Annäherung von Grünen und FDP: Das Trennende überwiegt
WählerInnen von Grünen und FDP sind sich materiell ähnlich, bilden aber zwei völlig konträre Milieus. Für eine Koalition kann das Sprengstoff bedeuten.
E s ist die Zeit der Brücken-Metapher. Robert Habeck will „Brücken ausloten“, Christian Lindner will sie erst einmal bauen. Keine Frage: Die beiden Vorsitzenden von FDP und Grünen und die grüne Co-Vorsitzende Annalena Baerbock wollen zusammen regieren.
Am Ende werden im Vorwort eines wahrscheinlichen Ampel-Koalitionsvertrags wohl die Schlüsselwörter stehen, die bei einem Bündnis von Grünen und FDP eben nötig sind: „Nachhaltigkeit“ wird grüne Bedürfnisse stillen, „Innovation“ jene der FDP. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass als gelb-grünes Bindeglied von der „ökologisch-technologischen Transformation“ die Rede sein wird, ein Wort, in dem sich sowohl die Biobäuerin als auch der FDP-nahe Freund von Wasserstoffantrieben wiederfindet.
Wobei offen ist, wie die Kompromisse eigentlich aussehen werden. Werden die berühmten gemeinsamen Schnittmengen gesucht oder werden Reviere abgesteckt: Ihr habt freie Hand in der Umweltpolitik, wir dagegen in der Steuerpolitik? Es sind zwei unterschiedliche Ansätze, und es wird nicht ganz unwichtig sein für die Politik in den nächsten vier Jahren, wie die Kompromisse ausgestaltet sein werden.
Mit einer Partnerschaft von FDP und Grünen werden zwei unterschiedliche politische Kulturen und Milieus zusammenfinden, die eigentlich nicht zusammengehören. Eindrücklich ist der Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg: Hier haben die Grünen bei der Wahl bundesweit die meisten Zweitstimmen geholt – die FDP aber die wenigsten. Ein Blick auf die bundesweiten Wählerwanderungen zeigt, dass es zwischen FDP und Grünen bemerkenswert wenig Austausch gibt; so hat die FDP an die SPD mehr Stimmen abgegeben als an die Grünen. Das Zusammengehen der beiden Parteien hat etwas Antagonistisches.
Dabei sind sich FDP- und Grünen-WählerInnen, wie häufig analysiert worden ist, auf den ersten Blick durchaus ähnlich. Sie gehören im Schnitt zu den Besserverdienenden und sind formal überdurchschnittlich gebildet. Die Grünen allerdings werden besonders häufig von Frauen gewählt, die FDP eher von Männern. Für beide Milieus spielen – ganz bürgerlich – Selbstbestimmung und Selbstoptimierung eine wichtige Rolle, aber diese Werte werden unterschiedlich umgesetzt.
Grüner Trekking-Urlaub
Die klassische Grünen-Wählerin ist eher postmateriell orientiert. Zugespitzt gesagt: Sie investiert ihr Geld lieber in einen individuellen Trekking-Urlaub oder in ein Achtsamkeits-Seminar, um einmal „für sich etwas zu tun“, während der FDP-Wähler sein Geld lieber in materiell handfeste Statussymbole umsetzt. Distinktion und Geschmack sind eben nicht nur Oberflächlichkeiten, sondern markieren Abgrenzungen. Wahrscheinlich würde eine Grünen-Wählerin aus der Wohnung eines FDP-Stammwählers schreiend herauslaufen – und umgekehrt.
Die Unterschiede gehen weiter. Teile der beiden Milieus hegen zwar Sympathien für Privatschulen, aber die Grünen schicken ihren Nachwuchs eher in anthroposophisch orientierte Schulen, wo die Kinder ihre Persönlichkeit entfalten sollen, während die Liberalen Privatschulen mit modern klingenden englischen Namen bevorzugen, die die Kinder „fit“ für den Arbeitsmarkt machen sollen.
In einem Merkmal unterscheiden sich die WählerInnen von Grünen und FDP besonders eklatant. Die Grünen sind zu einer Partei des öffentlichen Dienstes geworden, was sich bei der Bundestagswahl noch deutlicher als bei der Wahl 2017 gezeigt hat. 24 Prozent der Beamten haben laut Infratest dimap grün gewählt; die CDU liegt bei Beamten nur noch knapp vorn. Auch Grünen-WählerInnen geben ihre Stimme nicht nur aufgrund höherer Ideale ab, sondern von konkreten Interessen motiviert. Wenn sie sich für höhere Steuern aussprechen, unterstützen sie damit im Grunde ihren eigenen Arbeitgeber und damit auch sich selbst.
Unter Beamten gibt es, wenn sie nicht geerbt haben, kaum richtig Reiche, somit wären sie auch nicht von den moderaten Steuererhöhungen für SpitzenverdienerInnen betroffen, die die eigene Partei will. Und selbst wenn: Wegen ihrer soliden Pensionserwartungen müssen sie nicht sorgenvoll ans Alter denken und während des Berufsleben Geld für später zurücklegen. Der FDP-Wähler wiederum schon: Überdurchschnittlich viele Selbstständige haben die FDP gewählt.
Der Staat ist für die Grünen-Wählerin eher ein guter Freund, für den FDP-Wähler dagegen ein potenzieller Gegner, der ihm etwas wegnehmen will. Es ist ein Rätsel, wie diese beiden unterschiedlichen Staatsverständnisse zusammengehen sollen, wenn es in den Koalitionsverhandlungen um Steuern und die Rolle des Staates bei der Klimafrage geht.
Der zentrale politische Unterschied liegt aber in der Haltung zum Wirtschaftswachstum und dem Umgang mit natürlichen Ressourcen. Die grüne Stammwählerschaft ist geprägt von dem Wahlspruch der Grünen von 1983: Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt. Bei den jungen Klima-AktivistInnen heißt es „Save the Planet“, aber es meint dasselbe. Das grüne Kernmilieu ist skeptisch gegenüber Wachstum und ständig steigendem Energieverbrauch eingestellt, auch wenn dieser „klimaneutral“ und „sauber“ sein soll. Hier liegen Differenzen zur grünen Parteiführung, die von einem „grünen Wachstum“ überzeugt ist – und damit anschlussfähig an die FDP.
Ein Ampel-Koalitionsvertrag dürfte in schönen Worten das vermeintlich Gemeinsame betonen. Aber die unterschwelligen Konflikte, die sich aus den unterschiedlichen Mentalitäten der Wählerschaften speisen, werden ungelöst bleiben und dürften bei konkreten Streitthemen in der Koalition aufbrechen – wenn die grüne Mitgliederbasis, die in den vergangenen Jahren rasant gewachsen und jünger und radikaler geworden ist, gegen die eigene Parteiführung rebelliert.
Es kann gut sein, dass dann die Partei als solide Regierungspartei dasteht, über die derzeit kaum geredet wird: die SPD.
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