Anklage gegen Letzte Generation: Klimabewegung solidarisiert sich

Mitglieder der Letzten Generation sind wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Ak­ti­vis­t*in­nen sehen Kriminalisierung.

Ein Polizist steht auf einem Flugfeld und hält viele rote Luftballons, ein anderer steht in Warnweste neben einem Polizeiauto.

Luftballons, um den Flugverkehr in Berlin zu stören: Die Polizei bei einer Aktion der Letzten Generation Foto: Christian Mang/reuters

BERLIN taz | Die Staatsanwaltschaft Neuruppin erhebt Anklage gegen fünf Mitglieder der Klimaschutzgruppe Letzte Generation. Der am schwersten wiegende Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Auch die Störung öffentlicher Betriebe, Nötigung, Sachbeschädigung und weitere Straftatbestände stehen im Raum.

Im Dezember 2022 hatten die brandenburgischen Staats­an­wäl­t*in­nen Razzien in Wohnungen der Ak­ti­vis­t*in­nen angeordnet, am Dienstag teilten sie ihren Beschluss mit.

Eine kriminelle Vereinigung nach Strafgesetzbuch ist nicht einfach jegliche Gruppe von Menschen, die in irgendeiner Hinsicht rechtswidrig handeln. Dass sie dies tut, bestreitet die Letzte Generation gar nicht, sondern nutzt es ganz offen als Mittel zum Zweck: dem Klimaprotest.

Das gilt für die Straßenblockaden, mit denen sie bekannt geworden ist, aber auch für die Aktionen, um die es der Neuruppiner Staatsanwaltsschaft geht. Dazu gehören etwa die Störung des Betriebs der Ölraffinerie PCK Schwedt sowie der Wurf von Kartoffelbrei auf das Schutzglas vor einem Gemälde im Potsdamer Museum Barberini.

Gefängnisstrafen sind bei Urteil möglich

Eine kriminelle Vereinigung hat die Rechtsprechung bisher als Gruppe verstanden, von der eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn das Begehen von Straftaten für die Vereinigung nicht nur von untergeordneter Bedeutung gegenüber anderen Zwecken ist.

Entsprechend hoch ist das Strafmaß, wenn es zu einer Verurteilung kommt: Für die Gründung und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung kann man bis zu fünf Jahre ins Gefängnis gehen. Selbst für die Unterstützung können es immer noch drei Jahre sein.

Der Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs, in dem der Umgang mit kriminellen Vereinigungen geregelt ist, wird mitunter als „Schnüffelparagraf“ bezeichnet. Der Grund: Der Verdacht ermöglicht polizeiliche Ermittlungen ohne Wissen der Betroffenen.

Die entsprechenden Mitglieder der Letzten Generation äußerten sich erschüttert. „Mir ist das Blut in den Adern gefroren, als mein Anwalt mich eben über die Anklage informiert hat“, sagte Klimaaktivist Henning Jeschke. Die Anklage mache ihn „wütend, aber auch kampfeslustig“, weil nun vor Gericht verhandelt werden würde, „wer wichtiger ist, die Menschen oder das Öl“.

In Berlin war die Senatsjustizverwaltung nach einer Überprüfung 2023 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Letzte Generation nicht als kriminelle Vereinigung eingestuft wird. Die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt noch gegen fünf der Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen.

Andere Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen unterstützen

Etliche Ver­tre­te­r*in­nen anderer Gruppen stellen sich hinter die Angeklagten. „Kriminell ist nicht, wer mit friedlichen Mitteln probiert, die Klimakrise aufzuhalten – kriminell ist der, der sie vorantreibt“, sagte Luisa Neubauer von Fridays for Future der taz. Man muss die Aktionen der Letzten Generation überhaupt nicht gut finden, um sich in diesem Augenblick zu fragen, ob nicht etwas gewaltig schiefläuft, wenn Klimazerstörer für ihre Bilanzen gefeiert werden und Ak­ti­vis­t*in­nen auf der Anklagebank sitzen.“

Christoph Bautz, Gründer und Chef der Onlinekampagnen-Organisation Campact, hält die Anklage für „völlig überzogen und haltlos“. Auch er steht den Aktionen der Letzten Generation teils kritisch gegenüber. „Wir versuchen ja, die Leute zusammenzuführen, nicht gegen Klimaschutz aufzubringen“, sagte er im Gespräch mit der taz. Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft Neuruppin halte er für eine „Kriminalisierung, auch der gesamten Klimabewegung“. Das sei „hochproblematisch“.

Für Paula Zimmermann von Amnesty International Deutschland hat „die Kriminalisierung von Klimaprotest in Deutschland eine neue Eskalationsstufe“ erreicht, wie sie am Mittwoch in Berlin sagte.

„Absurd“ nannte Kai Niebert, Chef des Deutschen Naturschutzrings, die Debatte auf Anfrage. „Klar, wer rechtswidrig handelt, muss mit der entsprechenden Konsequenz rechnen – aber es sollte das richtige Maß haben.“ Die Bundesregierung sei wegen des Verstoßes gegen ihr eigenes Klimaschutzgesetz verurteilt worden. „Wenn nun radikale Klimaschützer belangt werden, sollten auch radikale Klimaschutzverweigerer wie Wissing und Lindner belangt werden“, so der Naturschützer. „Das wäre konsequent.“

Manon Gerhardt, Sprecherin von Extinction Rebellion in Deutschland, sprach auf Nachfrage von einer „unangebrachten Überreaktion“, die „ziemlich bedenklich für unsere Demokratie“ sei. „Friedlicher Protest, der sich für das Gemeinwohl einsetzt, wird kriminalisiert“, sagte sie. Gleichzeitig habe sie das Gefühl, dass eine Zunahme rechter Straftaten in der Öffentlichkeit fast untergehe. „Wir bei Extinction Rebellion sehen das sehr kritisch.“

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