Indonesien, die osteuropäischen Staaten und die Sowjetunion. Zu diesem Zeitpunkt ein maßgeblicher Unterstützer der Unabhängigkeit Israels.
Abid Kidoh
@Kai Ayadi Pakistan/Indien ist ein gutes Beispiel. Tiefes Misstrauen gegen den Nachbarn, auch Streit um Grenzgebiete, aber jeder hat in seinem Staatsgebiet die alleinige Kontrolle.
So hätte es auch in Palästina/Israel laufen können und es wäre besser als die aktuelle Realität.
ke1ner
@Rudolf Fissner 》In Afrika wurden koloniale Grenzen gezogen. Nicht aber die heimische Bevölkerung vertrieben. Außer vielleicht in Südafrika《
Das ist nur eingeschränkt richtig, am Horn von Afrika etwa (Somalia, Dschibuti, Eritrea, Äthiopien) wurde mit diesen Grenzen das nachhaltige nomadische Prinzip zerstört, die Lebensgrundlage der Bevölkerung insofern, als sie auf ein nomadisches Leben angewiesen war - wenn die Herden nicht weiterziehen können, vernichten sie die Vegetation, statt sie nachhaltig zu nutzen.
Und inwieweit wan europäischen und islamischen Sklavenhandel zum Thema ausklammern kann, halte ich auch für sehr fragwürdig.
Aus dem Teilungsplan der UNO de.m.wikipedia.org...BCr_Pal%C3%A4stina hätte sich, wie das Beispiel Pakistan ein Jahr zuvor zeigt, palästinensischerseits sicher auch mehr machen lassen.
Verpasste Chancen sind auch hier de.m.wikipedia.org...Friedensdiplomatie in Reihe dokumentiert [Oslo II!] - es ist eigentlich klar, dass palästinensicherseits faktisch die Minimalforderung durchgängig "From the River to the Sea" lautet.
Womit wir wieder in der Rigaer Straße und der Parteinahme dort wären...
Jim Hawkins
@Rudolf Fissner Jetzt müsste ich so weit ausholen und doch wieder bei null anfangen.
Vielleicht mag das ja jemand anderes machen, mir fehlt einfach die Kraft und die Überzeugung dafür.
Sie selbst kämen ja in die größten Kalamitäten, würde es tatsächlich dereinst einen demokratischen palästinensischen Staat neben einem israelischen geben.
Andererseits, ich bin sicher, das Reservoir, aus dem Sie schöpfen, ist unendlich.
Rudolf Fissner
@Jim Hawkins Ich will nicht Überzeugungen von ihnen hören, die dürften grundsätzlich die gleichen sein wie bei mir.
Was ich nicht mag, sind schludrig hin gebastelte Argumente
Ich möchte ihre Behauptung, dass Staaten in Afrika dadurch entstanden, dass wie in Palästina die Bevölkerung vertrieben wurden.
Ihre Vergleiche hinken halt. Warum basteln Sie sich wired Vergleiche zusammen, die wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn man sie nur anschaut ?
Chris Demian
@EffeJoSiebenZwo "Das ist ja aber bzgl der Belfour-Deklaration, die ja der Gründung Israels vorausging, aber tatsächlich nicht so gelaufen."
I wo. Jeder Staatsgründung geht irgendein Wisch voraus — wirklich jeder. Und wenn nicht, wird nachträglich irgendwas herbei gefunden, das diese Funktion erfüllt.
Es ist letztlich egal, da es keine wie auch immer gearteten natürlichen Staatsgründungsprozesse gibt. Und daher steht auch jede Sophisterei, ob es bei der Zeugung Israels natürlicher zuging als bei jener Albaniens oder Perus im verdacht irgendwie anderweitig motiviert zu sein.
Die Kontextualisierung im Lichte des Antisemitismus, die @Jim Hawkins weiter oben lieferte, benennt schon wohin der Wind des Künstlichkeits-Narrativs/Verdachts weht.
Rudolf Fissner
@Chris Demian "Und daher steht auch jede Sophisterei, ob es bei der Zeugung Israels natürlicher zuging als bei jener Albaniens oder Perus im verdacht irgendwie anderweitig motiviert zu sein."
Sophisterei?
Menschenrechte, Vertreibung, genozidales Gequatsche in Regierungskreisen, Kriegsverbrechen, Landdiebstahl, Annexionen
... sind für Sie "Sophisterei".
Wired und traurig das. Das sind doch die Positionen der Rechtsextremen in Israel!
Rabenbote
@Jim Hawkins Gelungene Erklärung, die eigentlich jeder Person die sich ernsthaft mit Antisemtismus und seinen verschiedenen Erscheingungsform auseinandersetzt klar sein sollte.
Thomas O´Connolly
@Rabenbote Ich stimme ihnen und Jim zu. Erwarte allerdings nichts mehr das Antisemiten von alleine begreifen was sie da tun. Vermutlich nicht mal durch Intervention von außen.
Das liegt in der Natur der Antisemiterei.
Leider ...
Kritisches eigenständiges Denken ist den Antisemiten fremd, denn es gefährdet die Lebensgrundlage an die ihr kleiner überforderter Geist sich in dieser komplexen Welt verzweifelt klammert: Seine "Wahrheiten", "Antworten" und am wichtigsten seine "Schuldigen".
Ohne sie ist er nur das was W.Reich so trefflich "den kleinen Mann" genannt hat. (Selbstredend völlig unabhängig vom Geschlecht.)
Gegen Antisemiten hilft nur eine Gemeinschaft die die Antisemiten ächtet und anklagt.
Andere Vorgehensweisen hatten in der Vergangenheit gelinde gesagt keinen Erfolg.
Harmo-Nie
@EffeJoSiebenZwo Das ist nicht mehr so en vogue, wie zu der Zeit, als das Projekt begann.