Rassistische Gewalt: Kein Sommermärchen
Die EM bringt vielen Menschen Freude, andere versetzt sie in Panik. Zum nationalen „Wir“-Happening sind nicht alle eingeladen.
D er rassistische Überfall auf zwei Mädchen mit ghanaischen Wurzeln stieß auf schockierte Reaktionen. Doch überraschend kommt er keineswegs in einem Land, in dem die AfD bei der EU-Wahl auf breiter Ebene deutliche Gewinne verbuchte, wo an Fenstern und an Autos wieder stolz die schwarz-rot-goldenen Flaggen wehen. Deutschland ist diesmal Gastland bei der Fußball-Europameisterschaft.
Die Veranstalter hoffen auf eine Wiederholung des Märchens vom Sommer 2006, als Deutschland die Weltmeisterschaft ausrichtete. Das Motto „United by Football“ soll ein nationales und europäisches Wir-Gefühl stärken. Der Wunsch, die großen politischen Differenzen und Populismus mal kurz zu vergessen, ist allzu verständlich. Wie schön wäre es, wenn sich das Land in seiner Vielfalt vereint hinter seine Mannschaft stellen könnte. Doch für Menschen, die diese Vielfalt verabscheuen, wird das Turnier nichts ändern.
Zu dem „Wir“ gehören eben nicht alle – das bekommen die Menschen mit Migrationshintergrund zweifellos bei dieser Meisterschaft wieder zu spüren. So häufen sich schon jetzt Nachrichten über rechtsextreme Vorfälle aus dem Saarland, aus Neubrandenburg, Bremen und Warnemünde. Und das sind nur die bekannt gewordenen. Volksverhetzende Parolen, Hitlergruß und der umgetextete Partyklassiker „L’amour toujours“ gehören zum Repertoire der Rassisten.
Wie bedrohlich die Lage für People of Colour oder Queere ist, haben viele noch immer nicht verstanden oder wollen es nicht wahrhaben. Rechtsextremismus, rassistische Übergriffe, rechtsextremes Gedankengut sind zunehmend en vogue. Für Rassismus sei in der Gesellschaft kein Platz, so kommentierten Politiker*innen den Überfall in Grevesmühlen. Schöne Reden allein ändern aber wenig.
Die politischen Akteure müssen von Diskriminierung bedrohte Menschen schützen. Seid nicht länger schockiert, sondern achtet aufeinander. Auch wenn die EM vielen Menschen Freude bringt, ist sie für andere purer Stress. Da ist Furcht vor Deutschland im Herbst. Lasst es nicht zum Winter kommen.
Update: Am 17. Juni hat die Polizei Rostock ihre Angaben zu dem mutmaßlich rassistischen Angriff teilweise revidiert. Nach der Auswertung von Hinweisen Anwohnender stelle sich der Sachverhalt inzwischen anders dar, so die Polizei. Demnach soll das achtjährige Mädchen keine, wie zuvor angegebene, körperliche Verletzungen erlitten haben, die auf die zuvor geschilderte Tathandlung hindeutete. Weitere Angaben zum Tathergang und die Verletzungen des Vaters der Kinder wurden nicht revidiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen