Alltäglicher Judenhass: Die Mär vom fremden Juden
Der antisemitische Angriff auf Sänger Gil Ofarim zeigt: Ausgrenzung ist kein jüdisches Problem, sondern das der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft.
S ie werden beleidigt, bespuckt und blöde angemacht. Man tuschelt über sie, reißt blöde Sprüche: Die antisemitischen Vorfälle, denen Juden in Deutschland im Alltag ausgesetzt sind, ohne dass dies jemals in einer Strafanzeige mündet und in die Kriminalstatistik einfließt, sind mannigfaltig, alltäglich und bedrückend. Bedrückend sollten sie aber nicht nur für die Betroffenen sein, sondern mindestens ebenso für die Mehrheitsgesellschaft, die diesem Treiben mehr oder weniger interessiert zuschaut.
Ein jüdischer Künstler hat in Leipzig nun einen dieser Ausbrüche von Judenhass öffentlich gemacht. Ein Hotelmitarbeiter wollte ihn, den durch ein Kette mit Davidstern sichtbaren vorgeblich Fremden, nicht einchecken lassen – jedenfalls nicht mit sichtbarer Kette. Das ist purer Judenhass. Die Angelegenheit wird durch die Reaktion auf diesen widerlichen Vorfall nicht besser, fiel doch den Hotelbetreibern nichts Besseres ein, als eine Flagge Israels als Zeichen der Solidarität mit dem Abgewiesenen aufzuhängen. Und wieder wird der Jude als Fremder gebrandmarkt, immerhin im positiven Sinne, aber trotzdem bedeutet dies: Er gehört nicht zu uns.
Juden sind Deutsche, keine Ausländer, übrigens auch keine deutschen Mitbürger. Es sind keine Touristen und keine Migranten. Einfach nur deutsche Staatsbürger. Sie zählen genauso zu Staat und Gesellschaft wie deutsche Katholiken, Protestanten oder Atheisten.
Es ist diese simple Tatsache, die Antisemiten seit dem 19. Jahrhundert nicht anerkennen wollen und aus der sie ihre Zurückweisung des Jüdischen als angebliche Volksfremde konstruieren, die die postulierte nationale Identität bedrohen. Das war schon im Kaiserreich so und setzte sich in der Weimarer Republik fort. Die Nazis konnten darauf ihre Vernichtungspolitik aufbauen, und noch Konrad Adenauer sprach von einer „Judenfrage“. Bis zum heutigen Tag spukt diese Mär in den Köpfen vieler herum.
Es ist aber eine Frage, die an die deutsche Mehrheitsgesellschaft gerichtet ist. Denn nicht Juden sind das Problem, sondern die Antisemiten und die Mehrheitsgesellschaft, die sie duldet und teils nicht einmal erkennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär