Angriffe auf Politiker:innen: Festnahme nach Attacke auf Giffey
Tage nach dem Angriff auf SPD-Europapolitiker Ecke in Sachsen wird die Berliner Senatorin Giffey attackiert. Ein 74-Jähriger wird festgenommen.
Demnach sei die SPD-Politikerin in der Bibliothek „von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert und am Kopf sowie am Nacken getroffen“ worden. Giffey sei im Anschluss wegen Kopf- sowie Nackenschmerzen ambulant im Krankenhaus behandelt worden.
Ein 74-jähriger Mann wurde als Tatverdächtiger vorläufig festgenommen. Die Ermittlungen zum Motiv des mutmaßlichen Täters dauerten an, wie die Berliner Staatsanwaltschaft am Mittwochmittag mitteilte. Gegen den Mann lägen bereits polizeiliche Erkenntnisse aus dem Bereich des Staatsschutzes und der Hasskriminalität vor. Der Beschuldigte sollte noch am Mittwoch einem Ermittlungsrichter vorgeführt werden. Da Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung vorlägen, prüfe die Staatsanwaltschaft die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, hieß es. Zudem sollte dessen bisheriger Aufenthaltsort durchsucht werden.
Die Berliner SPD verurteilte am Mittwoch den „hinterhältigen Angriff“ auf die Wirtschaftssenatorin und Stellvertreterin des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU). Auch CDU-, Linken- und Grünen-Politiker:innen zeigten sich entsetzt über den tätlichen Angriff auf die SPD-Spitzenpolitikerin, die bis vor einem Jahr immerhin selbst Regierende Bürgermeisterin war.
Erinnerungen an Überfall in Dresden
Der Vorfall in Giffeys Wahlkreis im Süden Berlins ereignete sich nur wenige Tage nach der gewalttätigen Attacke auf den sächsischen SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke, der in Dresden am Freitagabend beim Anbringen von Wahlplakaten von vier mutmaßlichen Rechtsextremisten brutal zusammengeschlagen wurde.
Aufgrund dieser und ähnlicher Taten in Sachsen wurde auf einer Sondersitzung der Innenminister:innenkonferenz am Dienstagabend auch eine Überprüfung der Strafgesetze gefordert, um Angriffe auf politisch Aktive schärfer ahnden zu können. Aus den Reihen der Ampelkoalition gab es daran aber bereits Kritik: „Härtere Strafen sind schnell gefordert – vor allem kurz nachdem öffentlichkeitswirksame Straftaten erfolgt sind“, sagte etwa der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle. Polizeibeamte vor Ort und eine gut ausgestattete, zügig arbeitende Justiz seien aber viel wirkungsvoller.
Auch die Grünen-Abgeordnete Misbah Khan erklärte: „Statt härterer Strafen muss das Vollstreckungsdefizit bei Haftbefehlen endlich angegangen werden.“ Sie forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, Gewalt gegen Politiker und Ehrenamtliche bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen.
Anlässe dazu gibt es leider zuhauf. Am Dienstagabend waren in Dresden erneut Wahlkämpfer*innen der Grünen angegriffen worden. Die Dresdner Stadtratskandidatin Yvonne Mosler war mit ihrem Parteikollegen Cornelius Sternkopf und zwei Medienteams unterwegs, um Plakate aufzuhängen. Dabei wurde sie von zwei Personen attackiert.
Grenzen der Meinungsfreiheit
Ein Angreifer habe die Politikerin laut Polizei beiseitegestoßen, sie beleidigt und bedroht. Außerdem soll er zwei Wahlplakate heruntergerissen haben. Eine zweite Angreiferin kam den Angaben zufolge hinzu und bespuckte die Politikerin. Zuvor sollen sie in einer Gruppe gestanden haben, aus der heraus der Hitlergruß gezeigt wurde. Die Polizei stellte die beiden in unmittelbarer Nähe.
Giffey selbst erklärte am Mittwochvormittag, sie sei „besorgt und erschüttert“ über „die sich verstärkende ‚Freiwildkultur‘“, darüber, dass Menschen, die sich politisch engagieren, „immer häufiger vermeintlich gerechtfertigten und hinzunehmenden Angriffen“ ausgesetzt seien.
„Wir leben in einem freien und demokratischen Land, in dem jede und jeder seine Meinung frei äußern darf und kann. Dennoch gibt es eine klare Grenze“, so Giffey weiter. Und diese Grenze sei „Gewalt gegen Menschen, die eine andere Auffassung vertreten, aus welchen Gründen auch immer, in welcher Form auch immer“. Zu ihrem eigenen Befinden nach dem Vorfall in Rudow teilte sie mit: „Nach dem ersten Schreck kann ich sagen, es geht mir gut.“
Aktualisiert um 13.40 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett