Umstrittene Elterngeld-Kürzungen: Die gefühlte Armut der Reichen

Einkommensreiche Haushalte sollen den Anspruch auf Elterngeld verlieren. Nun schlagen sie Alarm, dabei ist das nur gerecht. Es ginge aber auch gerechter.

Eltern mit Kindern in der lichtdurchfluteten schönen Küche

Für Wohlhabende ist Elterngeld oft nur ein Stolperstein bei der Tilgung des Eigenheimkredits Foto: plainpicture

Die Frage, ab wann jemand reich ist, wird je nachdem, wo man selbst finanziell steht, sehr unterschiedlich beantwortet. Eine Eigenart von wohlhabenden Menschen, vor allem FDP-Wähler*innen, ist ja, dass sie sich zum einen als „arm“ genug empfinden, um zur Mittelschicht zu gehören, aber gleichzeitig denken, sie seien „reich“ genug, um von einer Vermögensteuer betroffen zu sein, die sie deshalb vorsorglich ablehnen.

Wie absurd diese Gleichzeitigkeit dann praktisch aussieht, zeigt sich derzeit in sozialen Medien, wo nun Spit­zen­ver­die­ne­r*in­nen trotzig die Familienplanung über Bord werfen, weil sie meinen zu verarmen, wenn ihnen die 1.800 Euro Elterngeld pro Monat gestrichen würden, wie es im Bundesfamilienministerium unter Lisa Paus (Grüne) zur Debatte steht.

Das Finanzministerium unter Christian Lindner (FDP) hatte die Einsparungen auferlegt. Nun sollen Haushalte, deren zu versteuerndes Einkommen im jeweiligen Berechnungsjahr über 150.000 Euro liegt, was brutto etwa 180.000 Euro entspricht, kein Elterngeld mehr bekommen. Das würde laut Paus etwa 60.000 Familien betreffen. Insgesamt gibt es in Deutschland 11,9 Millionen Familien.

Bisher lag die Grenze bei 300.000 Euro für Paare. Das Elterngeld soll grundsätzlich den Lohn während der Elternzeit teilweise ersetzen. Es wird nach Einkommen gestaffelt und liegt zwischen 300 und 1.800 Euro monatlich. Nur eben nicht nach Bedarf, sondern wer mehr hat, kriegt auch mehr. Der Höchstsatz von 1.800 Euro wird erst ab einem Nettoeinkommen von 2.770 Euro ausgezahlt, darunter bekommt man etwa 65 Prozent des zu versteuernden Einkommens, wer unter 1.000 Euro verdient, bis zu 100 Prozent.

Wo oben eigentlich ist

Grundsätzlich sollte bei Familien nicht gekürzt werden, solange man auch bei Dienstwagen, Erbschaft und Vermögen etwas machen könnte. Das Familienministerium macht mit seinen etwa 2,8 Prozent im Bundeshaushalt auch sicher nicht die größten Wellen. Lisa Paus hat im Grunde das einzig Richtige gemacht und versucht, die Einsparungen nicht per Gießkanne zu verteilen, sondern sozialverträglich zu gestalten und oben anzusetzen.

Zur Orientierung, wo oben eigentlich ist: Zu den einkommensreichsten 10 Prozent gehörte man im Jahr 2019 als ein Paar ab einem Haushaltsnettoeinkommen von 5.780 Euro, als Familie mit zwei Kindern unter 14 bei 8.090 Euro im Monat.

Eine Maßnahme, die also vor allem Privilegierte betrifft. Dennoch ist nun in vielen Kommentaren von einer unsozialen Ohrfeige für alle Familien, vom Ende der Gleichbehandlung von Eltern oder gleich von der Abschaffung der Gleichstellungspolitik für Aka­de­mi­ke­r*in­nen die Rede. Das klingt bedrohlich, nur verdienen Aka­de­mi­ke­r*in­nen in Deutschland im Schnitt nicht genug, um hiervon generell betroffen zu sein. Für viele Eltern ist eine Elternzeit heute kaum noch leistbar. Für Wohlhabende ist sie hingegen oft nur ein Stolperstein bei der Tilgung des Eigenheimkredits.

Das Argument, dass die fehlenden 1.800 Euro Elterngeld bei Spit­zen­ver­die­ne­r*in­nen nun dazu führen werden, dass noch weniger Väter Elternzeit nehmen, womit Rollenklischees weiter zementiert würden, geht leider komplett an der Ursache vorbei. Denn wer mit 150.000 Euro Haushaltseinkommen als Vater nichts übrig hat, um ein halbes Jahr bei seinem Kind zu bleiben, kann entweder nicht mit Geld umgehen oder ist ein schlechter Vater. Im schlimmsten Fall beides.

Was die Gleichstellung in Paarbeziehungen angeht, wäre allen mehr geholfen, würde das Ehegattensplitting abgeschafft oder würde die Kinderbetreuung ausgebaut. Das Elterngeld müsste außerdem reformiert werden. Es sollte sich an Lebenshaltungskosten und Vermögen orientieren. Es müsste nicht nur Lohnarbeit, sondern auch Care-Arbeit berücksichtigen und besonders Frauen vor finanzieller Abhängigkeit schützen.

Ein Elterngeld, das sieben Monate pro Part­ne­r*in ausgezahlt wird, wäre eine Möglichkeit. Es sollte inzwischen auch endgültig klar sein, dass es nichts bringt, noch mehr Geld auf wohlhabende Väter zu werfen. Denn hier geht es nicht ums Können, sondern ums Wollen.

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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