Anklage gegen Letzte Generation: Klimabewegung solidarisiert sich
Mitglieder der Letzten Generation sind wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Aktivist*innen sehen Kriminalisierung.
Im Dezember 2022 hatten die brandenburgischen Staatsanwält*innen Razzien in Wohnungen der Aktivist*innen angeordnet, am Dienstag teilten sie ihren Beschluss mit.
Eine kriminelle Vereinigung nach Strafgesetzbuch ist nicht einfach jegliche Gruppe von Menschen, die in irgendeiner Hinsicht rechtswidrig handeln. Dass sie dies tut, bestreitet die Letzte Generation gar nicht, sondern nutzt es ganz offen als Mittel zum Zweck: dem Klimaprotest.
Das gilt für die Straßenblockaden, mit denen sie bekannt geworden ist, aber auch für die Aktionen, um die es der Neuruppiner Staatsanwaltsschaft geht. Dazu gehören etwa die Störung des Betriebs der Ölraffinerie PCK Schwedt sowie der Wurf von Kartoffelbrei auf das Schutzglas vor einem Gemälde im Potsdamer Museum Barberini.
Gefängnisstrafen sind bei Urteil möglich
Eine kriminelle Vereinigung hat die Rechtsprechung bisher als Gruppe verstanden, von der eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn das Begehen von Straftaten für die Vereinigung nicht nur von untergeordneter Bedeutung gegenüber anderen Zwecken ist.
Entsprechend hoch ist das Strafmaß, wenn es zu einer Verurteilung kommt: Für die Gründung und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung kann man bis zu fünf Jahre ins Gefängnis gehen. Selbst für die Unterstützung können es immer noch drei Jahre sein.
Der Paragraf 129 des Strafgesetzbuchs, in dem der Umgang mit kriminellen Vereinigungen geregelt ist, wird mitunter als „Schnüffelparagraf“ bezeichnet. Der Grund: Der Verdacht ermöglicht polizeiliche Ermittlungen ohne Wissen der Betroffenen.
Die entsprechenden Mitglieder der Letzten Generation äußerten sich erschüttert. „Mir ist das Blut in den Adern gefroren, als mein Anwalt mich eben über die Anklage informiert hat“, sagte Klimaaktivist Henning Jeschke. Die Anklage mache ihn „wütend, aber auch kampfeslustig“, weil nun vor Gericht verhandelt werden würde, „wer wichtiger ist, die Menschen oder das Öl“.
In Berlin war die Senatsjustizverwaltung nach einer Überprüfung 2023 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Letzte Generation nicht als kriminelle Vereinigung eingestuft wird. Die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt noch gegen fünf der Klimaaktivist*innen.
Andere Klimaaktivist*innen unterstützen
Etliche Vertreter*innen anderer Gruppen stellen sich hinter die Angeklagten. „Kriminell ist nicht, wer mit friedlichen Mitteln probiert, die Klimakrise aufzuhalten – kriminell ist der, der sie vorantreibt“, sagte Luisa Neubauer von Fridays for Future der taz. Man muss die Aktionen der Letzten Generation überhaupt nicht gut finden, um sich in diesem Augenblick zu fragen, ob nicht etwas gewaltig schiefläuft, wenn Klimazerstörer für ihre Bilanzen gefeiert werden und Aktivist*innen auf der Anklagebank sitzen.“
Christoph Bautz, Gründer und Chef der Onlinekampagnen-Organisation Campact, hält die Anklage für „völlig überzogen und haltlos“. Auch er steht den Aktionen der Letzten Generation teils kritisch gegenüber. „Wir versuchen ja, die Leute zusammenzuführen, nicht gegen Klimaschutz aufzubringen“, sagte er im Gespräch mit der taz. Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft Neuruppin halte er für eine „Kriminalisierung, auch der gesamten Klimabewegung“. Das sei „hochproblematisch“.
Für Paula Zimmermann von Amnesty International Deutschland hat „die Kriminalisierung von Klimaprotest in Deutschland eine neue Eskalationsstufe“ erreicht, wie sie am Mittwoch in Berlin sagte.
„Absurd“ nannte Kai Niebert, Chef des Deutschen Naturschutzrings, die Debatte auf Anfrage. „Klar, wer rechtswidrig handelt, muss mit der entsprechenden Konsequenz rechnen – aber es sollte das richtige Maß haben.“ Die Bundesregierung sei wegen des Verstoßes gegen ihr eigenes Klimaschutzgesetz verurteilt worden. „Wenn nun radikale Klimaschützer belangt werden, sollten auch radikale Klimaschutzverweigerer wie Wissing und Lindner belangt werden“, so der Naturschützer. „Das wäre konsequent.“
Manon Gerhardt, Sprecherin von Extinction Rebellion in Deutschland, sprach auf Nachfrage von einer „unangebrachten Überreaktion“, die „ziemlich bedenklich für unsere Demokratie“ sei. „Friedlicher Protest, der sich für das Gemeinwohl einsetzt, wird kriminalisiert“, sagte sie. Gleichzeitig habe sie das Gefühl, dass eine Zunahme rechter Straftaten in der Öffentlichkeit fast untergehe. „Wir bei Extinction Rebellion sehen das sehr kritisch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken