Grüne bei der Europawahl: Absturz mit Ansage

Die Grünen schmieren bei der Europawahl ab. Ein Grund: Unzufriedenheit mit der Ampel. Aber auch das Thema Klimaschutz rutschte in den Hintergrund.

Wahlparty: Schlechte Stimmung bei den Grünen - in der ersten Reihe stehen Ricarda Lang, Terry Reintke und Omid Nouripour

Um rund acht Prozent eingebrochen: Schlechte Stimmung auf der Wahlparty in Berlin am 09.06.2024 Foto: Christoph Soeder/dpa

Lange Gesichter bei den Grünen im Europaparlament in Brüssel: Der Wahlabend begann mit schlechten Zahlen aus Österreich, wo der erste Trend herbe Verluste von vier Prozentpunkten auf rund 10 Prozent der Stimmen andeutete. Die grüne Spitzenkandidatin, die 23-jährige Klimaaktivistin Lena Schilling, hatte ihren Wahlkampf komplett versemmelt und wurde nun wie erwartet abgestraft.

Danach warteten die Grünen, die sich in einem viel zu kleinen Saal in der 4. Etage bei veganen Mini-Hamburgern und Rohkost versammelt hatten, gespannt auf die ersten Trendmeldungen aus Deutschland. Die Stimmung fiel sofort auf den Nullpunkt, als ein Minus von 8,5 Prozentpunkten gegenüber 2019 angekündigt wurde. Ein schockiertes „Oh, no“ raunte durch den Saal.

Terry Reintke, Grünen-Spitzenkandidatin

„Es wäre falsch, dieses Ergebnis schönreden zu wollen. Wir sind nicht zufrieden“

Die ersten Zahlen seien enttäuschend, räumte Bas Eickhout, europäischer Ko-Spitzenkandidat aus den Niederlanden ein, kurz nach Bekanntgabe der ersten Prognosen ein.

Ernüchterung herrschte auch bei der Wahlparty der deutschen Grünen in der Columbiahalle in Berliner-Tempelhof, wo sonst Popkonzerte stattfinden. Um 18 Uhr, als die ersten Zahlen über die Leinwand liefen, war es weitestgehend still im Saal. Ein paar einzelne Gäste klatschten zwar verzagt, als der Wert der Grünen erschien. Zu einem richtigen Applaus wuchs sich das aber nicht aus.

Mit Verlusten hatten die Grünen schon vor dem Wahltag gerechnet. Mit laut ersten Prognosen rund 12 Prozent der Stimmen fielen diese aber noch stärker aus als befürchtet. „Es wäre falsch, dieses Ergebnis schönreden zu wollen. Wir sind nicht zufrieden“, sagte Spitzenkandidatin Terry Reintke auf der Bühne. Über die Gründe werde man reden müssen. Fast identisch klangen die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour.

Das Heizungsgesetz wirkt nach

Dass die Grünen das Ergebnis der letzten Europawahl nicht wiederholen können, war schon lange absehbar. Mit 20,5 Prozent der Stimmen waren sie 2019 hinter CDU/CSU auf dem zweiten Platz gelandet – ein Rekordergebnis für die Mitte-links-Partei. Es waren Zeiten, in denen Fridays for Future Millionen auf die Straßen brachten und Klimaschutz in der Bevölkerung auf verhältnismäßig breite Zustimmung stieß.

Es ist beinahe zwei Jahre her, dass sich die Grünen in Umfragen zuletzt in solchen Bereichen bewegten. Nach Corona, Krieg und Inflation ist unter den Wäh­le­r*in­nen die Begeisterung für den Klimaschutz eingebrochen. Von eigenen Fehlern beim Heizungsgesetz – vielfach als zu radikal wahrgenommen – hat sich die Partei bei den Zustimmungswerten bis heute nicht erholt.

Auf der anderen Seite könnten sich gerade wegen vieler Kompromisse, in der Klimapolitik wie in anderen Bereichen, aber auch ehemalige Kern­wäh­le­r*in­nen abgewendet haben. Und über allem schwebt die allgemeine Unzufriedenheit mit den Ampelparteien.

