Rassistischer Angriff in Grevesmühlen: Polizei nennt neue Details
Ein mutmaßlicher rassistischer Übergriff auf zwei Kinder in Grevesmühlen hat für Empörung gesorgt. Ein Video zeigt, wie die Familie bedrängt wird.
Nach der Auswertung der Aufnahmen teilte die Polizei in Rostock am Montagabend mit, dass sie anders als am Sonntag nicht mehr davon ausginge, dass das Kind ins Gesicht getreten worden sei. „Nach derzeitigem Ermittlungsstand hat das achtjährige Mädchen keine körperlichen Verletzungen erlitten, die auf die in der Erstmeldung geschilderte Tathandlung hindeuten.“ Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte am Dienstag, es gebe dennoch keinen Grund den Vorfall zu verharmlosen. „Es ist gut, dass das Mädchen körperlich unverletzt geblieben ist.“
Das Kind war mit seiner zehnjährigen Schwester unterwegs, als sich der mutmaßliche Angriff ereignete. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Achtjährige mit ihrem Roller an einem Jugendlichen vorbeifahren wollte. „Dieser versperrte dem Mädchen offenbar mit seinem ausgestreckten Bein den Weg und traf sie mit seiner Fußspitze.“ Zu diesem Zeitpunkt habe sich eine größere Gruppe Jugendlicher in dem Bereich aufgehalten. Die Kinder hätten sich daraufhin verängstigt und weinend an ihre Eltern gewandt.
Die Eltern wollten die Jugendlichen zur Rede stellen, wie die Polizei weiter mitteilte. Daraufhin sei es zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen gekommen, bei der die Familie rassistisch beleidigt worden sei. Die Polizei hatte zunächst mitgeteilt, das achtjährige Kind und der Vater seien leicht verletzt worden. Eine Polizeisprecherin sagte nun, das Mädchen sei körperlich unverletzt, der Vater schon.
Video zeigt Gewaltandrohungen und Rassismus
Die zehnköpfige Ermittlergruppe unter Leitung des für politische Delikte zuständigen Staatsschutzes der Polizei hatte um Hinweise aus der Bevölkerung gebeten. Daraufhin gingen unter anderem Foto- und Videoaufnahmen bei der Polizei ein. Die Ermittlungen dauerten weiter an, hieß es. Der Vater der Mädchen sagte der Bild, er und seine Familie wollten sich nicht aus der Stadt vertreiben lassen „Wir leben seit 2016 in Grevesmühlen, wir bleiben hier“, zitierte ihn die Zeitung. Der Sportverein „Einheit Grevesmühlen“, in dem der Vater und ein Sohn der Familie offenbar aktiv sind, solidarisierte sich mit einer Fotoaktion vorm Vereinsheim.
Auch wenn das Mädchen körperlich unverletzt geblieben ist, war der Vorfall alles andere als harmlos: Das Video zeigt eine unübersichtliche Situation, in der sich zahlreiche Jugendliche bedrohlich vor der ghanaischen Familie aufgebaut haben, teils sind die Kinder von der Gruppe umringt. Stellenweise kommt es zu einem Handgemenge. Die Jugendlichen haben teils kurzgeschorene Haare, mehrere tragen Camouflage-Hosen sowie weitere in der rechten Szene beliebte Kleidung, einer trägt einen Pullover mit der Aufschrift „Deutschland“, einer schwarze Stiefel mit weißen Schnürsenkeln.
Ein Jugendlicher droht offenbar der augenscheinlichen Mutter des Mädchens Prügel an, beschimpft die Familie außerem als „Drecksn*****schweine!“ Einer ruft: „Ich hasse N****!“, ebenso wird aus der Gruppe „schwarzer Hurensohn!“ gerufen. Nach den rassistischen Beleidigungen regt sich die Mutter lautstark darüber auf. Das Video haben offenbar Jugendliche aufgenommen, die selbst Teil der Gruppe waren. Sie amüsieren sich anscheinend über die Situation, bis am Ende die Polizei anrückt und das Video abrupt endet mit den Worten: „Lauf lauf! Die Bullen kommen!“
Thematisierung bei Innenministerkonferenz gefordert
Der Fall hatte vor allem wegen der zuerst von der Polizei gemeldeten Tritte ins Gesicht der Kinder bundesweit Empörung ausgelöst. Aus der Grünen-Bundestagsfraktion wurden die Innenminister von Bund und Ländern aufgefordert, sich bei ihrer Frühjahrskonferenz in dieser Woche mit Maßnahmen gegen rassistische Gewalt zu beschäftigen.
Auf Basis des ursprünglichen Kenntnisstands hatte die Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, der Deutschen Presse-Agentur gesagt: „Der abscheuliche rassistische und feige Angriff durch eine große Gruppe von Menschen auf zwei ghanaische Kinder in Grevesmühlen darf nicht folgenlos bleiben.“ Die Innenministerkonferenz sei gefordert, sich mit den nötigen Konsequenzen zu befassen. „Eine solche Attacke kann zu Nachfolgetaten animieren und darüber hinaus verheerende Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von schwarzen und migrantischen Kindern und Jugendlichen in Deutschland haben.“
Die Innenministerinnen und Innenminister von Bund und Ländern treffen sich an diesem Mittwoch zu Beratungen in Potsdam. Bei ihrem dreitägigen Treffen wird es unter anderem um Bevölkerungsschutz, europäische Asylpolitik und Abschiebungen gehen. Im ersten Quartal dieses Jahres zählte die Polizei laut vorläufigen Zahlen bundesweit 46 rechts motivierte Gewalttaten, bei denen Rassismus eine Rolle spielte. Acht dieser Straftaten wurden demnach in Mecklenburg-Vorpommern registriert.
Forscher sehen eskalierende Enthemmung
Der Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig, Oliver Decker, sah auf Basis der ersten Informationen einen Zusammenhang mit der Europawahl am 9. Juni, bei der die AfD in allen ostdeutschen Flächenländern jeweils die meisten Stimmen erhalten hatte. Er erklärte: „Wenn ich vermute, dass die Norm der Ächtung von Gewalt in meinem Umfeld nicht mehr gilt, dann kann ich dem Bedürfnis nachgehen.“ In diesem Fall bedeute dies, den eigenen Ressentiments freien Lauf zu lassen, bis hin zur Ausübung von Gewalt. Die AfD zu wählen, sei bereits „Kennzeichen einer Radikalisierung“, fügte er hinzu.
In den vergangenen Wochen hatten mehrere Vorfälle für Schlagzeilen gesorgt, bei denen Feiernde bei Volksfesten und privaten Partys mit rassistischen Gesängen aufgefallen waren. Wegen rechtsextremer Parolen und volksverhetzendem Gegröle hat es im Saarland in der Nacht zum Samstag gleich zwei Polizeieinsätze gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt