Ermittlungen gegen die Letzte Generation: Kriminalisierter Klimaschutz

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Elf Hausdurchsuchungen soll es gegeben haben.

Eine Hand auf einer Straße

Aktion der Letzten Generation in München Foto: Matthias Balk/dpa

BERLIN taz | Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt gegen die Klimaschutzgruppe Letzte Generation nach Paragraf 129 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Am Dienstagmorgen wurden gegen elf Personen Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Dabei wurden elektronische Geräte wie Laptops und Handys sowie Plakate konfisziert.

„Wir haben heute morgen ab 6 Uhr verteilt über die gesamte Bundesrepublik Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgericht Neuruppin gegen Mitglieder der Letzten Generation vollstreckt“, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin der taz. Ermittelt würde gegen die Ak­ti­vis­t:in­nen auch nach Paragraf 316b wegen Störung öffentlicher Betriebe. Im Frühjahr hatten Ak­ti­vis­t:in­nen wiederholt Pipelines der PCK-Raffinerie in Schwedt zugedreht, um gegen weitere Investitionen in fossile Infrastruktur zu protestieren. Diese Aktionsform gehört seitdem jedoch nicht mehr zum Repertoire der Gruppe.

Nach Angabe der Letzten Generation richteten sich die Durchsuchungen gegen elf Personen in Leipzig, München und weiteren bayerischen Städten. Vier der Betroffenen sitzen derzeit im bayerischen Präventivgewahrsam. Auch sollen Razzien in Elternhäusern von Ak­ti­vis­t:in­nen stattgefunden haben. „Wir gehen ganz klar davon aus, dass wir eingeschüchtert werden sollen“, so Lilly Schubert, Sprecherin der Letzten Generation, gegenüber der taz.

In einer Mitteilung kritisiert die Gruppe die Ermittlungen wegen Paragraf 129 scharf. „Während der Staat durch fehlenden Klimaschutz unser Grundgesetz missachtet, durchsucht die Polizei die Wohnungen jener, die alles friedlich Mögliche versuchen, dies offenzulegen“, heißt es da. Die Durchsuchungen seien ein „neues Niveau“ der Einschüchterungsversuche des Staates. Wenn friedlicher Widerstand kriminalisiert würde, bedrohe das „die demokratischen Grundfesten“ der Bundesrepublik.

Betroffen ist auch Carla Hinrichs, eine der Sprecherinnen der Gruppe: Sie schrieb auf Twitter: „Heute Morgen wurde meine Wohnung durchsucht.“ Sie schrieb weiter, es sei „beängstigend, wenn die Polizei deinen Kleiderschrank durchwühlt. Aber denkt ihr ernsthaft, dass wir jetzt aufhören werden?“

Auf Unverständnis stoßen die Maßnahmen insbesondere deshalb, weil alle Personen, bei denen Durchsuchungen stattfanden, „mit ihrem Namen und ihrem Gesicht zu ihren Taten“ stünden, so Schubert. Zwei Personen seien bereits zum zweiten Mal von Hausdurchsuchungen betroffen.

Pipeline-Aktionen im Fokus

Juristisch ist umstritten, ob die Gruppe dem Straftatbestand einer kriminellen Vereinigung überhaupt entsprechen kann. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hatte diese Frage Ende November verneint. Diese Einschätzung sei auch „bislang unverändert“, sagte Oberstaatsanwalt Sebastian Büchner auf taz-Anfrage. Man überprüfe die eigenen Auffassungen aber fortlaufend.

Laut Büchner müssten für eine Einstufung als kriminelle Organisation die möglicherweise strafrechtlich relevanten Aktionen der Gruppe eine gewisse Erheblichkeit überschreiten – bisher sei das in Berlin nicht auszumachen. Vorgeworfen wird den Ak­ti­vis­t:in­nen in Berlin und auch München zumeist Nötigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt – in beiden Vorwürfen kann von einer besonderen Erheblichkeit kaum die Rede sein.

Möglicherweise hat deshalb auch nicht Bayern die Federführung bei der Strafverfolgung übernommen – obwohl die bayrische CSU-Regierung stets am rabiatesten gegen die Ak­ti­vis­t:in­nen vorgegangen ist, etwa durch die Verhängung eines 30-tägigen Präventivgewahrsams. Denn mit der Störung öffentlicher Betriebe in der PCK-Raffinerie in Schwedt liegt ein nicht unerheblicher Vorwurf vor. Äußern wollte sich das zuständige Justizministerium in Brandenburg auf taz-Nachfrage nicht. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin verwies lediglich darauf, dass es sich bei den Ermittlungen bezüglich Paragraf 129 um einen Anfangsverdacht handle. Auf die Frage, woraus sich dieser speise, verwies der Sprecher auf die straffe Organisation und Rollenverteilung in der Gruppe.

Die Generalstaatsanwaltschaft München teilte auf Anfrage mit, dass bei der Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) „mehrere Anzeigen zur Prüfung des § 129 StGB im Zusammenhang mit der ‚Letzten Generation‘ vorliegen“. Die Prüfung dieser Anzeigen dauere derzeit an.

Die Innenminister von Bund und Ländern hatten Anfang Dezember beschlossen, ein Lagebild über die Gruppe erstellen zu lassen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) hatte sich dabei für Ermittlungen wegen des Verdachts der Gründung einer kriminellen Vereinigung ausgesprochen. „Aus meiner Sicht spricht vieles dafür“, sagte Stübgen: „Sie sind organisiert, haben entsprechende Trainingsplätze und verabreden sich zu kriminellen Aktionen.“

Zuvor hatte sich Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, gegen eine Einstufung der Gruppe als extremistisch ausgesprochen. Das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch“, sagte er. Von einer „Klima-RAF“ zu sprechen, wie dies etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt getan hatte, sei „Nonsens“.

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