All das war bei den Grünen im Vorfeld des Europawahlabends eingepreist. Sie selbst hatten zwei alternative Kriterien für Erfolg und Misserfolg angelegt als den Vergleich zu 2019: Sie verwiesen schon in den letzten Monaten immer wieder darauf, in Umfragen immerhin als einzige Ampelpartei nicht schlechter dazustehen als bei der Bundestagswahl 2021. 14,6 Prozent der Stimmen holten sie damals. Die Prognosen vom Sonntag lagen nun auch unter diesem Wert.

Ziel: VOR die AfD kommen

Dazu kam als zweites Ziel, vor der AfD zu landen. „Grün vor Blau“, hatte die Partei-Geschäftsführerin Emily Büning gefordert. Hochrechnungen zufolge haben die Grünen auch dieses Wahlziel verfehlt. In der Berliner Columbiahalle machte sich das Gefühl breit, dass der Erfolg der Rechten an diesem Abend sogar noch mehr schmerzte als der eigene Misserfolg. Und im Speziellen: Dass gerade bei den Jung­wäh­le­r*in­nen die Grünen enorm verloren, die AfD aber gewonnen hat.

Und da landete die Ökopartei laut den Hochrechnungen auch noch hinter der SPD. Für die Stimmung ist die Reihenfolge etwas mehr als ein Jahr vor der Bundestagswahl interessant – allein schon hinsichtlich der Frage, ob die Grünen noch mal einen Kanzlerkandidaten aufstellen können oder ob das vermessen wirken würde.

Dass sich die Zeiten seit der letzten Europawahl geändert haben, ist nicht nur dem Wahlergebnis der Grünen anzumerken. Man sah es auch an ihrem Wahlkampf. Den Klimaschutz stellte die Ökopartei anders als 2019 nicht in den Mittelpunkt. Stattdessen ging es in erster Linie um die Verteidigung der Demokratie und den Kampf gegen rechts.

Zwar litten die Grünen in den letzten Monaten unter teils tätlichen Angriffen von rechts. Ihren Wahlkampf schränkte das ein. Allerdings profitierte die Partei zunächst auch von der Stimmung, die seit Jahresbeginn von Demos für die Demokratie ausging. Die Parteizentrale verzeichnete eine Eintrittswelle, auf Wahlplakaten dominierten infolge dessen Motive gegen den Rechtsruck. An der Wahlurne zahlte sich das jetzt aber offenbar nicht entscheidend aus.

Wenn es im grünen Wahlkampf doch ums Klima ging, dann in anderer Form als noch bei der Bundestagswahl 2021. Damals zeigte die Partei in einem Werbespot Annalena Baerbock in einem abgestorbenen Wald im Harz stehend, warnte mit dystopischen Aufnahmen vor den Folgen des Klimawandels.

Nebenrolle für Asylpolitik

Diesmal warben sie dafür, mit Klimaschutz den Wohlstand zu sichern. Dazu passend blieb von Spitzenkandidatin Reintke vor allem hängen, dass sie aus dem Ruhrgebiet stammt und weiß, wie ein Stahlwerk aussieht. Ansonsten führte sie einen unauffälligen Wahlkampf, sichtbar darauf bedacht, wenig Angriffsfläche zu bieten.

Nur eine Nebenrolle spielte im Wahlkampf der Grünen schließlich die Asylpolitik – obwohl sie laut Umfragen für viele Wäh­le­r*in­nen entscheidend war. Asyl und Migration sieht man in der Partei aktuell offenbar nicht als Gewinnerthemen an. Erst auf den letzten Wahlkampfmetern setzten sich die Grünen in diesem Bereichen noch vernehmbar von der Konkurrenz ab: Seit dem tödlichen Messerangriff von Mannheim forderten andere Parteien einschließlich der SPD über Abschiebungen nach Afghanistan. Die Grünen widersprachen. Lieber wäre es ihnen aber sichtbar gewesen, hätte es für das Thema weniger Aufmerksamkeit gegeben.

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